Martin Kippenberger, Selbstjustiz durch Fehleinkäufe, 1984. Mixed media auf Leinwand. 120 x 100 cm. © Martin Kippenberger Estate. Foto: Adam Reich. Martin Kippenberger, Selbstjustiz durch Fehleinkäufe, 1984. Mixed media auf Leinwand. 120 x 100 cm. © Martin Kippenberger Estate. Foto: Adam Reich. - Mit freundlicher Genehmigung von: Deichtorhallen

Wer: Deichtorhallen

Was: Ausstellung

Wann: 06.02.2015

Kunst unter den vorherrschenden Rahmenbedingungen eines rasanten, von immer neuen Entwicklungen getriebenen globalen Kulturbetriebs zu sammeln, ist für private Sammler, gleichermaßen aber auch für öffentliche Institutionen ein schwieriges Unterfangen. Das gilt gerade für junge Gegenwartskunst. Was heute zu hohen Preisen angeboten wird, ist oft genug morgen schon nicht mehr…
Kunst unter den vorherrschenden Rahmenbedingungen eines rasanten, von immer neuen Entwicklungen getriebenen globalen Kulturbetriebs zu sammeln, ist für private Sammler, gleichermaßen aber auch für öffentliche Institutionen ein schwieriges Unterfangen. Das gilt gerade für junge Gegenwartskunst. Was heute zu hohen Preisen angeboten wird, ist oft genug morgen schon nicht mehr relevant. Der Visionär Martin Kippenberger hat diese Entwicklung schon 1984 mit seiner melancholischen Arbeit »Selbstjustiz durch Fehleinkäufe« vorausgesehen. Vordergründig geht es um die private Abrechnung einer kurzfristigen Liaison mit einer Künstlerkollegin, die nackt mit Schärpe und zwei halb gefüllten Einkaufstaschen einigermaßen deplatziert dasteht. Aber Kippenberger wäre nicht Kippenberger, wenn seine Arbeit nicht zugleich allgemein ein gekonnter Seitenhieb auf das Kunstsammeln wäre.

Lange habe ich nach dieser Arbeit recherchiert, bis ich sie endlich Mitte 2014 erwerben konnte. Zugegeben war sie der Auslöser dieser Ausstellung, die mit mehr als 60 Künstlerpositionen und etwa 140 Arbeiten einen Querschnitt meiner Neuerwerbungen seit 2011 präsentiert. Es sind neben Kippenberger wichtige Arbeiten dabei. Im dadaistisch-punkgeprägten Bereich der Counter Culture etwa von Jerry Berndt, Werner Büttner, Merlin Carpenter, Nicole Eisenman, Dennis Hopper, Ray Johnson, Mike Kelley, Paul McCarthy, Albert Oehlen, Raymond Pettibon, David Robilliard und ihren deutschen Protagonisten John Bock, Christian Jankowski, Andy Hope, Jonathan Meese, Christoph Schlingensief und Andreas Slominski. Hinzu gekommen sind umfangreiche Dokumentationen der bedeutenden amerikanischen Fotografen Lee Friedlander und Lewis Baltz. Sie stehen in einem engen Zusammenhang mit konzeptuell geprägten Arbeiten, die seit jeher einen Schwerpunkt der Sammlung ausmachen. Neuerwerbungen in diesem Bereich sind Arbeiten von Art & Language, Richard Artschwager, John Baldessari, Monica Bonvicini, Hanne Darboven, Olaf Metzel, Konrad Klapheck, Astrid Klein, Imi Knoebel, Tobias Rehberger, Thomas Schütte und Santiago Sierra. Schließlich geht es um junge Positionen wie Thorsten Brinkmann, Nathalie Czech, Sven Johne, Javier Téllez, Ena Swansea und Klassiker wie Chris Burden, Andreas Feininger, Eric Fischl, Mimmo Paladino und Man Ray.

Klingt nach einem Sammelsurium, aber es ist keine Leistungsschau eines Sammlers. Nichts liegt mir ferner. Für mich sind Kunstwerke weniger Bekenntnisse und Botschaften. Sie sind – das wenigstens ist mein Credo – Dokumente des Zeitgeists und Belege gesellschaftspolitischer   Entwicklungen. Fragen und Probleme, die uns alle angehen. Und doch bleiben Zweifel. Die Art World lässt sich nicht auf den Punkt bringen.

Ich weiß aus jahrzehntelanger Arbeit, dass die Beziehungen der in der Sammlung vertretenen Künstler von Wertschätzung und in vielen Fällen direkter Kontakte von großem Respekt geprägt sind. Sie haben sich spätestens in den 70er/80er Jahren von den kommerziell bestimmten Richtungen der Pop Art à la Warhol und der Appropriation Art à la Koons verabschiedet und verschiedene Wege einer gesellschaftskritischen Ausrichtung gesucht. Und eben diese Bestrebungen zu dokumentieren und in der jetzigen Ausstellung umzusetzen, entspricht dem Konzept der Sammlung Falckenberg. Es geht um deutsch-amerikanische Zusammenhänge, ebenso aber um kritische Kunst, die sich nach der langen Dominanz von Köln und Düsseldorf im Bereich deutscher Gegenwartskunst in Hamburg und Berlin herausgebildet hat. Die Ausstellung der Neuerwerbungen seit 2011 ist zugleich ein Dank an die Deichtorhallen und die Kulturbehörde der Stadt Hamburg. Sie haben sich durch die Kooperation im Jahr 2011 in vorbildlicher Weise dafür engagiert, dass das Projekt der Sammlung Falckenberg fortgeführt werden konnte.

