Egon Schiele Selbstporträt, 1912 Gouache und Bleistift auf Papier 46,5 x 31,5 cm Privatbesitz, Courtesy Neue Galerie New York © Privatbesitz, Courtesy Neue Galerie New York Egon Schiele Selbstporträt, 1912 Gouache und Bleistift auf Papier 46,5 x 31,5 cm Privatbesitz, Courtesy Neue Galerie New York © Privatbesitz, Courtesy Neue Galerie New York - Mit freundlicher Genehmigung von: belvedere

Wer: belvedere

Was: Ausstellung

Wann: 17.02.2011 - 13.06.2011

Das Belvedere widmet Egon Schiele (1890–1918), einem der bedeutendsten österreichischen Künstler des 20. Jahrhunderts, eine umfassende Schau, in der erstmals seine Selbstporträts und Porträts in den Mittelpunkt gestellt werden. Ausgehend von Werken im akademischen Stil gelang Schiele in einer Reihe von revolutionären Bildnissen die Überwindung der traditionellen…
Das Belvedere widmet Egon Schiele (1890–1918), einem der bedeutendsten österreichischen Künstler des 20. Jahrhunderts, eine umfassende Schau, in der erstmals seine Selbstporträts und Porträts in den Mittelpunkt gestellt werden. Ausgehend von Werken im akademischen Stil gelang Schiele in einer Reihe von revolutionären Bildnissen die Überwindung der traditionellen Porträtauffassung und eine Neudefinition dieses Genres. In seinen Porträts versuchte der Künstler, ganz im Sinne des österreichischen Frühexpressionismus, die seelische Befindlichkeit seiner Modelle sichtbar zu machen. Gegen Ende seines Lebens wurde er neben Gustav Klimt zum bedeutendsten Porträtisten Wiens. Ein wichtiger Moment für seine künstlerische Anerkennung war der Ankauf eines Bildnisses von Edith Schiele durch die Österreichische Staatsgalerie (heute Belvedere) im Jahre 1918. Dieser erste öffentliche Erwerb eines Gemäldes des Künstlers durch den damaligen Direktor Franz Martin Haberditzl bildete den Grundstein für die heute umfangreiche Schiele-Sammlung des Belvedere, die zahlreiche Hauptwerke des Künstlers umfasst. Die Darstellung des Menschen bildet einen wesentlichen Aspekt in Schieles Œuvre, bei etwa einem Drittel der Ölgemälde seines reifen Werks handelt es sich um Porträts. (Die anderen beiden Drittel sind zu etwa gleichen Teilen Landschaften und allegorische Darstellungen.) Innerhalb von Schieles Zeichnungen und Aquarellen spielen Porträts und Selbstporträts eine noch größere Rolle. Betrachtet man Schieles Porträts und Selbstporträts in ihrer Gesamtheit, so zeigt sich eine unstimmige Mischung aus Revolutionärem und Konservativem: In dem einen Augenblick erweist sich der Künstler als Wegbereiter für neue, radikale Arten der Selbstbetrachtung, im nächsten kehrt er zur Konvention zurück. 

Die Ausstellung präsentiert anhand von rund 100 Arbeiten – einige werden zum ersten Mal in Österreich gezeigt – Schieles künstlerische Entwicklung und seine außergewöhnlichen Leistungen als Porträtmaler. Sie folgt der Chronologie seines Werks und dokumentiert die komplexen Wechselbeziehungen zwischen Porträts und Selbstporträts sowie Schieles fortlaufende Beschäftigung mit diesen Genres. Schiele, den der Mensch als Bildthema bereits in seiner frühen Jugend anzog, tendierte dazu, andere im Spiegel der eigenen Person zu betrachten. In seinen bahnbrechenden expressionistischen Selbstbildnissen der Jahre 1910 und 1911 nahm er zahlreiche Persönlichkeiten an, erforschte seine eigenen Emotionen und projizierte die erhaltenen Antworten dann auf die von ihm in dieser Zeit porträtierten Personen. Erst nach und nach entwickelte der Künstler eine objektivere Herangehensweise an die Menschen, die Teil seiner Lebenswelt waren. In derselben Zeit gewann Schieles Selbstgefühl an Konsistenz. Mit dem Stadium der Reife hatte Schiele ein feines Einfühlungsvermögen in die menschliche Persönlichkeit erlangt, und seine späten Bildnisse profitieren von denselben tiefen Einsichten, die bereits seine früheren Selbstporträts mit Leben erfüllten. Die Verknüpfung der Darstellungen mit der Brief-Korrespondenz zwischen dem Künstler und seinen Sammlern und Mäzenen wirft zudem ein neues Licht auf die für die Wiener Kunstszene jener Zeit charakteristische enge Bindung von Künstler und Auftraggeber. 

