Albert Welti war alles Impressionistische verhasst. Nur ungern stellte er seine Pastelle aus. Der grösste Teil blieb zeitlebens in seinem Atelier. Nicht einmal seinen besten Freunden soll er seine Farbimprovisationen gezeigt haben. Für ihn waren sie bloss «Pastellnaturskizzen», bestenfalls Studienmaterial, das seinen Zweck im Hinblick auf die Bildkomposition erfüllte. Die Nachwelt sieht dies anders. Früh hat das Kunsthaus Zürich das Genie des 1862 in der Zwingli- Stadt Geborenen erkannt. 1912 richtete es Welti eine imposante Gesamtschau ein; die letzte grössere Welti-Ausstellung kuratierte Bice Curiger 1984 mit sammlungseigenen Zeichnungen und Grafiken rund um die «Walpurgisnacht». Zum 150. Geburtstag stehen 45 Pastell-Landschaften, die den Betrachter durch ihre übernatürliche, intensive Farbwirkung unmittelbar ansprechen, im Zentrum des Interesses. Sie halfen Welti, sich vom Einfluss Arnold Böcklins, seinem Mentor und Vorbild, zu befreien und seinen eigenen Weg als Künstler zu finden. In Wahrheit sind diese Improvisationen vollendete Meisterwerke. Die ver- schiedenen Funktionen der Pastellzeichnung demonstriert Kurator Bernhard von Waldkirch durch eine Auswahl von 25 Studien zu Gemälden und Radie- rungen – darunter ein Pastell, das als Entwurf für das berühmte Wandbild «Landsgemeinde» im Ständeratssaal des Bundeshauses diente. Die Werke stammen grösstenteils aus dem Nachlass des Künstlers im Museum zu Aller- heiligen Schaffhausen, aus dem Kunsthaus Zürich und privaten Sammlungen.
FLIESSENDE ÜBERGÄNGE Weltis Kunst ist gekennzeichnet durch die spezifische Stimmung der Jahrhun- dertwende. Ihre Janusköpfigkeit erweist sich am produktivsten dort, wo seine Bilder einen Übergang thematisieren, etwa im Motiv der Brücke, im Zyklus der Lebensalter und in der Darstellung von traumhaften Dämmerungszuständen. Am unbeschwertesten gibt sich Welti in seinen postimpressionistischen Pastell- Landschaften; hier gelingt es, ohne Rückgriff auf symbolistische Personifika- tionen, aus einer noch frischen Landschaftsimpression schöpfend, Unbewusstes mitschwingen zu lassen. Mit Vorliebe stellte er das Zwielicht dar, jene Momente in der Natur also, in welchen das Helldunkel restlos in Farbe übergeht. In seinen kühnsten Versuchen betritt Welti das Gebiet der farbigen Improvisation, die, im Gegensatz zu Kandinsky, stets der sichtbaren Welt verpflichtet bleibt.
MÄRCHEN, SAGEN, LEGENDEN Zeitlebens schöpfte Welti aus dem volkstümlichen Schatz von Märchen, Sagen und Legenden. Er orientierte sich an der altmeisterlichen Maltechnik und be- herrschte die Ikonografie der klassischen Historien- und Landschaftsmalerei. Doch ist seine Bildauffassung in vielen Aspekten der Moderne verpflichtet. Sein kompromissloses Einstehen für die Fantasie öffnet Kanäle zu frühsten Kind- heitserinnerungen und leitet über in die Formensprache des Vorbewussten. Aus der Sicht der Hirnforschung ist das Träumen nicht auf den Schlaf beschränkt. Auch im Wachzustand verbinden uns viele Hirnaktivitäten mit den Regionen des Traums: die Übergänge sind auch hier fliessend.