Von zentraler Bedeutung ist die zukünftige Entwicklung des internationalen Kunstbetriebs. Ich sammle seit 20 Jahren Gegenwartskunst. 1994 war kein schlechter Ausgangspunkt. Nach dem Boom der 80er Jahre war der Kunstmarkt Mitte der 90er Jahre praktisch zum Erliegen gekommen. Die Avantgarde mit ihrer kühnen Idee, die Gesellschaft über Kunst zu verändern, hatte in der Postmoderne eines »Anything goes« ausgedient. Auf der einen Seite Konzeptkunst mit Bastionen autonomer Überzeugungen oft genug im Sinne der Political Correctness, auf der anderen Seite Kunst, die sich der Alltagskultur in all ihren Niederungen und dem Scheitern ihrer Hoffnungen verpflichtet sieht. Beide Richtungen überschneiden sich vielfältig. Sie sind sich in einem entscheidenden Punkt einig: Mit der traditionellen Repräsentationskunst des Guten, Wahren und Schönen haben sie nichts gemeinsam.

Und schon gar nichts mit dem Kitsch, der die heutigen Kunstmessen dominiert und weltweit Objekt der Begierde zahlungskräftiger Millionäre ist. Je teurer, desto besser. Kunst der Macht oder Kunst als Gegenmacht? Die Lage ist diffus. Der Kulturbetrieb einer Gesellschaft des Spektakels und der Events mit heute mehr als hundert Biennalen und Triennalen beherrscht die Szene. Die staatlichen Institutionen sehen sich außerstande, die Kosten zu übernehmen und setzen auf Public Private Partnerships internationaler Unternehmen. Nach den Celebritys der Filmindustrie vergangener und dem Starkult heutiger Tage ist der Sport mit den Millionensummen für Topspieler und längst auch die Kunst in ihr Visier geraten. Es geht um die Aufwertung ihrer Produkte durch gerade auch rebellische Positionen, im Sinne eines »Radical Chic«, um weltweit bekannte Künstler und Werke, für die auf den relevanten Kunstmessen,   allen voran die Art Basel, und seit dem Einstieg von Christie’s und Sotheby’s in den Markt der Gegenwartskunst Ende der 90er Jahre unvorstellbare Preise erzielt werden.

Für den Katalog der Art Basel 2014 habe ich unter dem Titel »Every Era Gets the Art World it Deserves« die Chancen, aber auch das Dilemma der heutigen Kunstentwicklung beschrieben. Es ist ein lakonische Bestandsaufnahme, hart an der Grenze der immer wieder behaupteten, aber doch immer noch widerlegten These vom Ende der Kunst. Weiter habe ich für das Magazin »Texte zur Kunst« einen Aufsatz »Auf dem Prüfstand. Galerien als Wirtschaftsunternehmen« verfasst. Beide Beiträge füge ich dieser Pressemitteilung an.

Harald Falckenberg, Februar 2015

Artworld. Jede Zeit hat die Kunst, die sie verdient.Der Begriff „Artworld“ wurde Mitte der 60er Jahre von Arthur Coleman Danto geprägt, dem einflussreichen amerikanischen Kritiker und Pionier der Kunsttheorie, der 89jährig am 27. Oktober 2013 verstorben ist. Anders als die traditionelle Repräsentationskunst, die mit den Mitteln des Schönen, Guten und Wahren die Macht und den Einfluss der Kirche, der Fürsten und der Großbourgeoisie manifestierte, steht die „Artworld“ für ein komplexes Bezugssystem moderner Gegenwartskunst, das nur im Kontext ökonomischer, gesellschaftspolitischer und wissenschaftlicher Zusammenhänge zugänglich und erklärbar ist. Die grenzüberschreitende Ausrichtung der Kunst fand in der ursprünglich von Joseph Beuys propagierten Formulierung des „erweiterten Kunstbegriffs“ ihren programmatischen Ausdruck. Den Sündenfall datiert Danto auf den 21. April 1964, als Andy Warhol in der New Yorker Stable Gallery die „Brillo Boxes“ als amerikanische Konsumversion der Readymades von Marcel Duchamp präsentierte. Pop Art, das soll Kunst sein, war die empörte Frage gerade auch der Vertreter der New York School of Art um Clement Greenberg, die mit dem abstrakten Expressionismus und in der zweiten Phase mit den Colour Field Paintings eine spezifische amerikanische Kunst gegen den Eurozentrismus der École de Paris durchsetzen wollten. Aber es gab in den 60er/70er Jahren mit der Minimal-, Land- und Conceptual Art jede Menge Gegenentwürfe zur New York School. Mit performativer Kunst traten in Europa die Wiener Aktionisten und die Fluxus-Bewegung an, um eine freie durch Kunst bestimmte Gesellschaft zu etablieren.

Das natürlich ist nur ein kursorischer Abriss der Nachkriegskunst. Gewiss aber hatte Danto Recht, dass entscheidende Impulse von Warhol und selbstverständlich Duchamp ausgingen, der als „Godfather“ dieser Entwicklung – 50 Jahre nach der Entstehung des ersten Readymade und nach mehr als vier Jahrzehnten des Schweigens und Rückzugs aus dem Kunstbetrieb – 1963 in Pasadena eine viel beachtete Retrospektive mit seinen als Antikunst verstandenen Werken feierte. Noch heute – weitere 50 Jahre später – ist der Einfluss Duchamps auf die postmoderne Objektkunst der jüngsten Künstlergeneration allgegenwärtig.

Auf der einen Seite steht eine politisierte „kritische Kunst“, die mit Interventionsstrategien und Dekonstruktionstechniken den Kunstbetrieb unterläuft. Es geht ihr um die Rahmenbedingungen künstlerischer Praxis mit dem Ziel einer Humanisierung der Gesellschaft. Feminismus, Gender, Aids, Urbanität, Postfordismus und Postkolonialismus sind zentrale Fragen, die auf den heute weltweit fast 100 Biennalen und Triennalen verhandelt werden. Die Documenta 10 unter Catherine David (1997) und die Documenta 11 unter Okwui Enwezor (2002) waren Plattform der kritischen Kunst. Die Ausrichtung und Organisation bestimmt ein Netzwerk international organisierter Kuratoren. Es kursiert das böse Wort des Kuratismus als neue Kunstform mit Impresarios und Ideenvirtuosen, die eingeschüchterte Künstlerindividuen zu lebenden Argumenten und Beweisträgern ihrer Ideen werden lassen.

