Gerti Deutsch (Wien 1907-1979 Leamington Spa) Kriegsheimkehrer, Wien, 1948 Vintage silver print gettyimages/Fotohof Gerti Deutsch (Wien 1907-1979 Leamington Spa) Kriegsheimkehrer, Wien, 1948 Vintage silver print gettyimages/Fotohof - Mit freundlicher Genehmigung von: StalzerundPartner

Wer: StalzerundPartner

Was: Ausstellung

Wann: 23.10.2012 - 03.03.2013

Vor 1938 waren der größte Teil aller Fotostudios in Wien in weiblicher, jüdischer Hand. Das Ausstellungsprojekt „Vienna’s Shooting Girls. Jüdische Fotografinnen aus Wien“ geht den Gründen dafür nach und macht ein großartiges Kapitel jüdischerWiener Frauengeschichte wieder sichtbar. Eine Auswahl an Arbeiten von ca. 40 Wiener jüdischen Fotografinnen bietet ein repräsentatives…
Vor 1938 waren der größte Teil aller Fotostudios in Wien in weiblicher, jüdischer Hand. Das Ausstellungsprojekt „Vienna’s Shooting Girls. Jüdische Fotografinnen aus Wien“ geht den Gründen dafür nach und macht ein großartiges Kapitel jüdischerWiener Frauengeschichte wieder sichtbar. Eine Auswahl an Arbeiten von ca. 40 Wiener jüdischen Fotografinnen bietet ein repräsentatives Bild der Geschichte der österreichischen Fotografie in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts.

Blättert man die Magazine und Illustrierten der Ersten Republik durch, so gewinnt man den Eindruck, dass Wien zu diesem Zeitpunkt eine Stadt der Frauen war – vor allem der jüdischen Frauen. Jüdische Fotografinnen prägten das kulturelle Leben der Stadt maßgeblich mit ihren Arbeiten. Die anspruchsvolle Wiener Porträtfotografie war zu diesem Zeitpunkt von Frauen dominiert, die meist aus liberalen jüdischen Familien stammten. Höhere Schulbildung und eine Berufsausbildung waren Teil des jüdischen Selbstverständnisses und die Berufstätigkeit von Frauen gewann zunehmend an Bedeutung. Fotografie war vor allem deswegen ein sehr attraktiver Beruf für Frauen, weil er keine akademische Ausbildung erforderte, die damals noch sehr schwer zu erlangen war. Mit der Fotografie bot sich eine realistische Möglichkeit zu reüssieren und auch künstlerisch ernst genommen zu werden. Studiofotografie konnte sogar von zu Hause aus betrieben werden, lediglich in eine technische Ausrüstung musste investiert werden.

Als eine der ersten Wienerinnen des 20. Jahrhundert erkannte Dora Kallmus das Potenzial der Fotografie als Karrierechance für Frauen. Sie verstand es, als Madame d’Ora einen eigenen unverwechselbaren Stil zu kreieren und mit großem Erfolg von Wien nach Paris zu exportieren. Österreichs Fotografinnen waren vor allem in der Mode- und Porträtfotografie führend. Mit der Emigration der meisten jüdischen Fotografinnen nach dem „Anschluss“ erfuhr ihre Tätigkeit nur wenig später einen radikalen Bruch, denn nicht allen gelang es sich im Exil wieder ein Standbein zu schaffen.

Die Ausstellung im Jüdischen Museum Wien folgt dem Weg der Fotografinnen ins Exil und somit an das willkürliche Ende dieser Ära für Wien, erinnert aber auch an die Fortführung in anderen Ländern und Kontinenten. Gezeigt werden Arbeiten nicht nur von Madame d’Ora, Trude Fleischmann oder Edith Tudor Hart, sondern auch von wenig bekannten Frauen wie Hilde Zipper-Strnad oder Claire Beck.

