Yan Pei-Ming ergründet in seiner neuen Werkserie die Komplexität der aktuellen globalen Entwicklungen und ihre vielschichtigen Auswirkungen, sowohl auf gesellschaftlicher als auch auf persönlicher und emotionaler Ebene. Während die Arbeiten Yan Pei-Mings bis zuletzt häufig durch die Auseinandersetzung mit den Werken und dem Vermächtnis anderer Künstler, wie beispielsweise Gustave Courbet, geprägt waren, markiert diese Ausstellung die Rückkehr des Künstlers zu sich selbst. Die in den letzten Monaten entstandenen Selbstporträts und Stillleben sind von Gefühlen der Enge und der Einsamkeit bestimmt, die der Künstler während seiner monatelangen Isolation durchlebt hat. In diesen vielfältigen Gemälden setzt sich Yan Pei-Ming auf intime und eindrücklich direkte Weise mit den präzedenzlosen Konflikten der gegenwärtigen Situation auseinander.Tief in der Tradition der europäischen Malerei verwurzelt, verbindet diese kürzlich entstandenen Werke die Auseinandersetzung mit dem Verstreichen der Zeit. Die Schlüsselthemen Yan Pei-Mings Gemälde beziehen sich seit langem auf die Geschichte und die Kunstgeschichte und auch in dieser Serie sind klassische Bildthemen vorherrschend. Die Stillleben mit Totenschädeln erinnern an Vanitas-Gemälde des 17. Jahrhunderts, oder auch an Künstler der Moderne wie Paul Cezanne. Die Werke evozieren dabei etablierte ikonografische Konnotationen wie die Vergänglichkeit und die Fragilität des Lebens, besitzen jedoch zugleich eine universelle und zeitgenössische Ebene – eine für den Künstler charakteristische Dualität. In einer Zeit der physischen Isolation, in der jeder Tag dem folgenden glich, gewann das Thema Zeit für den Künstler eine noch nie da gewesene Dimension, die ihn dazu veranlasste, sich diesem klassischen Bildthema zu widmen.
Die Selbstporträts in der Ausstellung dokumentieren einen Wendepunkt im Werk des Künstlers. Erst vor kurzem kehrte er nach über 30 Jahren zu dieser für ihn in den ersten Phasen seiner künstlerischen Entwicklung bedeutenden Bildgattung zurück.
Mein erstes Selbstporträt entstand im Alter von dreizehn Jahren. Da ich kein Modell hatte, malte ich mich selbst mit Hilfe eines Spiegels, ohne jemanden zu stören. [...] Als ich in Europa ankam, unternahm ich eine Reise nach Amsterdam und sah die Selbstporträts von Rembrandt. Seitdem habe ich das Thema nicht mehr wieder aufgegriffen. Wenn man sich seine Selbstporträts ansieht, kann man darin den Fortlauf der Zeit erkennen. Es ist so außerordentlich, dass es mich verstört hat. Ich sagte mir: Ich werde darüber nachdenken, und ich denke nun bereits seit zehn Jahren darüber nach. Yan Pei-Ming
Die Porträts zeigen den Künstler aus verschiedenen Blickwinkeln und wurden damit zu einer beständigen Dokumentation seines eigenen Abbildes während der Zeit in Isolation. Diese Werke dokumentieren seine Emotionen in bestimmten Momenten, wie Schnappschüsse seines geistigen Zustands, die zu verschiedenen Tageszeiten und unter verschiedenen Lichtverhältnissen aufgenommen wurden. Die Verdeckung der unteren Gesichtshälfte durch die Maske in Self-portrait with Mask betont Yan Pei-Mings forschenden und direkter Blick auf eindringliche Weise. Das Porträt visualisiert einen kulturellen Schlüsselmoment – die Omnipräsenz der Maske – und fängt gleichzeitig Emotionen ein, die auf paradoxe Weise ebenso allgegenwärtig wie individuell sind.
Eine sehr persönliche Retrospektive mit einem Schwerpunkt auf Selbstporträts wird 2021 im Musée Unterlinden eröffnen und den Fokus auf das Innere im Werk von Yan Pei-Ming weiter vertiefen.