Die von vielen Kritikern im Vorfeld der Documenta 12 begrüßte Kampfansage gegen den Kunstmarkt kam nicht von ungefähr. Es ist der Kunstmarkt, dem bis heute eine entscheidende Rolle auf die weitere Entwicklung zukam. Ausgangspunkt waren die 80er Jahre, einer Ära, als die konservativen Führer Ronald Reagan, Margaret Thatcher und Helmut Kohl das politische Weltklima bestimmten. Nach langen Jahren kunsttheoretischer Diskurse war unter dem Motto „Hunger nach Bildern“ wieder Malerei – Flachware im Jargon des Kunstmarktes – angesagt. Die Kunst des Neoexpressionismus, der Transvanguardia, der „Jungen Wilden“, der „Picture Generation“ und der Appropriation Art trieben die Preise in bis dahin nicht für möglich   gehaltene Höhen. Künstler wie Richard Prince, Jeff Koons und Haim Steinbach wurden zu Protagonisten einer Bewegung, die alle Skrupel gegen eine kommerzielle Verwertung von Kunst aufgab und sich offensiv auf den Kunstmarkt einließ. Kein Gedanke mehr an die elitäre Vorstellung eines künstlerischen Œuvres als Lebenswerk. Bad Painting, Deskilling und schnelle Karrieren nach dem Vorbild des Showbiz bestimmten die Kunstszene. „Jeder Mensch ist ein Künstler“, lautete noch Anfang der 70er Jahre Joseph Beuys´ Credo einer romantischen Verbindung von Kunst und Leben. „Jeder Künstler ist ein Mensch“, war kaum zehn Jahre später die lakonische Antwort des Punk-Künstlers Martin Kippenberger.

Der Kunstboom der 80er Jahre – es wird behauptet, dass in dieser Dekade mehr Kunst verkauft wurde als in allen Jahrhunderten zuvor – brach Ende 1990 innerhalb weniger Monate komplett zusammen. Als Ursache wurden die gescheiterten Großmachtträume japanischer Investoren und der Zukunftsbranche des spekulativen Markts der neuen Technologien ausgemacht. Aber so einfach ist es nicht. Das internationale Geschäft steht in einem engen Zusammenhang mit weltpolitischen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Es geht um Macht und Gegenmacht. Auf die Artworld bezogen um Positionen des Widerstands, wie sie die Counter Culture der Beatniks und Hippies und die Pop Art in den 50er/60er Jahren propagierten. Die Venedig-Biennale 2013 unter Massimiliano Gioni brachte mit der Abart, Outsidern und Anthroposophen wie Rudolf Steiner Anhänger von Alternativgesellschaften in einen zeitgenössischen Kontext mit dem Kunstmarkt. Die Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg vollzog sich in Zehnjahresrhythmen. Dem Aufschwung des Kunstmarkts in den 60er Jahren unter dem von John F. Kennedy verkündeten Motto der „New Frontier“ folgte der Niedergang in den 70er Jahren mit dem Verlust des Vietnam-Kriegs und der Ölkrise. Dann die spektakuläre Wiedergeburt in den 80ern und der Bruch 1990. Er war maßgeblich darauf zurückzuführen, dass die westliche Welt sich nach dem überraschenden Zusammenbruch des Sowjetreichs völlig neu organisieren musste und ihre finanziellen Mittel dringend für die Integration der östlichen Märkte benötigte.

In der Folge, unter den Präsidenten Bill Clinton und George W. Bush, bestimmten die Finanzmärkte und ein entfesseltes Bankensystem das Geschehen. Riesige Mengen Geld wurden freigesetzt und bewirkten ab 1998 einen Aufschwung des Kunstmarkts, der die Zahlen der 80er Jahre weit übertraf.

Einen wesentlichen Einfluss hatte Ende 1999 die Entscheidung der internationalen Auktionshäuser, junge Gegenwartskunst in ihr Programm aufzunehmen. Die Auktionen waren ein Schock, konterkarierten sie doch die Aufbauarbeit der Galerien. Von vielen, nicht zuletzt auch Künstlern, wurden sie als Verrat an der Sache bewertet. Die Verärgerung der Galeristen hielt sich aber in Grenzen. Schnell erkannten sie die Chance, durch gezieltes Mitbieten die Marktpreise junger Kunst stabil zu halten und – besser noch – rechtzeitig vor geplanten Eröffnungen in die Höhe zu treiben. Maßgeblichen Einfluss nahmen auch die Großmeister und Milliardäre Bernard Arnault, François Pinault und Charles Saatchi, die mit offenem Visier dazu übergingen, Kunst für ihre globalen Marktstrategien zu instrumentalisieren. Und mit dabei die vielen Spekulanten, Investmentbanker, Hedgefondsmanager und Finanzjongleure, die im Überfluss des Geldes auf junge Kunst setzten, langfristig in dubiosen Fonds angelegt und kurzfristig über Auktionen wieder auf den Markt geworfen.

