Marianne (My) Ullmann  Komposition mit zwei Akten, um 1925  Gouache und Metallpulver auf Leinwand  80 x 79,8 cm  Wien Museum  Foto © Wien Museum Marianne (My) Ullmann Komposition mit zwei Akten, um 1925 Gouache und Metallpulver auf Leinwand 80 x 79,8 cm Wien Museum Foto © Wien Museum - Mit freundlicher Genehmigung von: belvedere

Wer: belvedere

Was: Ausstellung

Wann: 10.02.2011 - 29.05.2011

Das Belvedere zeigt mit der Ausstellung DYNAMIK! Kubismus / Futurismus / KINETISMUS eine umfangreiche Werkschau zur Abstraktion in Wien zwischen 1919 und 1929 im Kontext der europäischen Moderne. Das international noch wenig beachtete Phänomen des Wiener Kinetismus wird zusammen mit Meisterwerken aus ganz Europa von unter anderen František Kupka, Robert Delaunay, Fernand…
Das Belvedere zeigt mit der Ausstellung DYNAMIK! Kubismus / Futurismus / KINETISMUS eine umfangreiche Werkschau zur Abstraktion in Wien zwischen 1919 und 1929 im Kontext der europäischen Moderne. Das international noch wenig beachtete Phänomen des Wiener Kinetismus wird zusammen mit Meisterwerken aus ganz Europa von unter anderen František Kupka, Robert Delaunay, Fernand Léger, Franz Marc, Carlo Carrà oder Giacomo Balla präsentiert.

In den frühen 1920er-Jahren setzten sich vor allem Studierende der Klasse von Franz Cizek an der Wiener Kunstgewerbeschule mit dem Kubismus, aber auch dem italienischen und russischen Futurismus auseinander – Kunstformen, die im Gegensatz zu Paris oder Berlin in Wien zu dieser Zeit noch keine Tradition ausgebildet hatten. So wurde Cizeks Klasse zur Ornamentalen Formenlehre für einen kurzen Moment zum Schmelzpunkt der Wiener Avantgarde.

Unter dem Schlagwort Kinetismus (griech. kinesis = Bewegung) ist kein neuer Stil, sondern eine künstlerische Haltung auf der Basis einer geometrisierendabstrakten Formensprache „ein vom modernen Leben durchpulster Aktivismus“ (Cizek) zu verstehen.

Die Studenten verschrieben sich einer neuen Fortschrittsgläubigkeit und dem Wunsch nach Erneuerung der Kunst durch die Reflexion der Wahrnehmungsprozesse. „Alles dreht sich, alles bewegt sich“ – diese plakative Feststellung aus jener Zeit liefert die Begründung, aus der Naturwissenschaft und Philosophie schöpfend auch in der Kunst der Dynamisierung der Lebenswelt Rechnung zu tragen. Dem Elan der Schüler ließ der Lehrer Cizek ganz im Sinne reformpädagogischer Ansätze freien Lauf. Mehr noch, er förderte die Studenten dahingehend, dass er ihnen alle Möglichkeiten bot, aus der Kunst, Wissenschaft, Ästhetik und der Kulturgeschichte zu rezipieren und dies künstlerisch in einer neuen geometrisierenden Formensprache zu verarbeiten. In Wien entstand daher aus einem geistigen Klima und nicht aus einer eigenen Tradition heraus eine abstrakte Kunst, die eigenständige künstlerische Positionen hervorgebracht hat. Neben zahlreichen unbekannten Talenten entwickelte sich um Erika Giovanna Klien, Elisabeth Karlinsky, Marianne Ullmann und Wolfgang Leopold Rochowanski ein kreatives Netzwerk.

