Günter Brus und Alfons Schilling lernten sich 1958 in der Klasse für Malerei an der Akademie für angewandte Kunst in Wien kennen. Beide waren unzufrieden mit der Ausbildung und suchten Anschluss an die…
Günter Brus und Alfons Schilling lernten sich 1958 in der Klasse für Malerei an der Akademie für angewandte Kunst in Wien kennen. Beide waren unzufrieden mit der Ausbildung und suchten Anschluss an die…
Günter Brus und Alfons Schilling lernten sich 1958 in der Klasse für Malerei an der Akademie für angewandte Kunst in Wien kennen. Beide waren unzufrieden mit der Ausbildung und suchten Anschluss an die internationalen Tendenzen der Zeit. Die neue Ausstellung im BRUSEUM beleuchtet noch bis 13. Februar 2022 anhand zentraler sowie nahezu unbekannter Arbeiten jene kurze Zeit um 1960, in der Günter Brus und Alfons Schilling über die Malerei des Informel zu ihrer international bedeutsamen Neuausrichtung der Kunst fanden.
Wien vor 1960Wien war in den 1950er-Jahren ein „versumpftes Loch“ mit unbelehrbaren Bewohner*innen, die „noch immer diese Nazi-Ideologie“ im Hirn hatten (Markus Prachensky). Alles, was neu war, egal ob es in der Literatur, der Musik oder der bildenden Kunst war, wurde angefeindet. Es gibt lediglich zwei Galerien, die sich durch ein dezidiert avantgardistisches Programm auszeichnen: die Galerie Würthle und die Galerie St. Stephan (später: Galerie nächst St. Stephan). Im Jahr 1957 begründen Wolfgang Hollegha, Josef Mikl, Markus Prachensky und Arnulf Rainer, die sich an der Akademie der bildenden Künste kennengelernt hatten, die Gruppe „Galerie St. Stephan“. Die vier Schützlinge von Monsignore Otto Mauer bekommen ein Mitspracherecht beim Galerienprogramm und holen internationale Künstler wie Wols, Georges Mathieu oder Hans Hartung nach Wien. Am 2. April 1959 zeigt Georges Mathieu im Theater am Fleischmarkt in Wien eine seiner öffentlichen Schaumalereien. Er malt zur Musik von Pierre Henry in fünfzig Minuten ein 600 x 250 cm großes Bild. Zuvor führt Prachensky seine Malaktion „Peinture Liquide“ durch, bei der er von oben literweise rote Farbe über eine aufrecht stehende 400 x 1000 cm große, weiße Leinwand rinnen lässt. Das erste Schüttbild Wiens wird aber nach Fertigstellung vom Künstler zerstört, da es ihm um ein Ereignis in der Zeit und nicht um das fertige Bild geht. Das Wiener Publikum war zu großen Teilen empört und voller Unverständnis für diese Form der Schaumalerei.
Günter Brus und Alfons Schilling lernen sich 1958 in der Klasse für Malerei an der Akademie für angewandte Kunst in Wien kennen. Beide sind unzufrieden mit der Ausbildung und suchen Anschluss an die internationalen Tendenzen der Zeit. Die Malaktionen am Fleischmarkt haben beide nicht gesehen, doch ist der kritische Widerspruch zur abstrakten Malerei ihrer Zeit ein prinzipieller Ausgangspunkt und Antrieb ihrer Kunst.
MallorcaNachdem beide Künstler die Akademie 1959 nach Konflikten mit dem Lehrpersonal ohne Abschluss verlassen, fahren sie Ende Jänner 1960 gemeinsam nach Puerto de Andraitx. „Es war eine Schlüsselzeit für Brus und Schilling, eine befruchtende Zeit und es war schnell klar, dass wir diese Künstler gemeinsam ausstellen“, erklärt Kurator Roman Grabner.