Die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte ist nicht frei von Ironie. Angetreten mit dem Ziel der Avantgarde, die Kunst jenseits elitärer Vorstellungen im Leben der Menschen zu verankern, ist sie eben dort wieder angekommen. In einer Gesellschaft des Spektakels mit gesponserten Events und Großveranstaltungen, die Kunst zu Kulturbetriebsmitteln degradieren, und in einem

  Kunstmarkt mit Spitzenpreisen für wichtige Arbeiten, die nur wenige Reiche und exquisite Kunstinstitutionen aufbringen können. Man darf diese Entwicklung getrost als Refeudalisierung der Kunst verstehen. Signifikant die von Pinault finanzierte Ausstellung von Jeff Koons auf Schloss Versailles im September 2008. Aber es sollte nur eine Woche später der 15. September 2008 sein, der wie kein anderes Datum ein Schlaglicht auf die Zusammenhänge von Kunst, Kommerz und Spekulation geworfen und Geschichte geschrieben hat. Es ist der Tag, an dem Damien Hirst unter Umgehung seiner Galerien und maßgeblichen Förderer Charles Saatchi, Jay Jopling und Larry Gagosian bei Sotheby’s London mehr als 200 speziell für die Auktion hergestellte Werke einlieferte und für sagenhafte 111 Millionen Pfund versteigern konnte. Und es war der Tag, an dem in New York die Lehman Brothers Bank Bankrott erklären musste mit Auswirkungen, die bis heute weltweit ganze Volkswirtschaften beschäftigen.

Die Spekulanten – in der Hautsache Investmentbanker und Hedgefondsmanager – sind nach Aufdeckung ihrer Machenschaften im Zuge des Lehman-Bankrotts inzwischen größtenteils verschwunden, und mit ihnen der Kunstmarkt, der so exzessiv auf den Hype des Jungen und Neuen setzte. Die Programmgalerien tun sich schwer. Und doch vermelden die Medien immer neue Rekordpreise für Kunst. Die Reichen dieser Welt schert die Krise wenig. Sie setzen auf anerkannte Kunst, die sie auf Auktionen und bei den Spitzengalerien, die längst einen großen Teil ihres Umsatzes als Kunsthändler erzielen, auf dem „secondary market“ erwerben. Für die Reichen ist Kunst Anlage, man spricht von einer Flucht in die Sachwerte in Zeiten der Niedrigzinsen, auch gelegentlich von Geldwäsche; in erster Linie ist für sie Kunst aber ein Statussymbol.

Die Kunst ist in der heutigen Gesellschaft zu einer neuen Leitkultur aufgestiegen und wie der Spitzensport und das Showbiz im System der internationalen Unternehmen und Massenmedien fest verankert. Produkte und Nachrichten erfahren durch sie eine Aufwertung. Es geht um Wünsche, Sehnsüchte und die Individualität der Menschen. Die Grenzen zu Design, Mode und Werbung sind längst überschritten. Als kreatives Potenzial werden Kunst und Kultur auf allen Bezugsebenen angezapft und vermarktet. So berichtete unlängst das deutsche Boulevardblatt „Bild“ von der Eröffnung der Art Cologne: „Wichtige Kunst, noch wichtigere VIPs! Kunst ist zur Religion der High Society geworden. Ehrengast beim Auftakt war Gabriele Inaara Begum Aga Khan. Sie war noch schöner als so manche dargebotene Kunst.“

Die Entwicklung ist unerbittlich und nicht nur vorübergehender Hype, wie einige unerschütterliche Optimisten meinen. Kunst als Religion, und diese These wird nicht nur von Boulevardblättern vertreten, scheint absurd, aber trifft den Nerv einer Gesellschaft, die jenseits der überdrüssigen, demoskopie-geleiteten Machtpragmatik westlicher Politik und der ungelösten weltweiten Kulturkämpfe einen gemeinsamen Nenner in Zeiten der Postmoderne sucht. Es geht um Sinnhaftigkeit und höhere Bedeutung. Im Kunstbetrieb stehen hinter der Verklärung der Kunst zu einer Heilsbotschaft aber Geld, Macht und Ansehen als die harten Währungen. Der Kunstbetrieb ist ein Partizipationsmodell im Sinne der alten surrealistischen Formel Dreams that Money can Buy. Die Traumfabrik Kunst ist – mit großer und kleiner Münze – allen zugänglich. Aber für Spitzenarbeiten werden wie im Sport und Showbiz weiterhin Spitzenpreise bezahlt. Die viel beschworene Blase wird nicht platzen.

Der Künstler hat im Zuge dieser Entwicklung eine enorme Aufwertung bis hin zum Status der Idolisierung erfahren. Aber der Erfolg ist durch die Affirmation des Kunstsystems, die Anpassung an geschmackliche Vorgaben und die Abhängigkeit von Galeristen und Kuratoren teuer erkauft worden. Was Neues und Eigenes schaffen, dagegen, aber doch immer dabei sein,   ist ein Spagat, der nur wenigen gelingt. Zu verzeichnen ist eine Rückkehr der Kunst zum Stil, zum Können, zum Wissen und zu Techniken der lange verpönten Repräsentationskunst. Es sind Bilder und Arbeiten, die politisch korrekt sind, aber kaum eine Chance haben, in die auf Tabubrüche und Grenzüberschreitungen setzenden massenmedialen Netze Eingang zu finden. Stars der Szene sind zweifellos die Künstler, die ihr Kunstschicksal selbst in die Hand nehmen und eigene Institutionen schaffen, die sie mit bezahlten Mitarbeitern lenken und verwalten. Künstler wie Matthew Barney, Olafur Eliasson, Damien Hirst und Jeff Koons stehen für diese Richtung, die an das Modell der Künstlerfürsten vergangener Zeiten anknüpft.

Privatsammler gehören aufgrund ihrer persönlichen Beziehungen zu Künstlern, Galeristen, Auktionshäusern, Museen und Kritikern zu den wichtigen Netzwerkern des Kunstsystems. Aber sie müssen sich darüber im Klaren sein, dass sie unter den Bedingungen des Kunstsystems an einem Rollenspiel mitwirken, das nur temporären Charakter hat. Die Museen und anderen Kunstinstitutionen sind mit ihren Ausstellungsprogrammen finanziell und zeitlich so in Anspruch genommen, dass für Aktivitäten im Bereich ihrer Sammlungen wenig Raum bleibt. An kompletten Sammlungen besteht deshalb wenig Interesse; meist sind nur einzelne in die Sammlung der Museen und Institutionen passende Arbeiten und Werkgruppen erwünscht. Die Zurückhaltung der Institutionen ist ein wesentlicher Grund dafür, dass in den letzten Jahren so viele Privatmuseen entstanden sind. Aber auch diese Lösung ist für die große Mehrzahl der Sammler persönlich und finanziell zeitlich limitiert. Der Traum so vieler, sich mit ihrer Sammlung ein Denkmal zu setzen, dürfte von wenigen Ausnahmen abgesehen ausgeträumt sein.