THEMEN DER AUSSTELLUNG

Frühe Arbeiten (1906-1909) Schieles Interesse für die Porträtmalerei wurde bereits in seiner Kindheit offensichtlich, zu seinen ersten Modellen gehörten Familienmitglieder. Im Jahr 1906 wurde der schon früh erstaunliche Reife zeigende Künstler an der Wiener Akademie der bildenden Künste aufgenommen, wo er mit 16 Jahren der jüngste Schüler seiner Klasse war. Zuerst erfüllte Schiele pflichtbewusst die akademischen Aufgaben, zeichnete Gipsabgüsse antiker Kunstwerke und dann – ein nächster Schritt in der akademischen Ausbildung – nach dem lebenden Modell. Doch schon bald beeinflussten ihn die künstlerischen Tendenzen der Wiener Avantgarde. 1909 hatte er mehr oder weniger aufgehört, den Unterricht in der Akademie zu besuchen. Schiele hatten die in der Kunstschau des Jahres 1908 ausgestellten Werke von Gustav Klimt beeindruckt, sodass er sich lieber das zu eigen machte, was ihn das Werk des älteren Meisters lehren konnte. Nach dem Vorbild Klimts entwickelte er einen flüssigen und eleganten linearen Stil wie auch ein Bewusstsein für den negativen Raum, der für ihn zeitlebens Thema bleiben sollte. Auf Einladung Klimts zeigte Schiele in der Kunstschau des Jahres 1909 drei große Porträts. Diesem Debüt – das eine offenkundige Verletzung der Regeln der Akademie darstellte – folgte das Angebot des Wiener Kunstsalons Pisko, in seinen Räumen auszustellen. Im Juni 1909 traten Schiele und eine Gruppe gleichgesinnter Klassenkameraden, die von den repressiven Bestimmungen und der rückschrittlichen Kunstauffassung der Akademie genug hatten und sich als Neukunstgruppe bezeichneten, geschlossen aus der Hochschule aus. Schieles Leben als freier Künstler hatte begonnen. 

Expressionistischer Durchbruch

(1910–1911)  Anfang 1910 trat Egon Schiele mit einem expressionistischen Stil an die Öffentlichkeit, der sich von allem zuvor in Wien Gesehenen unterschied. Er verzichtete auf die ornamentale Fülle, welche die Bildnisse Klimts und auch seine eigenen bisherigen Porträts kennzeichnete, und positionierte die von ihm Porträtierten vor leeren Hintergründen, die deren existenzielle Isolation betonen. In dieser Zeit schritt Schieles künstlerische Entwicklung mit immenser Geschwindigkeit voran und sein Stil veränderte sich schnell. Die Arbeiten vom Jahresbeginn kennzeichnet eine unharmonische Farbpalette mit grellen Grün-, Rot- und Gelbtönen, später im selben Jahr entstanden hingegen eher düstere Werke, die den Einfluss von Zeitgenossen wie Max Oppenheimer und Oskar Kokoschka vermuten lassen. Zur selben Zeit konnte Schiele auch weitere berufliche Erfolge verzeichnen. Ende 1910 hatte er eine Gruppe wichtiger Gönner um sich versammelt: Carl Reininghaus, den Erben eines Vermögens aus der Industrie, den erfolgreichen Arzt Oskar Reichel, den Kunstkritiker, Schriftsteller und zeitweiligen Kunsthändler Arthur Roessler sowie Heinrich Benesch, einen Beamten, dessen Anhänglichkeit seine finanziellen Möglichkeiten häufig überstieg. Die Förderung durch diese Mäzene war mit einem plötzlichen Anstieg der Zahl der Porträtaufträge verbunden. Mit einer Reihe großer Bildnisse in Öl, u. a. von Roessler, dem Verleger Eduard Kosmack und dem jungen Herbert Rainer, wurde das Jahr 1910 zu einem der produktivsten des Porträtmalers Schiele. 