KÜNSTLER, LEHRER, AUFTRÄGE Albert Welti wurde 1862 im damals noch ländlichen Zürich-Aussersihl geboren. Sein Vater führte das erfolgreiche Transportunternehmen Welti-Furrer. 1880 begann er eine Fotografenlehre bei seinem Onkel Oswald Welti in Lausanne, die er nach einem Jahr abbrach. Der Vater erlaubte ihm, nach München zu ziehen, um sich dort von 1882–86 an der Akademie zum Maler ausbilden zu lassen. Den ersten Malunterricht erhielt er bei Ludwig von Löfftz, bei dem auch Karl Stauffer-Bern und Lovis Corinth studierten und der ein hervorragender Pastell- maler war. Zum engeren Freundeskreis der Weltis in München gehören Ernst Kreidolf und Wilhelm Balmer. Zwei Jahre verbrachte Welti im Zürcher Atelier von Arnold Böcklin, dem er zeitlebens in Dankbarkeit verbunden blieb. 1894 heiratete er und liess sich in Höngg (Zürich) nieder. 1892 kam es zur schicksalhaften Begegnung mit dem ostpreussischen Gutsherrn Franz von Doehlau, der den Maler bis zu seinem Lebensende unterstützte. Welti reiste nach Berlin, Breslau, Dresden, Wien, Paris und Venedig. 1901 fiel ihm der Auftrag für die Glasfenster im Treppenhaus des Bundeshauses zum Thema «Die Ostschweizer Textilindustrie» zu. 1906 hielt sich die Familie in Innertkirchen und Vättis auf, wo zahlreiche Pastelle nach der Natur entstanden. Zu den Bewun- derern von Weltis Kunst gehörte Hermann Hesse. 1907 mühte sich Welti mit den Entwürfen zum «Tellenbüebli» für die 25-Rappen-Briefmarke ab. Um den Auf- trag für das Landsgemeindebild im Ständeratssaal des Bundeshauses in Angriff zu nehmen, liess er sich 1908 in Bern nieder. Die zahlreichen Skizzen, Zeichnungen und Kartons, die Wilhelm Balmer als Wandbild ausführte, beschäf- tigen ihn bis zum überraschenden Tod im Jahr 1912. Hermann Hesse, der Welti mehrmals besuchte, gibt 1917 eine Monografie über Welti heraus und verfasst das Vorwort.
PASTELLMALEREI:VERBINDUNG VON ZEICHNEN UND MALEN Die Pastellmalerei gilt als eigenständige, seit dem 18. Jahrhundert anerkannte Technik. Sie wurde im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts von Künstlern wie Manet, Degas, Redon und Picasso zu neuem Leben erweckt. Im Spannungsfeld von Symbolismus und Jugendstil erlebte sie einen Aufschwung. In der Schweiz sind es vor allem die dekorativ-abstrakten Pastellgemälde von Augusto Giaco- metti, die als Pionierleistung kunstgeschichtlich gewürdigt worden sind. Die Handhabung der Pastellkreide, ein staubiges, poröses Material, das sich auf dem Papier malerisch verwischend oder spontan improvisierend verwenden lässt, setzt höchste Meisterschaft voraus. Das Besondere der Pastelltechnik liegt aber in der Verbindung von Zeichnen und Malen.
BESTAND IN DER GRAFISCHEN SAMMLUNG DES KUNSTHAUSES Die Grafische Sammlung des Kunsthaus Zürich ist mit vier Pastellen und der zeitkritischen Radierung «Die Fahrt ins 20. Jahrhundert» von Albert Welti in der Ausstellung präsent. Es war Kunsthaus-Direktor Wilhelm Wartmann, der 1912 – im letzten Lebensjahr des Künstlers – dessen ersten Werkkatalog zur Druckgrafik herausbrachte und eine Ausstellung arrangierte. Neben Hodler galt ihm Welti als bedeutendster Schweizer Symbolist. In der Folge erwarb die Zürcher Kunstgesellschaft Weltis komplette Druckgrafik. Heute verfügt das Kunsthaus über den umfassendsten Bestand von Gemälden, Zeichnungen und Grafiken des Meisters und einiger seiner Zeitgenossen. Im Zuge der Kunsthaus- Erweiterung werden adäquate Räume geschaffen, in denen diese grafischen Schätze in kürzeren Abständen als bisher der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können. Zur Ausstellung erscheint eine Publikation mit 144 Seiten, 66 farbigen Abbildungen und einem Text von Bernhard von Waldkirch.
ALLGEMEINE INFORMATIONEN Kunsthaus Zürich, Heimplatz 1, CH–8001 Zürich Tel. +41 (0)44 253 84 84, www.kunsthaus.ch Sa/So/Di 10–18 Uhr, Mi/Do/Fr 10–20 Uhr, montags geschlossen. 24./26./31.12.2011, 1./2. Januar 2012: 10–18 Uhr. 25.12.2011 geschlossen. Eintritt: CHF 14.–/10.– reduziert. Bis 16 Jahre gratis. Öffentliche Führungen: 14. Januar 11 Uhr, 27. Januar 18 Uhr, 9. Februar 18 Uhr Private Führungen auf Anfrage: +41 (0)44 253 84 84 (Mo–Fr 9–12 Uhr) Vorverkauf: SBB RailAway-Kombi: Ermässigung auf Anreise und Eintritt: am Bahnhof oder beim Rail Service 0900 300 300 (CHF 1.19/Min. ab Festnetz), www.sbb.ch.
KONTAKT FÜR REDAKTIONEN Abbildungen zum Download auf www.kunsthaus.ch unter Information/Presse. Pressevorbesichtigung: Donnerstag, 15. Dezember 2011, 11 Uhr Informationen: Kristin Steiner, kristin.steiner@kunsthaus.ch, +41 (0)44 253 84 13
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