Das Ergebnis dieser Untersuchung ist ernüchternd – was nicht das Schlechteste sein muss. Kunst ist ein Spiegel der Gesellschaft. Jede Zeit hat die Kunst, die sie verdient. Wir sehen professionelle Geschäftemacher, Spekulanten, verführte Sammler und erschöpfte Künstler. Kunst als Gegenmacht? Seit Beginn der 60er Jahre wird der Kampf gegen das Subjektive gefochten. Das heutige Kunstsystem hat vielfältige Formen der Abhängigkeit und Manipulation bis hinunter zum Boulevard entwickelt. Es erscheint unabweisbar, den Künstler als Subjekt und Person des Widerstands neu zu entdecken. Und das durchaus auch im Sinne der so lange verdrängten politischen Kunst. Wie fragil die politischen Systeme sind, offenbaren die vielen Freiheitskämpfe und Revolten der heutigen Zeit. Das mächtige China weiß sich gegen Ai Weiwei nur durch Hausarrest zu wehren. Kurioserweise hat man ihm das Handy und den Zugang zum Internet wohl in der Hoffnung gelassen, dass irgendwann ihm niemand mehr zuhört und er zu einer bloßen Fiktion wird. Weiwei gebührt mit seinem wagemutigen politischen Protest höchste Achtung und doch ist er längst in das marktorientierte und finanzielle System der internationalen Kunst eingebunden. Seine Arbeiten werden zu Höchstpreisen verhandelt. Auf der Biennale in Venedig 2013 wurde er im französischen Pavillon als deutscher Beitrag im Austausch zum französischen Beitrag des albanischen Künstlers Anri Sala im deutschen Pavillon ausgestellt. Es heißt, dass dieser Deal von deutschen und französischen Staatssekretären ausgehandelt wurde, selbstverständlich unter maßgeblicher Übernahme der Kosten. Mit freier Kunst hat das wenig zu tun.

Mir liegt es fern, Kunst in Kategorien der Haltung, Authentizität, Kreativität, ja selbst der Autonomie und Freiheit zu definieren. Es sind Leerformeln des immer Neuen, die nur im Kontext der Geschichte, wie sie beispielhaft für die Entwicklung der Nachkriegskunst skizziert wurde, Bedeutung gewinnen. Schon gar nicht steht es mir zu, für andere Sammler, die ganz andere Ausgangspunkte und Interessen haben, zu sprechen. Der Fokus meiner Sammlung liegt in den Bereichen der Counter Culture und Conceptual Art. Ich bin dabei, diese Positionen mit dem Schwerpunkt multimedialer Kunst, insbesondere der Fotografie, weiter auszubauen. Das immer wieder behauptete Ende der Kunst wird nicht stattfinden. Die Artworld ist für immer neue Entwicklungen offen. Auch bei kritischer Sicht muss sich jede ernstzunehmende Sammlung dieser Herausforderung stellen.

Harald Falckenberg, Februar 2014

Auf dem Prüfstand. Galerien als WirtschaftsunternehmenDie Fakten sind sattsam bekannt. Kunstpreise auf den internationalen Auktionen und Kunstmessen rund um die Welt sind in astronomische Höhen gestiegen. Vorbehalten einer kleinen Kaste von Reichen, die ihre Erwerbungen als Statussymbole stolz präsentieren, oft genug aber auch diskret als langfristige Investitionen anlegen oder kurzfristig mit An- und Verkäufen spekulativ einsetzen. Eigentlich nichts Neues. Über Jahrhunderte wurden für Auftragskunst von kirchlichen und weltlichen Fürsten und später in der Zeit des aufkommenden Handels für Kunstwerke exorbitante Summen bezahlt. Der Kunsthistoriker Hans-Joachim Müller konstatiert, dass Affären um Machtpositionen, Betrug und Fälschungen seit jeher markttypische Begleiterscheinungen des Kunstbetriebs waren, weil „Kunst und Moral sich nie wirklich gedeihlich vermengen“.

Die Geschichte der Kunst wie die der Gesellschaft ist eine Emanzipationsbewegung. Mit dem Niedergang der feudalen Machtstrukturen war der Weg der Künstler in die Autonomie geebnet: Sie wurden freie Gewerbetreibende. Und doch haben sie diese neue Rolle nur Schritt für Schritt angenommen. Lange Zeit blieb die Kunst unter diskreter Vermittlung des Kunsthandels etwas für elitäre Zirkel von Experten und Liebhabern mit erlesenem Geschmack. Das änderte sich in den 50er und 60er Jahren mit den weltweiten Protestbewegungen und der Pop Art als maßgebliche Richtung, die den traditionellen Kunstbegriff auf aktuelle politische, gesellschaftliche und wissenschaftliche Zusammenhänge erweiterte. Es war eine Revolution. Kunst sollte für alle da und für alle transparent sein. Die Entwicklung von „high“ auf „low“ ist maßgeblich von Galeristen vorangetrieben worden, die sich ganz auf den „primary market“ mit dem Ziel konzentrierten, Künstler in einer Art von Basisarbeit zu fördern, lenken und marktfähig zu machen. Logische Konsequenz war die Gründung internationaler Kunstmessen, zuerst 1967 der Kunstmarkt in Köln (heute Art Cologne) und 1970 die Art Basel. Kunsthändler waren als Vertreter des „secondary market“ in Köln und Basel ausgeschlossen. Gegenwartskunst geriet zur Domäne der Galeristen, die sich mehr und mehr vom traditionellen Kunsthandel abgrenzten. Man geht davon aus, dass es zurzeit 2.000 Galerien im Raum Deutschland, Schweiz, Österreich und weltweit etwa 8.000 Galerien gibt.