Die Präsenz der europäischen Avantgarde in Wien kulminierte im Jahr 1924, mit der Ausstellung Internationale Kunst in der Secession unter Hans Tietze und der Internationalen Ausstellung neuer Theatertechnik im Konzerthaus. Fernand Léger nahm an den Ausstellungen teil und sein Film Ballet Mécanique wurde uraufgeführt. Filippo Tommaso Marinetti, Enrico Prampolini und Theo van Doesburg besuchten die Schauen und statteten auch der Cizek-Klasse einen Besuch ab. Es kam Bewegung in die Wiener Kulturszene und mit dem Bau von Kieslers Raumbühne konnte sogar eine temporäre konstruktivistische Architektur realisiert werden. Dies lies den Mitverantwortlichen der Theaterausstellung und den Erbauer der Raumbühne im Konzerthaus, Friedrich Kiesler, rückblickend über das Jahr 1924 schreiben: „Es schien als würde Utopia Realität werden.“

 

Der Tänzer und Choreograph Sebastian Prantl eröffnete die Schau im Belvedere mit einem Parcours durch die Ausstellungsräume. Prantl geht es dabei um „einen choreographischen Prozess, der die Ausstellung im Wechselspiel von akustischen, visuellen und energetischen Kraftfeldern aufschlüsselt“. Das musikalische Konzept, bestehend aus Klavierpartituren von unter anderen Edvard Grieg und Philip Glass, entwarf Cecilia Ling. Aufgezeichnet und verarbeitet von Raffael Frick, ist die Performance innerhalb der Ausstellung als Film zu sehen.

 

THEMEN DER AUSSTELLUNG Harald Krejci und Kerstin Jesse Wiener Kinetismus

Unter dem Begriff Wiener Kinetismus vereinen wir heute verschiedene künstlerische Positionen aus der Zeit zwischen 1918 und 1929. Gemeinsames Merkmal ist die Suche nach einer Synthese des inneren Ausdrucks mit kubistischer und futuristischer Formauffassung, um der Dynamik der modernen Lebenswelt Rechnung zu tragen. Elementare Bildformen werden durch Bewegungslinien rhythmisiert und zeigen übereinander gelagerte dynamische Bewegungsabläufe. Die Dynamik der Großstadt, der neue Ausdruckstanz, die Technisierung der Umwelt und die Reflexion über die Wahrnehmungsprozesse bildeten die Grundlage für eine über zehn Jahre dauernde Geschichte der Abstraktion in Wien. Zentrum des Netzwerks junger Künstler war Franz Cizeks Abteilung für Ornamentale Formenlehre an der Wiener Kunstgewerbeschule, dessen Leitmotiv „Nicht lehren, nicht lernen - wachsen lassen aus dem eigenen Wurzeln“ war. Dort wurde eine innovative Rezeption der Errungenschaften der Avantgarden vor 1918 ermöglicht und durch Ausstellungstätigkeiten gefördert. Erika Giovanna Klien, Marianne/My Ullmann, Elisabeth Karlinsky – es waren vor allem enthusiastische junge Frauen, die in den 1920er-Jahren in Wien nach einem neuen künstlerischen Ausdruck suchten. Nicht abbilden, sondern bilden war Franz Cizeks Credo. Auf dieser Grundlage entstand eine Vielzahl an Arbeiten und es entwickelte sich eine Strömung der abstrakten Kunst jenseits des secessionistischen ornamentalen Stils. Charakteristisch für den Kinetismus ist dabei das Beibehalten des Motivs, das die Grundlage für eine auf Farben und Formen basierende, rhythmische Bildstruktur bildete. Innere und äußere Bewegung sollten in Gleichklang gebracht werden. 

