Deshalb gern mied ich alles Sinnen vorher, eine vage Vorstellung nur in Glut und Farbe *, schrieb Emil Nolde 1936 über seine instinktive Arbeitsweise und den ungehemmten Umgang mit Farben, der seine Werke auszeichnet. Mit Emil Nolde - In Glut und Farbe widmet das Belvedere in Kooperation mit der Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde dem herausragenden Einzelgänger des deutschen Expressionismus eine Ausstellung, die einen lebhaften Eindruck seiner Farbexplosionen vermittelt. Die Schau zeigt Werke aus all seinen Schaffensphasen, von frühen, vom Impressionismus geprägten Gartenbildern über biblische und Legendenbilder oder strahlende, in der Südsee gemalte Pastelle bis hin zu den während des Malverbots entstandenen Ungemalten Bildern und seinen späten, berühmten Blumenbildern. Ergänzt werden sie durch Druckgrafiken des Künstlers und ausgewählte Arbeiten österreichischer Maler wie Oskar Kokoschka oder Herbert Boeckl, die durch Nolde inspiriert wurden.Emil Nolde, 1867 als Emil Hansen im Dorf Nolde bei Tondern im deutsch-dänischen Grenzgebiet geboren, verbrachte seine Kindheit auf dem elterlichen Bauernhof. Nach einer Ausbildung zum Holzbildhauer in Flensburg und darauf folgenden Wanderjahren als Möbeltischler war er als Fachlehrer für gewerbliches Zeichnen in St. Gallen tätig. Von der Münchner Kunstakademie abgewiesen, besuchte er stattdessen private Malschulen und die Académie Julian in Paris. Der Verkaufserfolg einer Postkartenserie, in der er Bergen menschliche Züge verlieh, ermöglichte ihm, ab Mitte der 1890er-Jahre seine Tätigkeit als freier Maler auszuüben. Nolde fand erst relativ spät und weitgehend eigenständig zur Kunst und zu seiner individuellen Ausdrucksweise. Nach den kunsthandwerklichen Anfängen führten ihn die Auseinandersetzung mit Meistern wie Leibl, Marées, Böcklin und der Besuch der Hölzel-Schule in Dachau zunächst zu einer stimmungsvollen, dunkeltonigen Gestaltungsweise, während er durch die Begegnung mit der Malerei der Spätimpressionisten wie van Gogh, Gauguin und Munch zu seiner eigenen Bildsprache fand. Auf seine einjährige Zugehörigkeit zur Künstlergruppe Brücke folgte Noldes Beitritt zur Berliner Secession. Später zählte er zu jenen Künstlern, die sich von dieser abspalteten und 1910 die Neue Secession gründeten.
Um 1911/12 fand Nolde zu seinem persönlichen Stil. Vom farbenprächtigen Impressionismus seiner Gartenbilder um 1907 über die 1910 entstandenen religiösen Bilder, die eine neue Strahlkraft der mit strähnigen Pinselzügen aufgetragenen Farben aufwiesen, gelangte er zu einer Malweise, die leuchtende, volltönende Farbflächen betonte und Details unterschlug. Die Themenvielfalt seines unverwechselbaren Werks reicht von grotesken Fantasiewesen, ekstatischen Tänzerinnen und Situationen des Berliner Nachtlebens über Bibelszenen und christliche Legenden bis hin zur Landschaft seiner Heimat Nordschleswig und zu Meeresstimmungen der Ost- und Nordsee. Noldes Naturverbundenheit und die ständige Suche nach dem Ursprünglichen führten ihn auf weite Reisen, sogar nach Neuguinea, wo er auf Inspiration abseits der westlichen Zivilisation hoffte.
Der Künstler schuf seine Werke vor allem aus seiner eigenen Vorstellungskraft und Empfindung heraus. Sein unmittelbarer Zugang zur Malerei und sein einzigartiger Umgang mit Farben fanden einen Höhepunkt in seinem immensen Alterswerk der Ungemalten Bilder, die trotz des 1941 mit dem Ausschluss aus der Reichskammer der bildenden Künste über ihn verhängten Malverbots im Geheimen entstanden. Zwischen 1938 und 1945 schuf er über 1300 kleinformatige Aquarelle und Gouachen mit frei erfundenen, meist fantastischen Darstellungen in seinem Atelier in Seebüll, von denen knapp 50 Blätter im Unteren Belvedere präsentiert werden. Meist erarbeitete er sie aus einem Guss in einem Arbeitsgang und ließ aus zufälligen Farbklecksen Gesichter, Figuren, aber auch fantastische Mischwesen zwischen Mensch und Tier entstehen. Ebenso malte Nolde Landschaften aus seinem Gedächtnis, unter ihnen blutrot gefärbte Meere oder in Lapislazuli getauchte Felsküsten.
Entgegen Noldes eigenem Vorbehalt ist seine Malerei zweifellos als eigenständiger Beitrag dem Expressionismus als künstlerischer Bewegung und Stilrichtung zuzuordnen. Emil Nolde - In Glut und Farbe zeigt zentrale Werke aus der reichen Sammlung der Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde, der Hamburger Kunsthalle und weiterer Museen und Privatsammlungen. Unter den Arbeiten befinden sich Landschaften, Meere, Bildnisse, Berliner Szenen, religiöse Bilder und Fantasien sowie hochkarätige Folgen von Aquarellen und fast 50 Blätter der Ungemalten Bilder. Gleichzeitig beleuchtet die Ausstellung durch ausgewählte Werke österreichischer Maler wie Oskar Kokoschka oder Herbert Boeckl, Werner Berg oder Max Weiler, wie diese auf Noldes Farbexplosionen reagierten und aus seiner Kunst Anregungen für das eigene Werk bezogen. Damit veranschaulicht die Ausstellung auch den intensiven künstlerischen Austausch im Europa des 20. Jahrhunderts.
* Emil Nolde, Welt und Heimat. Die Südseereise 1913 1918. Geschrieben 1936, hg. von der Nolde Stiftung Seebüll, Köln 2002, Bd. III, S. 88.