Gute Zahlen, so scheint es, aber doch steht das Vermittlungsmodell Galerie inzwischen auf dem Prüfstand. Im Zuge der globalen Eventkultur mit jährlich fast 100 Biennalen und Triennalen und einem Ausstellungsbetrieb der wichtigen Museen, der sich längst nicht mehr an ihren Sammlungen, sondern an Besucherquoten orientiert, ist die Ökonomisierung der Art World weiter vorangeschritten. Heute bestimmt eine kleine Gruppe von etwa 25 Galeristen den internationalen Markt für Gegenwartskunst. Fast alle von ihnen sind inzwischen auf dem „secondary market“ tätig, der 30–50 % ihres Geschäfts ausmacht. Einen ganz wesentlichen Einfluss haben die Auktionshäuser, die sich seit Ende der 90er Jahre systematisch und mit ständig wachsendem Erfolg auch mit der Versteigerung von Post-War und Contemporary Art befassen. In der momentanen Hochpreis-Situation behaupten sich neben den Spitzengalerien die jungen Galeristen, die sich auf noch nicht arrivierte Gegenwartskunst mit geringem Kostenaufwand spezialisiert haben. Der Mittelstand der Galerien tut sich dagegen schwer, im globalen Wettbewerb Schritt zu halten. Zu hoch sind die Betriebskosten und zu wenig Zeit bleibt bei dem heutigen Tempo des Ausstellungsbetriebs, Gegenwartskunst inhaltlich zu etablieren und durchzusetzen. Lange schien es, als würde es eine Art Betriebssystem geben, wonach die Durchsetzung von Kunst systematisch geplant werden kann. Jetzt nach fast 50 Jahren erfolgreicher Arbeit der Galeristen nach dem Kunstmarkt Köln gibt es nur wenige   Gewinner und viele Verlierer. Die Reichen von heute sind die Feudalherren vergangener Zeiten. Aber wie ist es dazu gekommen und wie soll es weitergehen, das sind die Fragen, die uns beschäftigen, und speziell: Wie steht es um das Galeriemodell?

Genau das war das Thema des „Talking Galleries Symposium“ am 29./30. September 2014 am MACBA in Barcelona. Ich war auf ein Podium eingeladen, das von der Moderatorin Dorsey Waxter, Präsidentin der Art Dealers Association of America, mit der Bemerkung eröffnet wurde, dass 2013 im Bereich Post-War and Contemporary Art weltweit etwa 16 Mrd. Dollar (das entspricht etwa 12,5 Mrd. Euro) umgesetzt wurden. Mich überraschte sie mit der Frage, welche Empfehlungen ich nicht etwa als Sammler, sondern als Unternehmer den Galerien in der heutigen Situation geben könnte. Ich war einigermaßen perplex. Unternehmer haben Ideen und entwickeln Strategien. Mit Unternehmensberatern stehen sie in einem Freund-Feind-Verhältnis. Deren Inanspruchnahme kann hilfreich sein, wenn es gilt, eigene Positionen gegen Widersacher durchzusetzen, aber auch Zeichen eigener Entscheidungsschwäche, bei vielen, selbst großen Wirtschaftsunternehmen der Anfang vom Ende. Im schlimmsten Fall übernehmen die Leiter des Finanz- und Rechnungswesen oder Controller die Geschäftsführung. Symptomatisch die Abhandlung „Management von Kunstgalerien“ (2014), eine Art auf empirischer Wirtschaftsanalyse beruhende Ratgeberliteratur von Magnus Resch, der am Ende seiner komplizierten, unternehmensberaterischen Vorschläge zu Recht klarstellt, dass sie sich nur auf professionelle Arbeit der Galerien und nicht auf die Persönlichkeit des Galeristen und die Qualität der vertretenen Künstler beziehen. „Weniger Kunstgeschichte, mehr Management“, so hier das Motto. Aber gerade das spezialisierte Wissen über die Kunst und das inhaltliche Arbeiten mit Künstlern sind die maßgeblichen Voraussetzungen für den Erfolg jeder Galerie. Ich bin ehrlich gesagt kein Freund von Beratung, die Unternehmer in ein Korsett spannt, und Art Consulting ist schon gar nicht meine Sache. Dementsprechend dürftig fielen meine Antworten auf dem Symposium aus.

Dabei war die Frage von Dorsey Waxter alles andere als unberechtigt. Die zahlreichen Untersuchungen zur Kunstmarktentwicklung – lesenswert die jüngsten, 2014 erschienenen Publikationen „Big Bucks: The Explosion of the Art Market in den 21st Century“ von Georgina Adam, und die wunderbare Polemik „Geld frisst Kunst – Kunst frisst Geld“ von Markus Metz und Georg Seeßlen – sind auf den Kunstbetrieb fokussiert, ohne diesen im gesamtwirtschaftlichen Kontext mit seinen monopolistischen und oligopolistischen Tendenzen zu verstehen. Allgemein geht es um die Frage, wie sich der Handel gegenüber konkurrierenden Großunternehmen behaupten kann. Am Anfang steht die Marktanalyse. Die vorliegenden Daten für den Bereich der Post-War und Contemporary Art beziehen sich auf die Umsatzzahlen, nicht auf die Gewinne, und basieren auf den Geschäftsberichten der Auktionshäuser, dem TEFAF Art Market Report 2014, der Pilotstudie des IFSE (Institut für Strategieentwicklung) zur Situation von Galerien in Deutschland 2013, Presseveröffentlichungen zu den Umsätzen von Gagosian und David Zwirner und langfristigen Untersuchungen wie von Magnus Resch und insbesondere der empirischen Studie „Das Kunstfeld“ von Heike Munder und Ulf Wuggenig (Hrsg., 2012). Die daraus resultierende Übersicht ist naturgemäß unvollständig. Gerade die langfristigen Untersuchungen sind aufgrund der starken Schwankungen des Kunstmarkts schon bei Erscheinen oft 4 überholt. Am Ende ist man auf Schätzungen und die Darstellung von Trends angewiesen, die jedoch sehr wertvolle Hinweise bieten und schließlich doch ein zuverlässiges Bild über die Entwicklung des Markts und die aktuelle Situation zulassen.