Esoterik und Moderne

Die Suche nach den „Gesetzen des Geistigen“, einer neuen Spiritualität, spielte in Wien um 1900 eine wichtige Rolle. Nach 1918 hatte Rudolf Steiners anthroposophische Weltanschauung Hochkonjunktur. Sie inspirierte Künstler wie Johannes Itten, Wassily Kandinsky oder František Kupka. Itten hatte sich schon während seiner Wiener Jahre mit fernöstlichen Religionen und der Theosophie beschäftigt. Er systematisierte seine Suche nach dem rein Geistigen in seinen Theorien zu Farbentypenlehre und Bildanalyse. Der Gedanke der Durchdringung von Mensch und Kosmos spielte in den künstlerischen Theorien jener Zeit eine wesentliche Rolle. So zeigen die unterschiedlichen hier vorgestellten Tierbilder, wie sich in dieser Zeit Künstler diesem Thema widmeten. Itten abstrahierte sein Vogelthema auf Kreis und Dreiecksformationen. Es ging ihm nur noch darum, „Gedankenkonzentrationen darstellen zu wollen“. Franz Marc sah in der unbewussten Kreatürlichkeit des Tieres eine bessere Welt vorformuliert. Erika Giovanna Kliens und Fortunato Deperos Bilder lenkten auf das Mysterium der Komplexität der Bewegungsabläufe des Vogelflugs. Kliens Lehrer Franz Cizek stellte fest, dass „in der Natur die äußere Form immer eine Konsequenz innerlich waltender Gesetze sei“. Gleiches könnte man von Romolo Romanis Bild Tropfen, die auf Wasser fallen behaupten. Es zeigt die Durchdringung von empirisch-wissenschaftlicher Annäherung und Mystifizierung eines komplexen Naturphänomens. 

Konstruktive Tendenzen – Die Avantgarde organisiert

sich Wichtiges Zentrum für die Künstler des Wiener Kinetismus war das Ausstellungslokal der Künstlergruppe Bewegung (später Freie Bewegung), einer unabhängigen Vereinigung. Bereits in der ersten Schau 1918 wurden neben Alfred Kubin tschechische Künstler gezeigt. Tschechischer Kubismus von Emil Filla, Antonín Procházka, Otto Gutfreund und Vincenc Beneš war zudem nach 1923 in Ausstellungen des Hagenbunds in Wien zu sehen. Einen wesentlichen Beitrag zur Kunstszene in Wien lieferte die Ausstellung von Werken Johannes Ittens 1919, die auch bei Franz Cizeks Studenten Wirkung hinterließ. Ab 1920 diente die Freie Bewegung der nach Wien emigrierten ungarischen Avantgarde um Lajos Kassák, Béla Uitz und Sandor Bortnyik zur Propagierung ihrer künstlerischen Ideen. Kassák strebte einen reinen Konstruktivismus an und trug deshalb zu einer Rezeption konstruktivistischer Tendenzen bei. Am 13. November 1920 veranstaltete die ungarische MA-Gruppe (benannt nach der Zeitschrift MA = „Heute“) einen Abend über russische Kunst, an dem Konstantin Umanskij einen Diavortrag über die Neue Kunst in Russland hielt. Er zeigte Werke, die sich mit dem Thema der Dynamik im Bild auseinandersetzten, darunter Bilder von Alexandra Exter, Ivan Kljun, El Lissitzky, Ljubov Popova und Alexander Rodtschenko. Die im Zuge der Internationalen Ausstellung in der Secession 1924 veranstaltete Russische Kulturwoche brachte den russischen Konstruktivismus einem breiteren Publikum näher. Von all diesen Einflüssen konnten auch die Wiener Kinetisten profitieren. 