Auf Mallorca lernen sie die junge amerikanische Künstlerin Joan Merritt kennen, die sie mit ihren abstrakt-expressionistischen Bildern tief beeindruckt. Schilling beendet in Mallorca seine expressive Malerei im Stile Gustave Courbets und arbeitet an Bildern, für die er neben Farben auch Sand, Gips, Ziegel und Metallteile verwendet. Brus versucht sich in freien Zeichnungen von den akademischen Formen zu lösen. Der Weg zur gestischen Formensprache führt bei Brus einerseits über den Kubus und seine architektonische Verschachtelung, andererseits über den menschlichen Körper und seine strukturelle Rückführung auf geometrische Formen. Augenfällig an den Zeichnungen ist die Auseinandersetzung mit dem Werk Fritz Wotrubas und seiner Tektonisierung der Anatomie und die Nähe zu utopischen Entwürfen der zeitgenössischen Architekturavantgarde. Brus geht einerseits vom Motiv der „Liegenden“ aus und transformiert die Kuben zunächst in Zylinder, um diese sukzessive immer dynamischer und unabhängiger von der Körperform ins Bild zu setzen. Die Autonomisierung der Form führt zu einer Autonomisierung der Geste und am Ende bleibt ein All-over sich überlagernder Kreisformen. In einer zweiten Entwicklung zergliedert er einen Kubus und vermehrt seine Einzelteile wie bei einer biologischen Zellteilung. In Mallorca bedeckt er diese Konglomerationen sodann mit Schraffen, um diese schließlich zu verflachen und als autonome Strichbündel zu überlagern. Zum Zeichnen legt er das Papier direkt auf den Steinboden, dreht das Blatt mehrmals, um eine klare Zuordnung von oben und unten auszuschließen, und bearbeitet es mit dem Bleistift so heftig, dass es aufreißt.
Nachdem Brus von Barcelona per Anhalter zurück in die Steiermark gefahren ist, verbringt er den Sommer im Haus seiner Eltern in Gießenberg. Er arbeitet mit schwarzer Kunstharzfarbe auf ungrundiertem Packpapier und fertigt Bilder an, die seinen Durchbruch zu einer rein gestisch bestimmten Ausdrucksform zeigen.
Rückkehr nach WienIm Sommer 1960 besuchen beide Künstler unabhängig voneinander die XXX. Biennale von Venedig, wo sie Werke von Emilio Vedova, Francis Kline und Philip Guston im Original sehen, die sie in ihrem Tun bestärken. Zurück in Wien entwickeln Brus und Schilling eine gestische Malerei, die den Bildraum völlig ignoriert. Man trifft sich beinahe täglich, studiert den Katalog der documenta II und diskutiert die Herausforderungen der Malerei nach Pollock. Beide Künstler streben nach einer sich in alle Richtungen gleichwertig entwickelnden, expansiven Malerei. Schilling proklamiert eine „totale Malerei“, die allerdings ohne Manifest bleibt.
Ende des Jahres 1960 erhält Brus die Einladung zu einer Einzelausstellung in der Galerie Junge Generation am Börsenplatz 1. Aus Freundschaft und wohl auch weil er für die Ausstellung 2.000 Schilling hinterlegen muss, die am Ende auch verrechnet werden, lädt er Alfons Schilling ein, diese Schau gemeinsam mit ihm zu bestreiten. Die Künstler bekommen nur den Raum zur Verfügung gestellt und müssen sich um die Organisation und die Aufsicht selbst kümmern. Im Februar 1961 erhält Brus den Einberufungsbefehl und kann sich daher an den Vorbereitungsarbeiten nicht mehr beteiligen, nur für die Eröffnung erhält er einige Tage Urlaub. In der Ausstellung, die am 23. Mai eröffnet wird, zeigen die beiden Künstler großformatige Arbeiten, die sie in den Monaten davor aus der Konsequenz ihres Mallorca-Aufenthaltes entwickelt haben.
Die Rezensionen der österreichischen Tageszeitungen spiegeln das von ironischer Hilflosigkeit bis zu Ablehnung reichende Kunstverständnis der Öffentlichkeit: „Kritik über diese Malerei gibt es nicht. Man kann sich schließlich nicht über Kleckse wichtig machen.“ (Franz Tassié im Express). Und Tassié weiter: „Die beiden jungen Maler tragen Bluejeans und sehen gesund aus. Vielleicht tragen sie auch Pistolen. Auch so sehen sie aus. Man kann sich natürlich täuschen. Vielleicht besitzen sie eine Seele und wissen, was sie tun. Das ist noch nicht ganz klar.“ Lediglich der einflussreiche Kunstkritiker und spätere Museumsdirektor Alfred Schmeller formuliert im Kurier etwas respektvoller und hellsichtiger: „Es ist Aktion gegen die Leinwand. Körper-Einsatz. Befreiung. Mehr ist es noch nicht."
Der Anfang vom EndeIm Sommer 1961 baut sich Schilling in seinem Atelier in Wien eine runde Holzscheibe, auf der er das Bild während des Malens drehen kann. Die Drehung eröffnet ihm eine neue Perspektive, da sich das Bild während der Entstehung ständig verändert und seine dominierende Ausrichtung verliert. Einzig die stets nach unten rinnende Farbe stört ihn, da sie auf die Anziehungskraft der Erde und damit auf eine gewisse Stabilität verweist. Im November 1961 verlässt Schilling Wien relativ unvermittelt in Richtung Basel, um im Dezember nach Paris zu fahren. In einem Brief an Brus bringt er seine Enttäuschung und seinen Zorn auf Wien zum Ausdruck. In Paris arbeitet er weiter an der Überwindung des gestisch bemalten Bildes zugunsten einer Entmaterialisierung des Kunstwerks.