Die Umsätze der Auktionshäuser haben einen rasanten Verlauf genommen. In den letzten zehn Jahren von 2003 bis 2013 stiegen die jährlichen Versteigerungserlöse von 593 Mio. Euro auf 4,3 Mrd. Euro. Mit den zusätzlichen Geschäften im After Sales Bereich und den neuen Engagements im Online-Handel (Christie’s) und der Kooperation mit Ebay (Sotheby’s) liegt der Gesamtumsatz der Auktionshäuser für den Bereich der Post-War und Contemporary Art heute im Bereich von 6,5 Mrd. Euro. Die Galerien und Kunsthändler (sie werden in den Statistiken nicht separat aufgeführt) verzeichnen einen Umsatz von 5,7 Mrd. Euro. Die großen Drei, Gagosian mit 750 Mio Euro, David Zwirner mit 175 Mio. Euro und Hauser & Wirth ohne Angaben geschätzt auf ebenfalls 175 Mio. Euro, setzen ca. 1,2 Mrd. Euro um. Weitere mehr als 20 leistungsstarke Galerien wie Barbara Gladstone, Marian Goodman, Sprüth Magers und White Cube mit jährlichen Umsätzen von 15–100 Mio. Euro kommen auf einem Gesamtumsatz im Bereich von 0,9 Mrd. Euro. Die Umsätze der restlichen weltweit fast 8.000 Galerien belaufen sich auf 3,6 Mrd. Euro, wobei 20 % der Galeristen dieser Gruppe mit jährlichen Umsätzen von 1–3 Mio. Euro ca. 2 Mrd. Euro ausmachen. Der durchschnittliche Umsatz der 80 % kleineren Galerien liegt bei jährlich 250.000 Euro. Die Aufschlüsselung von 6,5 Mrd. Euro für die Auktionshäuser und 5,7 Mrd. für die Galerien bestätigt die von Dorsey Waxter genannte Summe von 12,5 Mrd. Euro für den Gesamtumsatz im Bereich der Post-War und Contemporary Art.

Zum Umsatz der vielen Start-up-Unternehmen im Bereich des Online-Handels für Gegenwartskunst liegen keine zuverlässigen Zahlen vor. Bereits jetzt wird von 1–2 Mrd. Euro gesprochen mit einem Steigerungspotenzial auf 20 Mrd. Euro bis zum Jahre 2020. Hier mag der Wunsch Vater des Gedankens sein. Nicht zuletzt im Hinblick auf die Fälschungsskandale der letzten Jahre, um nur die Fälle Beltracchi/Köln, Knoedler/New York und die Weigerung des Warhol Estate, weiterhin Echtheitszertifikate auszustellen, zu nennen, wird der freie Online- Handel eher im niedrigen Preissektor liegen. Aber auch das könnte sich ändern, wenn – wie jetzt schon bei Christie’s und Sotheby’s – seriöse Garantien für die Qualität und Echtheit 5 der Arbeiten abgegeben werden. Der Bedarf an allgemein zugänglicher Kunst zu vertretbaren Preisen ist vorhanden, wie die aufsprießenden Messen für „Affordable Art“ belegen. Kunst zum Billigtarif in allen Varianten, nicht nur online, sondern wie in Drogerie- und anderen Massenkonsummärkten: Eine Horrorvorstellung für etablierten Galeristen und Händler, die Hohepriester der Kunstvermittlung, aber doch eine logische Antwort auf ihre Hochpreispolitik.

Tendenziell bleibt festzustellen, dass mit der weltweiten Aufwertung der Gegenwartskunst ein Gegenprozess der Profanisierung und Entwertung eben dieser Kunst eingeleitet ist. Wer will sich schon mit den sintflutartig verbreiteten Abbildungen von Marilyn Monroe, Blumen und Dollarzeichen von Andy Warhol weiter beschäftigen. Das Original zu besitzen, ist nur ein schwacher Trost. Ähnliches könnte schon bald auch für die Überkopf-Darstellungen von Georg Baselitz und die Arbeiten von Francis Bacon oder Lucian Freud gelten. Markenprodukte sind ein wesentliches Kriterium der allgemeinen, insbesondere globalen Wirtschaft. Auf dem Kunstmarkt werden zurzeit nur etwa 50 Künstler mit Millionenpreisen verhandelt. Einerseits geht es um Verknappung, andererseits muss für Nachschub gesorgt werden: Längst haben die Auktionshäuser und die führenden Galerien Showrooms eingerichtet, in denen der bedeutungsvolle Brückenschlag der Tradition zur neuen Kunst präsentiert wird. Nur ein Beispiel die Christie’s-Ausstellung „The Bad Sheppard“ von Herbst 2014 bis Anfang 2015 in ihren Londoner Räumen, wo mit Pieter Breughel, Peter Doig, Jeff Koons, Neo Rauch und anderen eine ungewöhnliche Kombination von etablierten Arbeiten in einen Zusammenhang mit Nicole Eisenman, Sarah Lucas und Thomas Schütte gebracht werden, letztere offenbar die Positionen der Zukunft.