Licht- und Kristallmetaphorik

Der Kristall erlangte vor allem im deutschen Nachkriegsexpressionismus als Kunstsymbol geradezu leitmotivische Bedeutung. In der Architektur nach 1918 entwickelten sich Glas und Kristall – Materie von mit hellen, klaren, reinen, transparenten Eigenschaften – zu magischen Symbolen des euphorischen Fortschrittsglaubens. Bruno Taut hatte sich mit seinem berühmten Glashaus 1914 auf der Kölner Werkbundausstellung als Verfechter der progressiven modernen Architektur exponiert. Sein Credo galt dem modernen Baustoff Glas, Tauts „Kristall“. Die „kristalline“ Gotik, ein damals in der Kunstwissenschaft aktueller Terminus, war für viele ein Faszinosum. Franz Cizek kannte Tauts Glashaus aufgrund der Teilnahme seiner Schüler an der Kölner Ausstellung. Er ließ seine Studenten in der Abteilung Ornamentale Formenlehre mit Glasprismen experimentieren, um komplexe Raumdarstellungen bildnerisch umzusetzen. Die Idee des Kristallinen wurde aber auch für die Darstellung von organischen Wachstumsprozessen verwendet. Cizek deutete den böhmischen Diamanten, wie der Kristall auch genannt wurde, als Symbol für gesellschaftlichen Konsens, der sich auf religiöse Überzeugung gründet.

 

Die Erneuerung der Kunst aus der Lehre

Einen wichtigen Impuls für die Abstraktion in Wien lieferte die Präsenz Johannes Ittens –eines ehemaligen Schülers des Wegbereiters der Moderne Adolf Hoelzel – durch seine private Malschule sowie durch Ausstellungen und Vorträge z. B. an der Wiener Universität. Adolf Loos verschaffte Itten in den Räumen der Freien Bewegung in der Kärntnerstraße seine erste Einzelausstellung. Es gab sogar Anstrengungen, Itten für die Kunstgewerbeschule zu gewinnen. Schließlich entschied er sich aber, die Einladung von Walter Gropius ans Bauhaus anzunehmen. Einige seiner Wiener Schüler, wie Friedl Dicker, Franz Probst, Franz Scala, Franz Singer und Gyula Pap, folgten ihm. Durch sie entstand ein Ideenaustausch zwischen Weimar und Wien. Franz Cizek war mit dem Werk Ittens vertraut, und die zeitgleiche Erneuerung der Kunstlehre einte die beiden Persönlichkeiten. Abstraktion – im Sinne der Umsetzung geistiger Kräfte – und das Rhythmisieren der elementaren Gestaltungselemente sind jene zwei Komponenten, die Itten und Cizek offensichtlich miteinander teilten. 

Cizeks Lehrkonzept fußte auf einem Dreischritt, den Leopold W. Rochowanski 1922 so zusammenfasste: Das Wecken der Gefühle (Expressionismus) Das Wecken des Gehirns (Kubismus) Das Wecken der Augen (Kinetismus) Neues Empfinden, neues Denken, neues Sehen Die Wiederaufnahme der Vorkriegs-Ismen ist dabei nicht als eine verspätete Rezeption zu werten; sie war Motor für die innovative Erneuerung der Kunst und die Entstehung des Wiener Kinetismus. Das Wien Museum widmete 2006 dem progressiven Pädagogen Franz Cizek eine umfassende Ausstellung. 

Das Ornament

Für die Blüte des Wiener Kinetismus war die Aufwertung des Ornamentkurses Franz Cizeks an der Kunstgewerbeschule als eigenständige Klasse für Ornamentale Formenlehre verantwortlich. Bei aller künstlerischen Freiheit war Cizek stets bemüht, die künstlerischen Errungenschaften auch in die angewandte Kunst, wie z. B. Tapeten- oder Stoffgestaltung, fließen zu lassen. Zu jener Zeit schien das Ornament vor allem im modernen Architekturdiskurs völlig abgewertet. Das Supraportenrelief von Josef Hoffmann von 1902 steht exemplarisch für die Krise des Ornaments im Architekturdiskurs der Moderne. Es ist mehr ein autonomes Kunstwerk als eine ganzheitliche Anbindung an das Secessionsgebäude. Die Architektur der 1920er-Jahre forderte, dass die Technik die handwerkliche ornamentale Arbeit ersetzen solle. Cizek ging es darum, aus der Kunst heraus das Ornament zu erneuern und für die Technologien des Kunstgewerbes nutzbar zu machen. Die Arbeit der Kinetisten an elementaren, rhythmischen Bildstrukturen schuf die Basis für die Verwendung im Bereich des Kunstgewerbes. Viele der Cizek-Schüler arbeiteten folglich auch für die Wiener Werkstätte oder den Werkbund. Durch Cizek kam es auch zu einer Aufwertung des Künstlerischen in der Erarbeitung ornamentaler Strukturen.