Selbstporträts (1910–1918)

Das Selbstporträt stand im Zentrum von Schieles schöpferischer Vision. Nicht nur war es praktisch und kostensparend, sich selbst als Modell zu verwenden, für Schiele war die Erkundung der eigenen Person auch ein Schlüssel zur menschlichen Seele. Und wenn seine Selbstbildnisse auch häufig von den eigenen Gefühlen durchdrungen sind, bilden diese doch eine Brücke zu grundlegenderen Aspekten der menschlichen Existenz. Schiele, der zur Zeit seines expressionistischen Durchbruchs im Jahr 1910 zwanzig Jahre alt war, erkundete in seinen Selbstbildnissen die typisch postadoleszenten Themen der eigenen Identität und Sexualität. In diesen Werken nimmt er unterschiedliche Persönlichkeiten an: Während er sich im einen Bild elegant und selbstsicher darstellt, wirkt er im anderen aggressiv oder gepeinigt. Eine unterschwellige Botschaft in vielen seiner Selbstporträts, insbesondere jenen der Jahre 1911– 1914, ist sein Glaube an eine künstlerische Mission. Er war ein „Seher“ im eigentlichen und im übertragenen Sinne. Auch empfand er sich als gleichsam religiöse Person, als Heiligen und, in der Folge seiner Inhaftierung, als Märtyrer. 1914, an der Schwelle zum Erwachsensein, sagte Schiele seinem heranwachsenden Selbst und auch seiner Geliebten Wally Neuzil in dem monumentalen Bild Tod und Mädchen Lebewohl. Von nun an sollte das Selbstporträt in seinem Werk eine weniger große Rolle spielen. In späteren Gemälden wie Die Familie treten die charakteristischen Züge des Künstlers zugunsten einer Allgemeingültigkeit in den Hintergrund. Während Schiele stellvertretend für das männliche Geschlecht steht, wird das Weibliche von einem unbekannten Modell verkörpert. 

Zeit der Reife (1912–1915)

Kaum hatte Schieles künstlerische Karriere in Wien wirklich begonnen, entschloss er sich, die Stadt zu verlassen. Leider standen die Einwohner der Kleinstädte Krumau (heute Český Krumlov, wo Schiele Mitte des Jahres 1911 einige Monate verbrachte) und Neulengbach (wohin er dann übersiedelte) der unkonventionellen Lebensweise des Künstlers äußerst kritisch gegenüber. Im April 1912 wurde Schiele verhaftet: Man bezichtigte ihn der „öffentlichen Unmoral“, da er Minderjährige angeblich mit pornografischer Kunst in Berührung gebracht hatte. Schieles Aufenthalt im Gefängnis sollte sich im privaten Leben und für seine künstlerische Entwicklung als Wendepunkt erweisen. Seine Beziehung zu Wally Neuzil, die sein Modell und seine Geliebte war, wurde enger, was sich in einigen der bislang ergreifendsten Porträts des Künstlers niederschlug. Schiele beurteilte die von ihm Porträtierten nun objektiver und wurde empfänglicher für ihre jeweilige Persönlichkeit. Sein Bildnis des 15-jährigen Erich Lederer und sein Doppelporträt von Heinrich Benesch und dessen Sohn Otto zeigen empfindsame junge Menschen, die im Begriff sind, den Schritt ins Erwachsenenalter zu vollziehen. Da Schiele Wally nicht als standesgemäße Lebenspartnerin ansah, heiratete er 1915 Edith Harms, ein ehrenwertes bürgerliches Mädchen. Die Ehe brachte ihre eigenen Probleme mit sich, doch war Schiele für die Stimmungen und Launen seiner Frau in hohem Maße empfänglich – wenn nicht im gemeinsamen Leben, so doch in seiner Kunst. Die Porträts von Edith stehen am Anfang der letzten Phase seiner künstlerischen Entwicklung. 

