In seinen aktuellsten Werken setzt sich Deniz Alt mit der Darstellung des Menschen in verschiedenen Mischwelten auseinander. Die Zeiten der Lockdowns haben auch den Deutsch-Türkischen Künstler mit armenischen Wurzeln stark beeinflusst. Untersuchte er in früheren Werken u.a. das Schicksal und kulturelle Erbe von Armeniern im Osmanischen Reich, widmet er sich nun vor allem seinem Gefühlsempfinden.
Losgelöst von seinen früheren Arbeitsstrategien – dem Malen gingen oft Recherchereisen ins Ausland voraus – versucht Deniz Alt nun seinen „Geist zur Ruhe kommen zu lassen“, wie er selbst sagt. Aufgewühlt und beunruhigt durch die Folgen der Pandemie, macht sich der Künstler auf die Suche nach neuen Motiven und Ausdrucksformen auf der Leinwand. Formen und Figuren auf seinen Gemälden treten aus einer nebelartigen Umgebung hervor und erkunden den leeren Raum. Isoliert, selten zu zweit, treten sie ihren Weg an. Stilistisch folgt er der Ästhetik seiner vorangegangenen Gemälde aus der Serie Das Erbe Istanbuls (2018). Neu ist auch die vielfältige Farbpalette und sein Umgang mit der Ölfarbe. Punktuell trägt er diese pastos auf. Schon zu Studienzeiten hat er sich mit dem Material intensiv auseinandergesetzt, auch damals trug er die Farben dick auf, fast reliefartig. Unverdünnt und mit starken Pinselstrichen übermalt er die Figuren und unterbricht seinen bekannten Malfluss. Er selbst sagt, dass ihm dieser sehr bewusste Farbauftrag Halt gibt und einen Anker für die Figuren und Räume bildet. Die dargestellten Motive entschweben ihm so nicht, da er sich selbst in seiner Malerei gerade zwischen Loslassen und Festhalten befindet und experimentiert.
Auch das Warten, das Innehalten sind Themen seiner Werke. In Zeiten in denen das Reisen stark eingeschränkt ist, widmet er sich dem Thema der Stadt im Bild. Das Gemälde Großstadtgefühle (2020) drückt seine starke Zuneigung zu Berlin aus. Hielt er sich in der Zeit vor der Pandemie oft in der pulsierenden Metropole auf, sind Besuche nun zur Seltenheit geworden. In der Stadtansicht finden sich zahlreiche architektonische Versatzstücke. Erst bei genauerer Betrachtung können diese entdeckt werden. Deniz Alt hat Werke der großen Meister, wie z.B. Bernardo Bellotto (*1722 – +1780), analysiert. Perspektive, Architektur, aber auch die gesellschaftliche Symbolkraft von Orten waren ausschlaggebend, für die Entstehung des Gemäldes. Klubbesucher_innen, Szenen eines Besuchs der 1.-Mai-Demo in Kreuzberg oder ein Liebespaar am Brandenburger Tor sind zu erkennen. In der Ausstellung bildet das Bild einen zentralen Punkt.
Ausgehend von den Städtedarstellungen bilden die fiktiven Porträts einen Rahmen. Menschen unterschiedlichen Alters gruppieren sich um die architektonischen Arbeiten. Ein Werk sticht besonders hervor: Die Königin (2020) zeigt eine queere Person. Sie setzt sich deutlich von der gesellschaftlich geprägten Cisgender-Heteronormativität ab. Deniz Alts Geschlechterbild wurde in der Kindheit geprägt. Seine Mutter arbeitete in Frankfurt für verschiedene Modelabels, entwickelte Schnittmuster für Kund_innen in Mailand und Paris. Die Ästhetik der Runways hat sich in sein Gedächtnis eingebrannt. Diese Vorstellung hat Deniz Alt in Die Königin unbewusst durchbrochen. Der weiblich anmutenden Figur zeichnete er ein Gesicht mit maskulinen Zügen. Für den Künstler fühlt sich das richtig an, somit hat er es auch nicht vollendet, beließ die fiktive Figur sozusagen in einer Übergangswelt. Betrachter_innen sind so aufgefordert sich mit der aktuellen Genderthematik auseinanderzusetzen.
Auch das Thema der Großfamilie, ebenso immer mehr abweichend von unseren gesellschaftlichen Normen, beschäftigt ihn. Die Familie (2020) zeigt einen weiteren Bruch in seinem Schaffen und ist ein Hinweis auf die gelebte Gegenwart. Aus einer türkischen Großfamilie stammend fallen auch bei Deniz Alt gewohnte Familienzusammenkünfte weg. Die Distanz zu unseren Mitmenschen und die Auflösung in eine absolute Anonymität und in individuelle Lebensformen sind gerade in seiner Heimatstadt Frankfurt am Main spürbar. 2016 wurde die Finanzmetropole als Stadt der Singles betitelt. Zurückhaltende Menschenansammlungen, verborgen durch einen sanften Schleier, zeigt das längsrechteckige Gemälde. Das Greifen nach den fiktiven Personen kostet den Künstler viel Kraft. Viele stellen Figuren in seinem Alter dar. Er vergleicht sie mit sich selbst und bezeichnet dies als eine empirische Selbsterforschung. So bietet sich auch ein sehr intimer Blick auf das Gefühlsleben des Künstlers.
Die Figuren seiner Gemälde sind Grenzgänger_innen und verweisen auf die Gegenwart. Langsam bewegen sie sich auf die Betrachter_innen zu, lösen sich teilweise auf, schreiten aber entschlossen und mit selbstbewusstem Blick voran. Sie liefern uns die Botschaft des Künstlers, der sich wünscht, dass wir alle unsere Zukunft gemeinsam positiv verändern.
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