Tomi Ungerer (1931–2019) gilt als einer der einflussreichsten Zeichner, Illustratoren und Kinderbuchautoren. Publikationen wie Die drei Räuber, Heute hier, morgen fort und Der Nebelmann machten ihn weltberühmt. Darüber hinaus schuf Ungerer Plakate gegen den Vietnam-Krieg und Rassenkonflikte, unternahm Milieustudien in der Hamburger Herbertstraße, verarbeitete zeichnerisch kriegstraumatische Erinnerungen oder erstellte Großcollagen im Spätwerk.In der großen Ausstellung TOMI UNGERER – IT’S ALL ABOUT FREEDOM zeigen die Deichtorhallen Hamburg in der Sammlung Falckenberg in Zusammenarbeit mit dem Tomi Ungerer Estate und dem Musée Tomi Ungerer in Straßburg erstmals einen umfassenden Querschnitt durch neun Jahrzehnte seines künstlerischen Schaffens – von Zeichnungen aus den 1930er-Jahren bis hin zu Objekten aus den 2010er-Jahren. Die Ausstellung, die zum 90. Geburtstag von Tomi Ungerer eröffnet wird, präsentiert knapp 400 Exponate und wirft ein neues Licht auf Ungerers Werk, indem sie die politischen und stilistischen Linien und Brüche in seiner künstlerischen Dimension nachvollziehbar macht. Mit zahlreichen unveröffentlichten Arbeiten sensibilisiert sie zudem für die künstlerische Dimension seines umfangreichen Werkes, das etwa Bezüge zu Otto Dix, Lyonel Feininger und John Heartfield, aber auch zu Martin Kippenberger und Martha Rosler aufweist.
In Ungerers Werken sind die Grenzen zwischen angewandter. Illustrierender und freier Kunst gleichsam aufgehoben: Sich zwischen Zeichnung, Collage und Assemblage bewegend, zeigt sich Ungerer als »free-wheeling artist«, der seiner Suche nach der Condition humaine nachgeht. In der Ausstellung wird dies nicht zuletzt durch Filme mit und über Tomi Ungerer dokumentiert.
Ein thematischer Strang der Ausstellung in der Sammlung Falckenberg spürt den Verbindungen zwischen Motiven aus Ungerers Kinderbüchern und Motiven aus seinen gesellschaftspolitischen sowie biographischen Büchern nach. Gezeigt werden außerdem unveröffentlichte Werke und Werkgruppen aus dem Frühwerk als auch Vorstudien für Bücher oder Beobachtungen aus seiner Zeit in den USA, Kanada und Südirland. Der Großteil der Werke stammt aus dem Tomi Ungerer Estate in Cork, Irland und wird durch eine umfassende Auswahl aus dem Musée Tomi Ungerer-Centre international de l’Illustration sowie zusätzliche Leihgaben aus Galerien und Privatbesitz ergänzt. Ein speziell für Kinder eingerichteter Raum präsentiert die zeichnerische Erzählwelt der Kinderbücher Ungerers. Darüber hinaus sind Filme mit und über Tomi Ungerer in der Ausstellung zu sehen. Der unmittelbare Bezug zur Sammlung Falckenberg wird in der Ausstellung mit ausgewählten Exponaten aus der Sammlung eindrucksvoll veranschaulicht.
Das Werk Ungerers ist stark von den politischen Ereignissen seiner Zeit beeinflusst. In der Besatzungszeit nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte Ungerer die gegenseitigen Sprachverbote der deutschen und französischen Regierung in Straßburg. In der Grenzregion aufgewachsen verlor Ungerer seine kulturelle und gesellschaftliche Zugehörigkeit. Dieser Verlust der kulturellen Identität prägte Tomi Ungerer sein ganzes Leben. 1956 ging er nach New York, wo er unter anderem Plakate für die New York Times gestaltete. In Underground Sketchbook (1964) und The Party (1966) karikierte er die amerikanische Gesellschaft, seine Plakatillustrationen thematisierten den Vietnam-Krieg und den alltäglichen Rassismus. Ungerers Gesellschaftskritik stieß jedoch auf wenig Akzeptanz und veranlasste ihn, mit seiner Familie nach Kanada zu ziehen. Die politischen Verhältnisse, der Schwermut und der langsame Verfall Neuschottlands, von denen sich Ungerer umgeben sah, spiegeln sich unter anderem in seinem später erschienenen Buch Slow Agony (1983) wider. 1976 siedelte er mit seiner Frau Yvonne Wright und den gemeinsamen Kindern auf eine Farm nach Südirland um, wo er – unterbrochen von einem mehrmonatigen Rechercheaufenthalt zu seinem Buch Schutzengel der Hölle (1986) in den Achtzigerjahren in Hamburg – bis zu seinem Tod lebte und arbeitete.
ÜBER TOMI UNGERER (1931–2019)Tomi Ungerer, 1931 in Straßburg geboren und 2019 im irischen Cork gestorben, lebte und arbeitete von 1956 bis 1971 in New York und verbrachte dann einige Jahre in Nova Scotia, Kanada. Seine Arbeiten wurden in vielen Einzelausstellungen gezeigt, u.a. im Museum Folkwang, Essen (2016), Kunsthaus Zürich (2015), Museum Wilhelm Busch, Hannover (2014), Caricatura Museum für Komische Kunst, Frankfurt (2012), Kunsthalle Würth, Schwäbisch Hall (2010), Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg (1999) und Deutsches Historisches Museum, Berlin (1999)
PUBLIKATIONBegleitend zur Ausstellung erscheint der Katalog »Tomi Ungerer – It’s all about freedom«. Mit Texten von Thomas David, Belinda Grace Gardner, Dirk Luckow, Thérèse Willer und Aria Ungerer. Klappenbroschur, 264 Seiten, mit über 180 farbigen Abbildungen. In deutsch und englisch. Hatje Cantz Verlag, Berlin.