…
…
Elliott Erwitt verkörpert einen Typus von Fotograf, den es schon kaum mehr gibt. Einen, der sein Herz nahe am Auge hat und damit etwas sieht, was wir alle oft übersehen: die kleine Komik und kleine Leidenschaft des Alltags, die winzigen Momente, in denen Gesten und Mienen mehr sagen als tausend Worte.
Erwitt ist einer der führenden Fotografen seiner Generation. Extrem vielseitig, mit einem breiten Spektrum an Interessen, richtet er seine Kamera auf Menschliches und Allzumenschliches, auf Tierisches, Politisches und Berührendes. Fotografie ist für ihn vor allem eine „Kunst des Beobachtens“, bei der es in erster Linie auf das Besondere des Blickes ankommt, den man auf die Welt wirft. Die Ironie des Lebens strahlen die Bilder des Fotografen aus, der auch liebevoll als „Woody Allen der Fotografie“ bezeichnet wird.
In unserer Welt der schnellen TV-Bilder und der digital geschönten Bildkompositionen in Werbung und Mode geben Erwitts Arbeiten dem Medium Foto noch einmal seine ursprüngliche Kraft zurück. Schnappschüsse, die sich beim Blättern als Mosaiksteine der Wirklichkeit erweisen. Wie kaum ein anderer Fotograf schafft es Erwitt, in seinen Fotos einen Subtext zu vermitteln: Emotion, Wut, ein wenig Glück. Eine Rührung, die man nur erkennt, wenn man genau hinschaut. Ein Davor und ein Danach. Erwitt selbst bezeichnet das als die „Essenz eines Geschehens“, das sogenannte „denkende Sehen“.
„Kitchen Debate“ – Berühmtheit durch eine „Küchendebatte“ Die ganze Story in einem Bild erzählen, das ist Elliott Erwitts Stärke. Wie im Sommer 1959, als US- Vizepräsident Richard Nixon Sowjet-Chef Nikita Chruschtschow auf einer US-Industriemesse in Moskau trifft. Erwitts Foto dokumentiert, wie mit dem aufbrausenden Nixon und dem brummigen Chruschtschow Kapitalismus und Sozialismus unversöhnlich aufeinander prallen. Es war eigentlich – wie er selbst später feststellte – nur eine dümmliche Unterhaltung zwischen zwei Politikern im Kalten Krieg, die er da festhielt, und zugleich wurde daraus jene politische Fotografie, die ihn berühmt machen sollte. Erwitts Bild der sogenannten „Kitchen Debate“ prägte das Image Nixons als Hardliner und seinen eigenen Ruf als Reportagefotograf mit den Qualitäten eines „unsichtbaren Insiders“.
„Dogging Dogs“ – Ein Fotograf kommt auf den Hund Erwitt fotografierte auch immer für sich selbst. Straßenszenen, Menschen – und Hunde. Der Fotograf hat ein besonders freundschaftliches Verhältnis zu Hunden, er bellt sie an und fotografiert sie gerne in Situationen, die das „Menschliche“ des liebsten Begleiters des Menschen deutlich machen und gleichzeitig den „Hund im Menschen“ sichtbar werden lassen. Manche seiner Hundefotos entstehen bei Spaziergängen im Central Park in New York, andere auf Hundemessen und Schönheitswettbewerben für Hunde. Erwitts Hundefotos füllen heute ganze Bücher und er könnte sich rühmen, eine erste Darstellung des Hundes als kulturelles Wesen geschaffen zu haben.
„Museum Watching“ – Was Menschen tatsächlich im Museum tun Die „Kunst der Beobachtung“ hat Erwitt zu seinen zahlreichen Fotografien von Menschen im Museum geführt. Menschen, die – versunken oder skeptisch – in der Betrachtung von Kunstwerken verharren, porträtiert Erwitt bei ihrem stillen Dialog mit der Kunst. Die besondere Umgebung des Museums ist ideal für seinen scharfen und zugleich liebevoll-ironischen Blick auf die Menschen.
„Naked“ – Der Fotograf nackt unter Nackten Es entsteht etwas gänzlich anderes als die gängige Aktfotografie, wenn Elliott Erwitt sich unter Nudisten mischt und dort fotografiert. Der Mensch wird hier ohne Kleidung und Verkleidung gezeigt, jenseits von Schönheitsidealen und Inszenierungen. Diese Fotos bilden eine Art Soziogramm der Nacktkörperkultur und sind vielleicht Erwitts extremster Versuch, der „conditio humana“ zu Leibe zu rücken.
„Personal Exposures“ – Ein Blick für berührende Momente Zwischen Politik und Ironie, zwischen sozial engagierter („concerned photography“) und Straßenfotografie („street photography“) öffnen sich in diesen Arbeiten Elliott Erwitts plötzlich Momente berührender Beobachtungen und Begegnungen. Hier ist Raum für Intimität in seiner Fotografie. So entstehen zeitlose Bilder seiner Familie ebenso wie berühmte Porträts von Schauspielern und Künstlern.
„Photographs and Anti-Photographs“ – Ein Fotografenleben zwischen Pflicht und Kür Der 1928 als Sohn russischer Einwanderer in Paris geborene Elliott Erwitt wuchs die ersten zehn Jahre in Mailand auf. 1938 flohen die Erwitts vor den italienischen Faschisten nach Paris und mit dem letzten Passagierschiff vor den Nationalsozialisten in die USA. Die Familie landete in New York, wo es der Vater nicht lange aushielt. Quer durch die USA reisend baute die Familie eine neue Existenz in Los Angeles auf. Elliott Erwitt lebt heute mit seiner Familie in New York.
Als Fotograf hat Erwitt stets für die Werbung gearbeitet und gleichzeitig seine eigenen fotografischen Projekte realisiert. Dieses Spannungsfeld zwischen Auftrags- und Autorenfotografie hat seine gesamte Karriere als Fotograf geprägt, wobei die Grenzen zwischen diesen beiden Bereichen mitunter auch fließend waren. 1948 lernte er die Fotografen-Legende Robert Capa kennen, der ihn einlud, Magnum-Fotograf zu werden. 1954 wurde er Vollmitglied der Agentur, die bald zu Erwitts Heimat wurde und der er von 1966 bis 1969 als Präsident vorstand.
Elliott Erwitt ist Teil einer Fotografenelite, deren Bildsprache den amerikanischen Fotojournalismus geprägt hat. In Jahrzehnten erfolgreicher Arbeit als Fotograf und der Regie von Dokumentationen und Fernsehfilmen blieb Erwitt stets auch ein „Amateur“, also ein „Liebender“ der Fotografie. In seinen Fotos verbinden sich ein ironischer Blick und ein wacher Geist voll tiefgründiger Leichtigkeit – dabei entstehen humorvolle Bilder unseres Lebens, die dieses oft ein Stück leichter machen.
.
Copyright © 2024 findART.cc - All rights reserved