Die in Luzern/CH und in Berlin arbeitende Künstlerin Nina Staehli (Jhg. 1961) zeigt in der städtischen Galerie eine multimediale Installation zur Erforschung des „Gierorgans“ mit pneumatischen Plastiken, Videos, Skulpturen, Malerei und Texten.Obwohl es sich bei der Gier nicht um eine der sieben Hauptsünden der katholischen Sittenlehre handelt, wird sie allgemein als eine solche ‚Todsünde‘ betrachtet. Nicht erst seit der Finanzkrise von 2007 ff. ist zwar speziell die Profitgier massiv sozial geächtet, aber andererseits liest und hört man aus dem Bereich des Sports, dass Mannschaftsspieler sich selbst als torgierig (oder –hungrig) bezeichnen oder Trainer von ihren Sportlern solches widerspruchslos fordern. Die Ambivalenz wird deutlicher, wenn Gier im Begriff der Selbstoptimierung verballhornt wird: Mehr vom Leben haben & immer länger leben wollen, die Freizeit intensiver genießen, das Lernen, die Karriere, das Alter etc.pp optimieren – mit anderen Worten also in allen Lebensbereichen mehr begehren, mehr… mehr… mehr…
Sicherlich ist Gier ein Lebensimpuls, antreibend, neugierig und unternehmungslustig machend. Aber der Gier nachzugeben, ist auch eine süße Verführung der Erfolgreichen. Ohne Gier kein Fortschreiten, doch die Kehrseite der Medaille hat schon der Schrifsteller Robert Musil sarkastisch karikiert, wenn er sagte, "Fortschritt wäre wunderbar - wenn er einmal aufhören würde." Der straffällig gewordene Ex-Top-Manager Thomas Middelhoff sagt über sich, aber auch ganz grundsätzlich: "Ja, Karriere und Gier scheinen Hand in Hand zu gehen...". Den Suchtfaktor "Gier" erläutert er in seinem Fall nicht aus irgendeinem nachvollziehbaren Bedürfnis heraus, denn "Die Gier nach monetären Dingen hat sich komischerweise erst richtig entwickelt, als ich eigentlich alles hatte, als ich den Bonus von 100 Millionen Euro bekam." (Zitate FAS 18.8.19, S.33)
Bei einem früheren Projekt („Glory Land“) recherchierte Nina Staehli im Reservat der Cherokee-Indianer in den Südstaaten der USA. Für ihre Interviews mit Cherokee- und Choctaw-Tribes erstellte sie einen Fragebogen, dessen letzte Frage lautete, wie sich die Vertreter der Indian Nations ein „Gierorgan“ vorstellen. Eine Beschreibung war die eines Riesengeschwürs im Kopf, eine andere verortete es in der Nähe des Herzens. Und so entwarf sie ihre Vision eines entsprechenden Organs, das sie in einem fiktiven medizinischen Erläuterungstext als "primäres oder zentrales Organ" bezeichnet.
Die Schweizer Künstlerin kommt ursprünglich vom Theater. Obwohl sie auch malt, zeichnet oder Gipsplastiken macht, beschränkt sie sich niemals auf zwei- oder dreidimensionale Artefakte. Sie entwirft auch Performances oder macht Videos. Für ihre künstlerische Untersuchung des Phänomens der Gier hat sie eine Form für ihr Thema gesucht und gefunden, gewissermaßen ein Sinnbild, eine dreidimensionale Metapher. Das „Gierorgan“ ist hypertroph, es wächst und wuchert, es vervielfältigt sich in zahllosen kleinen Plastiken, schwillt an in zwei zum Platzen prallen pneumatischen Plastiken.
Zur Ausstellung erscheint eine kostenlose Broschüre/Besucherinformation mit einem Text von Hans-Peter Miksch.