Späte Porträts (1916–1918)

Drei Tage nach seiner Eheschließung mit Edith Harms meldete Schiele, der in die Armee eingezogen worden war, sich im Juni 1915 zur militärischen Grundausbildung. Seine Pflichten ließen ihm wenig Zeit für die Kunst, doch zeigen die in dieser Zeit entstandenen Porträts von Kriegsgefangenen die seinen späten Stil kennzeichnende Einfühlsamkeit. Anfang 1917 gelang es Schiele, sich nach Wien zurückversetzen zu lassen und seine künstlerischen Aktivitäten wieder aufzunehmen. Sein wachsender beruflicher Erfolg spiegelt sich in zahlreichen Porträtaufträgen wider. Schiele malte bedeutende Persönlichkeiten wie Franz Martin Haberditzl, den Direktor der Österreichischen Staatsgalerie (heute Belvedere), und den Industriellen Hugo Koller sowie Freunde wie den Künstler Albert Paris Gütersloh. Edith war nach wie vor eines seiner Lieblingsmodelle. Mit Schieles größerer Empfänglichkeit für die Persönlichkeiten der Gemalten ging eine Veränderung seines Stils einher. Seine Arbeiten sind nun eher im konventionellen Sinne realistisch. Die Linie, die zuvor auf die Emotionen des Künstlers genau geantwortet hatte und hin und her gesprungen war, orientiert sich jetzt eng am Seelenleben des oder der Porträtierten. Gegen Ende seines Lebens wurde Schiele neben Gustav Klimt zum bedeutendsten Porträtisten Wiens. Im Oktober 1918 erlagen Egon Schiele und seine schwangere Frau der todbringenden Spanischen Grippe. Der Künstler war 28 Jahre alt. 

EIN NEUES MENSCHENBILD

Agnes Husslein-Arco und Jane Kallir im Gespräch über Egon Schiele „Kunst kann nicht modern sein; Kunst ist urewig“, sagte Egon Schiele, einer der bedeutendsten österreichischen Künstler des 20. Jahrhunderts. Seit Jahren steht der Maler im Mittelpunkt zahlreicher Schauen im In- und Ausland, sein Werk wurde bereits aus verschiedensten Blickwinkeln beleuchtet. Die Kuratorinnen Jane Kallir und Agnes Husslein-Arco stellen erstmals seine Porträts und Selbstporträts in das Zentrum einer Sonderausstellung im Belvedere, die Schieles künstlerische Entwicklung in diesem Bereich präsentiert.

 

Warum haben Sie den Schwerpunkt dieser Schau auf Egon Schieles Porträts gelegt?

Agnes Husslein-Arco: Egon Schiele und das Belvedere verbindet eine Beziehung der ersten Stunde. Schon 1918 gelangte das Porträt Edith Schieles durch einen Ankauf des damaligen Direktors Franz Martin Haberditzl in die Sammlung des Belvedere. Durch den kontinuierlichen Erwerb zentraler Arbeiten in den folgenden Jahrzehnten zahlen gegenwärtig 16 Gemälde und Gouachen des Künstlers zum Bestand des Belvedere. Da mehr als die Hälfte dieser Werke bedeutende Selbstportrats und Porträts aus verschiedenen Werkphasen des Künstlers sind, habe ich mich dazu entschieden, diese ins Zentrum einer Schau zu stellen. In ihrer stringenten Fokussierung auf das Porträt beruht die bislang einzigartige Ausstellung eine in dieser Tiefe noch weitgehend unberührte Thematik. 

Inwiefern unterscheidet sich Schieles Herangehensweise an das Thema Bildnis und Selbstbildnis von der anderer Künstler?