Die Zahlen sind verblüffend. Berücksichtigt man, dass die 25 Top-Galeristen mit einem Gesamtumsatz von ca. 2,1 Mrd. etwa 0,8 Mrd. Euro als Kunsthändler machen, hat der „secondary market“ im Bereich Post-War und Contemporary Art das Galeriegeschäft deutlich überholt. Addiert mit dem Umsatz von 6,5 Mrd. Euro der Auktionshäuser beläuft sich der Sektor des Kunsthandels auf geschätzt 7,3 Mrd. Euro, dem 4,9 Mrd. Euro, wahrscheinlich weniger, für das Galeriegeschäft im „primary market“ gegenüberstehen. Heute macht der Kunsthandel also fast 60 % des Geschäfts mit der Post-War und Contemporary Art aus. Noch erstaunlicher ist vielleicht, dass dieser Sektor weltweit von nur etwa 30 Unternehmen beherrscht wird. 6 Selbstverständlich werden Stimmen nach einer Regulierung des Kunstmarkts laut. Aber das wird erfahrungsgemäß noch weniger klappen als auf dem Finanzmarkt, der ganze Volkswirtschaften in Bedrängnis gebracht hat. Zentrum solcher Überlegungen ist der Stellenwert der Kultur in der Gesellschaft. Beispiel Deutschland stellvertretend für den Rückzug der Politik aus der Kultur in ganz Europa. Die Kunst hat ihre Lobby und sehr kompetente Kulturpolitiker, aber was können sie über gut gemeinte und salbungsvolle (Lippen- )Bekenntnisse in Zeiten der Finanzschwäche bei parallel laufender Konzentration der Wirtschaftsnation Deutschland im Kampf um die Behauptung im globalen Wettbewerb wirklich ausrichten? Da werden von der Landesregierung NRW zwei bedeutende, mit öffentlichen Mitteln erworbene Warhol-Arbeiten versteigert. Der Bund verhandelt in einer Art Geheimverfahren über TTIP („Transatlantic Trade and Investment Partnership“), das alles andere als eine „partnership“ ist, sondern den freien Handel unter dem Schlagwort der Wettbewerbsverzerrung (keine staatlichen Subventionen für Kunst, keine Buchpreisbindung mehr) zum Totengräber der Kultur in Deutschland machen könnte, wie es der Anwalt Peter Raue jüngst treffend formuliert hat.

Brisant auch die Vorstellung vieler Gemeinden und Länder in Deutschland, ihre staatliche Unterstützung von Kulturinstitutionen zunehmend durch Public Private Partnership zu ersetzen. Weit gefehlt. Große Wirtschaftsunternehmen, z.B. VW bei MoMA und BMW bei Tate Modern, engagieren sich mit respektablen Summen und langfristig, es heißt heute so schön „nachhaltig“, bei internationalen Museen mit hohen Besucherzahlen. Die Manager bestehen darauf, dass die Gegenleistung stimmt. EON verkauft Pollock und Daimler Warhol, als wären das nur Bilanzposten. Ungelöst auch das ganz große Thema der zurzeit noch völlig legalen Ausnutzung von weltweiten Steueroasen und der Möglichkeit vieler Großsammler, Investoren und Spekulanten, ihre Sammlungen über Firmen aufzubauen und in Freilagern, allen voran immer noch die Schweiz mit Genf als Zentrum, zu deponieren. Die Politik bewegt sich nur langsam und schrittweise voran.

Natürlich kann man sich fragen, was all diese Überlegungen mit dem eigentlichen Thema der Position der Galeristen heute, gerade der Mittelschicht, zu tun haben. Sehr viel, denn im Zentrum stehen die Finanzen. Hochpreisgalerien behaupten ihre Stellung gegen die Auktionshäuser mit Unterstützung der Kunstmessen unter Führung der Art Basel. Einflussreich auch ihr Engagement für die Documenta und 7 die Biennalen und Triennalen, wie zuletzt massiv 2013 auf der Biennale in Venedig. Die Auktionshäuser beschäftigen sich längst auch mit junger Gegenwartskunst, und die großen Galeristen und Kunsthändler halten mit der Betreuung von Estates, etwa Donald Judd bei Zwirner, Louise Bourgeois bei Hauser & Wirth und unlängst Walter de Maria bei Larry Gagosian, dagegen. Die internationalen Märkte definieren sich aber nicht über nur ganz groß und ganz klein. Mit betriebswirtschaftlichen Management-Empfehlungen wie von Magnus Resch hat das   schon gar nichts zu tun. Entscheidend sind die Strategien. Die großen Unternehmen der Branche stehen in einem knallharten Wettbewerb. Sie sind angewiesen auf die Unterstützung nicht nur der Newcomer heutiger Event- und Subkultur, sondern weit mehr noch auf die jahrzehntelange Aufbauarbeit der Spezialisten und Connaisseure.

Ja, das ist ein Plädoyer für das Galeriemodell, das trotz aller Schwanengesänge nach wie vor in der Vermittlung zwischen alt und neu entscheidende Akzente setzt. Der Mittelstand ist bei weitem nicht abgeschrieben. Er behauptet sich wie allgemein in der Weltwirtschaft sehr gut. Und doch müssen die Galeristen die Zeichen der Zeit erkennen. Längst können sie sich nicht mehr auf die Künstler verlassen, die bei Erfolg in den Hochpreisbereich abdriften. Auch die bloße Nachahmung der Erfolgsgalerien kann keine sinnvolle Strategie sein. Vielmehr geht es darum, deren Schwachstellen auszumachen und auf Innovation zu setzen. Die Zahlen belegen, dass sich die Grenzen zwischen „primary market“ und „secondary market“ längst verwischt haben. Galerie pur kann nicht die Lösung sein. Dieser Beitrag möge bitte nicht als Betriebsanleitung, sondern als Anstoß von Überlegungen verstanden werden.

Aus TEXTE ZUR KUNST, Heft Nr. 96 / Dezember 2014

Tags: Gegenwartskunst, Junge Kunst, Kunstkauf, Kunstmarkt, Postmoderne, Sammler, Sammlung Falckenberg

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