Liddy Scheffknechts Arbeiten überspannen ein breites mediales Spektrum und sind dabei dennoch Teil eines kohärenten, fortlaufenden Programms. In fotografischen Sequenzen, Installationen, Skulpturen, Zeichnungen, Projektionen und Medienhybriden untersucht sie spielerisch und mit Präzision das Verhältnis von Zeitlichkeit, Wahrnehmung und Raum. Dabei werden Erdrotation und immaterielle Medien wie Sonnenlicht und Schatten zur Verwendung gebracht ebenso wie klassische bildhauerische Materialien und digitale Medien.Die ortsspezifische Installation mirage setzt sich aus einem Bild, einer Projektion und dem Ausstellungsraum selbst zusammen und bezieht sich auf das optische Phänomen der Luftspiegelung. Trifft Licht im flachen Winkel von einer heißen auf eine kalte Luftmasse, wird es gebrochen. Es entstehen optische Versetzungen und Verdoppelungen.
Dem Konzept der optischen Verdoppelung folgend, isoliert Liddy Scheffknecht ein innenarchitektonisches Element des Ausstellungsraumes: einen Betonpfeiler – und stellt das Motiv dem Abbild gegenüber. Damit tritt die funktional-statische Rolle des Pfeilers zugunsten seiner ästhetischen zurück und erhöht ihn zur minimalistischen, freistehenden Säule. Säulen exemplifizieren Gestaltungs- und Ordnungssysteme und erwecken bei Kunst- und Architekturtheoretikern genug Interesse, um an ihnen Stil- und Epochenzuordnungen vornehmen zu wollen. Im modernen Galerieraum treten sie allerdings im besten Fall in den Hintergrund und werden nur peripher wahrgenommen. Oft verstellen sie den Blick der Betrachter und zwingen diese, unterschiedliche Positionen im Raum einzunehmen, um sie auszublenden. Diese zwiespältige Spannung von Betrachter und Nicht-Betrachtetem wird von Liddy Scheffknecht um eine weitere Verdopplung ergänzt: Gleich einer Luftspiegelung eines Ausstellungsbesuchers wandert ein menschlicher Schatten auf der Bildfläche dem Volumen der Säule entlang. Der Schatten richtet sich auf und entfaltet sich. Er beginnt sich aus dem Bildraum in den Ausstellungsraum zu bewegen, um sich dann langsam wieder zusammenzuziehen und aufzulösen.
Ein weiteres funktionales Bauelement kommt in der sechsteiligen Fotosequenz pipe zum Einsatz. Sie ist Teil einer Serie von Sonnenlichtinstallationen, welche seit einigen Jahren entstehen. Ein Elektroinstallationsrohr liegt scheinbar achtlos auf einem Boden. Ein gewöhnlicher Lichtfleck im Raum, entstanden durch direkten Sonnenlichteinfall, wird durch eine auf dem Fenster angebrachte Silhouette in eine bestimmte Form gebracht. Es entsteht ein Lichtbild, welches, angetrieben durch die Erdrotation, durch das Zimmer wandert und sich in Form, Größe und Proportion langsam zu verändern beginnt. In einem bestimmten Moment verbindet sich das geformte Licht mit dem Plastikrohr im Raum. Es entsteht die Illusion einer Einheit von Gegenstand und Lichtprojektion. Die Fotoserie zeigt Momentaufnahmen des wandernden Lichts im Laufe mehrerer Stunden.
Die Zeichnungsserie crayon scratch drawings entstand als Vorstudien zu den Lichtinstallationen. In den Wachskreidezeichnungen trägt Liddy Scheffknecht erst weiße, seltener farbige, dann schwarze Wachskreide in zahlreichen Schichten auf. Aus dem tiefschwarzen Blatt werden die Motive wie Fenster, Silhouette im Fenster, der Raum und das Licht herausgeritzt und dabei ein Moment des Sonnenlaufs fixiert.
Die Ausstellung zeigt mehrere Originalzeichnungen sowie eine spezielle Edition, die zahlreiche der Zeichnungen in der Technik des Risoprints, einem maschinellen Siebdruckverfahren, reproduziert.
Die Übersetzung von Zeit in Raum ist auch Thema zweier Objekte, die sich zwischen Skulptur und Möbelstück bewegen. In einer experimentellen Anordnung beobachtet Liddy Scheffknecht wie ein Streifen einfallendes Sonnenlicht an einem Septembertag durch den Raum wandert. Alle 40 Minuten markiert sie die Position sowie den Winkel des Strahles und nimmt ihre Beobachtungen als Ausgangspunkt, um ein Regal und einen Tisch zu entwickeln, in welchem die wandernden, immateriellen Sonnenstrahlen greifbar und zu Trägern eines Regalbodens bzw. einer Tischplatte werden. Liddy Scheffknecht, geb. 1980 in Dornbirn, lebt und arbeitet in Wien. Sie ist Absolventin der Universität für angewandte Kunst Wien und der École Nationale Supérieure des Beaux-Arts Paris. Seit 2006 ist sie mit ihren Arbeiten regelmäßig in nationalen und internationalen Gruppenausstellungen vertreten, wie der Biennale of Young Artists of Europe and the Mediterranean 2009, der Moscow Biennale for Young Art 2010 oder der Sinop Biennale 2012. Ihre letzten Einzelpräsentationen waren unter anderem 2012 im Kunsthaus Graz, 2015 in der Galerie der Stadt Wels, 2016 im Kunsthaus Nexus, Saalfelden und in der Galerie Georg Kargl Fine Arts in Wien zu sehen.