Gottfried Böhm betrachtete das Gesicht als «Schnittstelle» zwischen Innen und Aussen, als Sitz der wichtigsten Wahrnehmungsvermögen: des Auges, des Ohrs, des Sprechens, des Geruchsinns und des Geschmacks. Mit dem Gesicht begegnen wir der Welt frontal, also konfrontativ und dialogisch. Von unserem Gesicht aus bewegt sich unser Inneres als Zentrum und sucht die umliegende Welt. Die beiden Positionen der Künstler Reinhard Voss und Andreas Wachter greifen dieses Phänomen in ihrem Schaffen auf und eröffnen einen neuen Raum für Dialoge zwischen Innen und Aussen.

Reinhard Voss arbeitet mit Nadelhölzern, die den Reliefkörpern eine dynamische Struktur verleihen. Wir fühlen von den Körpern eine Kraft ausgehen - an die physikalische Zentrifugalkraft erinnernd, die vom Zentrum der Arbeiten nach Aussen in den Raum führt. Dabei bleiben wir als Aussenstehende in beobachtender Rolle, die ein besonderes Kennenlernen der Reliefkörper zulässt. Zurückhaltend, beinahe introvertiert und doch voll anmutiger Haltung «schauen» angedeutete Gesichter aus sich heraus in den umliegenden Raum. Die kompositorische Verleimung der Fragmente zu einem Gefügebau birgt eine einzigartige Spannung in sich. Auf der Oberfläche dieser Gestalten mischen sich geometrische Formen und Muster von Textilem – welche sich Tätowierungen gleich – der natürlichen Maserung der Hölzer einfügen. Dabei will nichts dem Zufall überlassen sein. Die Spannung findet ihren Höhepunkt im Versuch, dem einst lebenden Material einen neuen Sinn einzuhauchen. Im toten Holz ein Imitat des Lebens: hier zeigt sich etwas in neuem, ungewöhnlichem Licht!

Als Gegenposition gibt Andreas Wachter neue Malereien mit überzeugender Sogkraft zum Besten. Unser Gesicht scheint in dessen aus kontrastreichen und mystisch aufgeladenen Szenerien nahezu hineingesogen zu werden. Hier wirkt eine Kraft zum Zentrum der Arbeit hin, sodass wir uns von der betrachtenden Rolle verabschieden und in die Teilnahme schreiten. Mithilfe der altmeisterlichen Technik des Chiaroscuro aus dem Barock und des Manierismus verleiht der Künstler den darauf abgebildeten Menschengruppen eine kontrastreiche Tiefe und somit eine verschworene sowie zurückhaltende Theatralik. Angedeutete Geister, direkt blickende oder ganz verhüllte Gesichter scheinen darauf zu warten, ihr Urteil zu verkünden und die Zukunft zu prophezeien. Die dauerhafte Absenz, das Nichtsagen, die dramatische Stimmung, die kunsthistorischen Motive gemischt mit zeitgenössischen Elementen führen zur Suche einer neuen Identität. Die Zentripetalkraft der aus Mischtechnik bestehenden Malereien Wachters nimmt uns auf eine Reise in das Innerste mit und wirkt so als Tor in eine ganz eigene Welt.

Andreas Wachter (1951*, Chemnitz) studierte von 1974 bis 1980 an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig bei Arno Rink und Volker Stelzmann. Er gild als einer der wichtigsten Vertreter seiner Generation der Leipziger Schule. Wachters Arbeiten sind u.a. im Museum der bildenden Künste Leipzig, in der Nationalgalerie Posen, im Puschkin Museum Moskau und der Staatsgalerie Stuttgart vertreten.

Reinhard Voss (Rendsburg/Schleswig-Holstein*) studierte Bildhauerei an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe bei Hiromi Akiyama und Stephan Balkenhol. Seit dem Jahr 2000 freischaffend tätig, werden Reinhard Voss‘ Portraits in viel beachteten Ausstellungen im In- und Ausland wie Basel, Seoul sowie Paris gezeigt und sind Bestandteil renommierter Kunstsammlungen. Der Künstler lebt und arbeitet in Karlsruhe.