 

Alles dreht sich – Alles bewegt sich / Gang durch die Großstadt

Schon um 1900 kam es zu einem technischen Aufschwung und zum Anwachsen der Großstädte. Die zunehmende Motorisierung, der Ausbau des Elektrizitätsnetzes und der Einsatz neuer Maschinen, respektive deren Tempo und Dynamik, veränderten das gesellschaftliche Leben und den Alltag der Menschen. Viele Kunstwerke der Wiener Kinetisten setzen sich mit dem Großstadtthema auseinander. Eine herausragende Arbeit zur pulsierenden Großstadtdynamik schuf Erika Giovanna Klien 1923. Der monumentale Fries Gang durch die Großstadt konfrontiert den Betrachter mit Fragmenten urbaner Technisierung. Neben der bildnerischen Umsetzung von Geräuschen und Geschwindigkeit findet man, z. B. bei Martha Diem, Friedericke Nechansky oder Ludwig R. Reutterer, die intensive Beschäftigung mit der Bewegungsthematik. Meist werden mehrere Eindrücke in einem Bild festgehalten, die sich überschneiden und dadurch gegenseitig dynamisieren. Cizek sprach von einer „Häufung von Bildeindrücken“. Formal und thematisch war neben Robert Delaunays Arbeiten zum Eiffelturm der Futurismus der technikbegeisterten Marinetti-Gruppe eine der wichtigsten Einflussquellen. Diese glorifizierte die „Schönheit der Geschwindigkeit“ sowie die technischen Errungenschaften als neue Themen für die Kunst von morgen. 

Vom Rhythmus der Zeit: Tanz und Bewegung

Eine wichtige Inspirationsquelle für die Entwicklung der abstrakten Kunst nach 1918 stellte der moderne Tanz dar. Johannes Ittens Kunst und Kunstlehre basierten auf den Errungenschaften des freien modernen Tanzes. Körperrhythmus und Atmung waren zentrale Motive in der Tanztheorie. Auch Franz Cizek war mit den Theorien zum freien Tanz vertraut und ließ seine Schüler tänzerische Bewegungen studieren. „Die Leistung des Ornamentkurses war augenscheinlich Kleinarbeit, die jedoch im Stillen eine große, ordnende, den Rhythmus fördernde Arbeit zeigte.“ (Cizek) Anschauungsmaterial fanden die jungen Künstler in Wien durch die Aktivitäten des Konzerthauses. Auch in der Secession und im Hagenbund versammelte sich eine progressive Tanzszene. Viele Tänzer ließen sich von namhaften Fotografen portraitieren – darunter Anton Josef Trčka oder Edmund Kesting, die durch malerische Eingriffe oder Doppelbelichtung die Technik der Collage für das neue Medium nutzten – porträtieren und in der Bewegung darstellen. Über das Medium der Fotografie wurde eine größere Öffentlichkeit erreicht. Zugleich lieferten die Tanzfotos umfangreiches neues Vorlagenmaterial für die Künstler und ihre bildnerische Übersetzung von Tanzbewegungen und anderen Motiven. 

Musikalische Grafik

Ab 1917 entstanden in Wien visuelle Arbeiten mit und nach Musik. Pionier dieser Umsetzung musikalischen Erlebens ins Bildernische war der Maler und Kunsterzieher Oskar Rainer, der bereits 1913 gegenstandlose Grafiken anfertigte, die durch Musik inspiriert waren. Die grafische Deutung von Josef Matthias Hauers Melos von 1921 und der beeindruckende, ursprünglich vierteilige Musikfries von Otto Erich Wagner zeugen von den Transferprozessen in der bildenden Kunst jener Zeit. 