Agnes Husslein-Arco: Die Porträts des österreichischen Frühexpressionismus sind nicht mehr als repräsentative Bildwerke angelegt, sondern entblößen auf psychologisierende Weise die seelische Befindlichkeit der Dargestellten. Wahrend die Bildnisse Kokoschkas einer spontanen Empfindungsniederschrift entsprechen, zeichnet Schieles Werke vor allem die kompositorisch überlegte Herangehensweise aus. Obwohl Schieles Selbstbildnisse und Bildnisse vordergrundig einen emotionalen Charakter aufweisen, sind sie in höchstem Maße inszeniert. 

Frau Kallir, Sie haben nicht nur zahlreiche Ausstellungen zur Wiener Jahrhundertwende kuratiert, sondern sind auch die Herausgeberin des Werkverzeichnisses zu Egon Schiele. Darüber hinaus leiten Sie die Galerie St. Etienne in New York, deren Schwerpunkt auf der Kunst des Expressionismus liegt. Wie kam es zu dieser intensiven Beschäftigung mit österreichischer Kunst?

Jane Kallir: Die Galerie St. Etienne wurde von meinem Großvater Otto Kallir gegründet, der vor dem Zweiten Weltkrieg Inhaber der Neuen Galerie in Wien war. Die Neue Galerie hatte 1923 mit der ersten großen posthumen Schiele-Ausstellung eröffnet, und Schiele blieb auch eines der zentralen Forschungsgebiete meines Großvaters. 1930 kam sein erstes Werkverzeichnis der Gemälde Schiels heraus. 1939, als er die Galerie St. Etienne in New York gründete, war Schiele in den USA jedoch nahezu unbekannt. Mein Großvater setzte sich die nächsten drei Jahrzehnte vehement dafür ein, den Künstler dem dortigen Publikum näherzubringen, indem er immer wieder Ausstellungen sowohl in der Galerie St. Etienne als auch in amerikanischen Museen auf die Beine stellte. Man kann also sagen, dass ich mit Schiele aufgewachsen bin; ich habe ihn geerbt. 

Die zahlreichen Porträts Schieles früher Sammler und Mäzene spiegeln die enge Bindung zwischen Künstler und Auftraggeber wider, die für die Wiener Kunstszene jener Zeit so charakteristisch ist. Worin liegt diese spezielle Ausprägung des Mäzenatentums begründet?

Jane Kallir: Kommerzielle Galerien etablierten sich in Österreich viel später und langsamer als in anderen Teilen Europas. Österreichische Künstler waren daher gezwungen, ihre Werke selbst zu vertreiben. Darin lag eines der Hauptziele der Wiener Secession. Und daraus ergab sich naturgemäß, dass Künstler eine enge Beziehung zu ihren Auftraggebern aufbauten. Die aristokratische Tradition der Bildnismalerei überlebte demzufolge in Österreich viel langer als anderswo und wurde von der Klasse der neureichen Industriellen weitergeführt. Klimt profitierte selbstverständlich am meisten von diesen Umständen. Aber auch Schiele, der in Klimts Schatten groß wurde, hatte ähnliche Erwartungen an das Mäzenatentum. 

Mit Gustav Klimt und Oskar Kokoschka bildet Egon Schiele das Dreigestirn der führenden österreichischen Künstler im Wien der Jahrhundertwende. Gibt es aus Ihrer Sicht Gemeinsamkeiten zwischen den dreien?

Agnes Husslein-Arco: Als führender Maler in Wien um 1900 war Gustav Klimt das große Vorbild für die nachfolgende Künstlergeneration – zu der auch Schiele und Kokoschka zählten – und zugleich Förderer dieser jungen Talente. Wie auch Klimt, der sich vom Einfluss des Historismus löste, um einen völlig individuellen Stil zu entwickeln, gelang es Schiele und Kokoschka, die Flächenkunst der Secession zu überwinden und eine eigene charakteristische Handschrift zu entfalten. Bei allen drei Künstlern nimmt das Porträt einen wichtigen Stellenwert innerhalb ihrer Œuvre ein. Obwohl sie sich in der formalen Gestaltung ihrer Werke stark voneinander unterschieden, stand für Schiele und Kokoschka die Interpretation der psychischen Befindlichkeit der Porträtierten im Vordergrund. 