Der neunmonatige Militärdienst ist von Frustration und Resignation geprägt, Brus stellt seine Existenz als Künstler infrage. Nach rund einem Jahr, in dem er weder gezeichnet noch gemalt hat, beginnt er im Laufe des Jahres 1962 wieder zögerlich zu arbeiten. Muehl besucht in ihn in seinem Atelier und notiert: „Er arbeitet jetzt sehr viel. Macht kleine Graphiken. Sie wirken wie von einem Schizophrenen gemacht oder wie von einem Epileptiker, aber sie sind ausgezeichnet. Er macht sozusagen punktuelle Graphik.“
Obwohl er mit der „Malerei in einem labyrinthischen Raum“ 1963 noch eine letzte große Serie von Gemälden anfertigt, zeigt sich in den Werken dieser Zeit eine Inversion von Malerei und Zeichnung. Gerade in den Papierarbeiten manifestiert sich die kommende Entwicklung. Die kürzelhaften Striche erscheinen als Chiffren einer Bewegung, als enigmatische Spuren einer körperlichen Handlung. Den Körper, den er 1959/1960 über die geometrische Zergliederung in die Abstraktion überführt hat, schält er nun wieder aus der Geste des Informels heraus. Mit wenigen Strichen wird er in seinen rudimentären Formen angerissen, präsentiert sich jedoch verletzt und fragmentarisch. Die angedeuteten Frauenkörper weisen bereits auf die Serie der ANA-Zeichnungen voraus, die in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner ersten Aktion stehen.
Ausstieg aus dem BildSchilling entwickelt in Paris seine Idee des Bewegungsbildes weiter und kauft sich auf einem Flohmarkt einen Elektromotor. Mit einem alten Rad auf einem selbst zusammengebauten Gestell bringt er Bildflächen von rund 2 Metern zum Drehen. Anfänglich arbeitet er an sich langsam drehenden Bildern, steigert die Drehgeschwindigkeit aber schließlich auf bis zu drei Drehungen pro Sekunde. Das Malen macht einem Schütten und Schleudern Platz, da die hohe Drehgeschwindigkeit kein gezieltes Gestalten mehr ermöglicht. Die Rotationsbilder sind sein Durchbruch zur endgültigen Aufhebung der Malerei: die Entmaterialisierung des repräsentativen Kunstobjekts in Form von zu Licht werdenden optischen Farben und Formen.
Im Frühling 1962 besucht sein siebzehnjährige Bruder Niklaus Schilling das Atelier in Paris und zusammen drehen die beiden einen zwölfminütigen 8-mm-Film über Schillings Arbeit. Anfang Juni verlässt er aus Geldnot und in einer tiefen persönlichen Krise Paris. Er hat die Malerei für sich zu einem Ende geführt. Im September bricht er nach New York auf, wo er sich dauerhaft niederlässt und ab Mitte der 1960er-Jahre mit neuen fotografischen Techniken experimentiert.
Nach Gesprächen mit Nitsch und Muehl, die bereits Aktionen realisiert haben, führt Brus im November 1964 seine erste Aktion ANA durch. Der Bildraum wird in den Realraum erweitert, den er weiß ausgemalt hat, und die Geste auf den Körper übertragen. Er kann die Körperbemalung allerdings nicht in der geplanten Konsequenz umsetzen. Brus selbst bezeichnet den „triebdurchbruchartigen Malanfall“ während der Aktion als eine „intellektuelle Panne“ und spricht vom „Informel der allerletzten Stunde“. Brus löst die Geste von der Malerei und entwickelt seine körperbezogene Aktionskunst.
Die Ausstellung im BRUSEUM beleuchtet anhand zentraler sowie nahezu unbekannter Arbeiten jene kurze Zeit um 1960, in der Günter Brus und Alfons Schilling über die Malerei des Informel zu ihrer international bedeutsamen Neuausrichtung der Kunst finden.
Günter Brus und Alfons Schilling um 1960Ausstieg aus dem Bild
Soft Opening: 18.11.2021, 17‒22 UhrLaufzeit: 19.11.2021‒13.02.2022BRUSEUM, Neue Galerie Graz, Joanneumsviertel, 8010 Graz
Kuratiert von Roman Grabnerwww.bruseum.at
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