Skulptur und Plastik

In Franz Cizeks Klasse zur Ornamentalen Formenlehre entstanden zahlreiche innovative Skulpturen und Plastiken. Neben Einflüssen von Alexander Rodtschenko und Wladimir Tatlin sind solche von Alexander Archipenko, Otto Gutfreund und János Mattis-Teutsch zu erkennen. Fast alle Arbeiten sind heute nur noch in fotografischen Abbildungen dokumentiert. Cizek führte seine Studenten über die Skulptur und die Plastik hin zu jenen Raumproblemen, die sich auch in der Architektur ergeben. Er vermittelte diese raumbildnerische Tätigkeit nicht als Arbeit am schmückenden Material ohne architektonischen Zusammenhang, sondern als integralen Bestandteil der jeweiligen gesamten Raumkonzeption. 

Das Theater und der Wiener Kinetismus

Die im Rahmen des Wiener Musik- und Theaterfestes stattfindende Internationale Ausstellung neuer Theatertechnik brachte 1924 zahlreiche Künstler nach Wien. Aus diesem Anlass realisierte Friedrich Kiesler für das Konzerthaus die Raumbühne, eine Rundum-Bühne, auf der auch Tanzvorführungen stattfinden konnten. Aus bisher ungeklärten Gründen nahmen trotz ergangener Einladung an Franz Cizek keine Schüler aus seiner Klasse an der Ausstellung teil, obwohl z. B. Erika Giovanna Klien mit ihrem Marionettentheater bestens für diese Schau vorbereitet gewesen wäre. Das Marionettentheater erfreute sich in jener Zeit, auch Dank der innovativen Aktivitäten Richard Teschners, regen Interesses. Die Futuristen Fortunato Depero, Filippo Tommaso Marinetti und Enrico Prampolini sowie der De Stijl-Wortführer Theo van Doesburg fanden sich aus Anlass der Ausstellung in Wien ein. Bauhaus-Künstler wie Oskar Schlemmer oder László Moholy-Nagy waren mit eigenen Arbeiten vertreten. Kiesler, der mit Leopold W. Rochowanski befreundet war und über die Arbeit der Kinetisten Bescheid wusste, konstatierte rückblickend über dieses Highlight der Avantgarde in Wien: „Es schien, als würde Utopia Realität werden.“ Die Arbeit als Bühnenbildner ermöglichte zahlreichen Künstlern den Broterwerb: Harry Täuber gestaltete 1922/23 die Dekoration für die Tanzperformance Anita Berbers im Wiener Ronacher und Grete Hamerschlag-Berger erarbeitete in Rom ein Bühnenbild für den Futuristen Anton Giulio Bragaglia.

 

Kuratoren Harald Krejci, Patrick Werkner

Kuratorische Assistenz Kerstin Jesse

Publikation  

 

Wiener kinetismus. eine bewegte moderne

Hrsg. Gerald Bast, Agnes Husslein-Arco, Harald Krejci, Patrick Werkner

Mit Texten von Matthias Boeckl, Kerstin Jesse, Marion Krammer, Harald

Krejci, Verena Krieger, Bernhard Leitner, Oswald Oberhuber, Monika Platzer,

Patrick Werkner und Rainer Wick sowie Prologen von Gerald Bast und

Agnes Husslein-Arco.

Publikation in der Buchreihe Edition Angewandte beim Springer Verlag,

Wien, 2011, 256 Seiten

ISBN: 978-3-211-99143-5 (Deutsch/Englisch)

€ 49,95 (erhältlich in den Shops des Belvedere, shop@belvedere.at)

www.dieangewandte.at

           

           

           

           

           

           

           

           

           

 

Tags: Futurismus, Kinetismus, Kubismus, Moderne Kunst