In Anbetracht der internationalen Wertschätzung Egon Schieles, dessen Gemälde vielfach Hauptwerke in bedeutenden Museen darstellen, ist es sicher nicht einfach, hochkarätige Leihgaben für eine solche Schau zu gewinnen. Welche Highlights erwarten die Besucher im Rahmen dieser Ausstellung?

Jane Kallir: Die Ausstellung umfasst rund 20 wichtige Ölgemälde, die aus Sammlungen in Europa und den USA kommen. Manche davon waren seit Jahrzehnten nicht mehr in Wien zu sehen. Unter den Arbeiten auf Papier befinden sich Aquarelle und Zeichnungen, die noch nie in Österreich ausgestellt waren. Es sind tatsächlich auch einige Werke dabei, die selbst mir bisher nur durch Abbildungen bekannt waren, etwa das atemberaubende Selbstbildnis mit Pfauenweste von 1911 oder die lebensnahe Gouache Bildnis von Wally Neuzil von 1912. 

Wie sieht das Belvedere zukünftig seine Aufgabe hinsichtlich der Aufarbeitung des Werks Egon Schieles?

Seit dem frühen Ankauf des Porträts Edith Schieles wird Schieles Werk im Belvedere systematisch gesammelt. Zuletzt gelang im Jahr 2001 der Erwerb des Porträts Franz Martin Haberditzls, wodurch ein weiteres Hauptwerk des Künstlers den bedeutenden Bestand ergänzt. Mit dieser Ausstellung greift das Belvedere den historischen Faden auf und präsentiert aktuelle wissenschaftliche Ansätze und Erkenntnisse, die zu einer Neubetrachtung Schieles als Porträtist beitragen und den Beginn einer intensiveren Auseinandersetzung mit Schieles Œuvre markieren. Stück für Stück werden wir uns weiteren Facetten dieses großartigen Werks widmen.

 

Kunstvermittlungsprogramm zur Ausstellung

EGON SCHIELE - Selbstporträts und Porträts

ÜBERBLICKSFÜHRUNGEN

Anhand ausgewählter Werkbeispiele werden die Höhepunkte der Sonderausstellung präsentiert.

Jeden Samstag, Sonntag und Feiertag um 16 Uhr

Dauer: 1 Stunde, Führungsbeitrag: € 4

IM VISIER

Egon Schiele. Selbstporträts und Porträts

Kuratorenführung mit Jane Kallir

Freitag, 18. Februar, 16 Uhr

Die Neukunstgruppe - Gründung und künstlerische Aktivitäten

Themenführung mit Roswitha Bittner

Donnerstag, 17. März, 16.30 Uhr

Sammler, Mäzene und Freundschaften um Egon Schiele

Themenführung mit Angelika Katzlberger

Donnerstag, 7. April, 16.30 Uhr

Attitüde und Geste bei Egon Schiele als Abbild des Geschlechterverständnisses

Expertenführung mit Alexander Klee

Mittwoch, 13. April, 19 Uhr

Egon Schiele und das Belvedere

Expertenführung mit Monika Mayer

Mittwoch, 4. Mai, 19 Uhr

Zwischen Heiliger und Hure - Egon Schieles Frauenbild

Expertenführung mit Stephanie Auer

Mittwoch, 25. Mai, 19 Uhr

Dauer: 1 Stunde, Teilnahme kostenlos mit gültigem Ausstellungsticket, Anmeldung erforderlich

 

Anton Josef Trčka Egon Schiele , 1914 (Detail) Archiv Egon Schiele Art Centrum, Česky Krumlov © Archiv Egon Schiele Art Centrum, Česky Krumlov Anton Josef Trčka Egon Schiele , 1914 (Detail) Archiv Egon Schiele Art Centrum, Česky Krumlov © Archiv Egon Schiele Art Centrum, Česky Krumlov - Mit freundlicher Genehmigung von: belvedere
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