Zur Ausstellung erscheint ein reich illustrierter Katalog mit 224 Seiten im Metro Verlag, ISBN-Nr. 978-3-99300-089-9 zum Preis von 27,90 € und ist im Bookshop Singer erhältlich.

Vienna’s Shooting Girls wird von Andrea Winklbauer und Iris Meder kuratiert und ist von 23. Oktober 2012 bis 3. März 2013 im Jüdischen Museum Wien, Dorotheergasse 11, 1010 Wien zu sehen. Das zu den Kulturbetrieben der Wien Holding zählende Museum ist von Sonntag bis Freitag von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Für beide Museen (Dorotheergasse & Judenplatz) gibt es ein gemeinsames Ticket zum Preis von € 10, ermäßigt € 8, Gruppen € 7, Kinder bis zum vollendeten 14. Lebensjahr frei, SchülerInnen (ab 15 Jahren), Lehrlinge, StudentInnen (bis 27 Jahre), Zivil- und Präsenzdiener € 5. Freier Eintritt für Schulklassen, für die Schülerführung ist ein Kostenbeitrag von € 20 zu leisten. Weitere Informationen unter www.jmw.at.

Zur Ausstellung:Einleitend wird den BesucherInnen ein Einblick in die Rahmenbedingungen des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts gegeben. Frauen engagierten sich bereits seit den Anfängen der Fotografie in Österreich auch innerhalb der Photographischen Gesellschaft. Bemerkenswerterweise gab es im 19. Jahrhundert in Wien mit Adele Perlmutter und Rosa Jenik bereits zwei Hoffotografinnen. Um 1903 kamen auch Olga Baczynska und zahlreiche von weiblichen Mitgliedern der Familie Weitzmann geführte Studios in Wien hinzu.

Mädchenbildung war im liberalen Wiener jüdischen Bürgertum seit dem späten 19. Jahrhundert ein wichtiges Thema. So war der Anteil jüdischer Schülerinnen an Wiener Mädchenlyzeen zu Anfang des 20. Jahrhunderts prozentuell etwa achtmal so hoch wie der jüdische Bevölkerungsanteil in Wien. In der Folge ergriffen auch deutlich mehr jüdische als nichtjüdische Frauen einen Beruf. Die Präsenz beruflich erfolgreicher jüdischer Frauen in der Wiener Gesellschaft illustrieren nicht zuletzt auch ihre Porträts aus den Ateliers von Fotografinnen, die sich ihrerseits eine eigene berufliche Existenz geschaffen hatten. Die gewerbliche Studiofotografie stand Frauen so weit offen, dass sich viele von ihnen unter den meistbeschäftigten und ästhetisch anspruchsvollsten Fotografen ihrer Zeit platzieren konnten. Dora Kallmus‘ Studio wurde zum Lernort für junge Fotografinnen, deren Fotografien auch Jahre später noch das Vorbild anzusehen ist. Parallel zur Entstehung von Fotostudios in weiblicher Hand waren Frauen auch in der Szene der Amateur- und Kunstfotografen ihrer Zeit äußerst aktiv. Cécile Machlup, Betti Mautner und Käthe Serog waren Mitglieder in Amateurfotografen-Vereinen, stellten Fotografien aus, veröffentlichten in Zeitungen und Zeitschriften und wurden von ihren Zeitgenossen geschätzt und geehrt.

Professionelle Fotografie von Frauen geprägt Studiofotografinnen wie Dora Kallmus ließen mit bewusst eingesetzten Unschärfen und Glanzlichtern den Einfluss des Piktorialismus erkennen. Protagonistinnen des „Neuen Sehens" in der österreichischen Fotografie waren Stephanie Brandl und Margaret Michaelis- Sachs. Beispiele für den am Bauhaus gelehrten freien Umgang mit Genres und Techniken sind die Fotomontagen von Friedl Dicker. Die Arbeitsfelder der Wiener Fotostudios waren vielfältig: vom Society-, Künstler-, Tänzer- und Schauspieler-Porträt über Modefotografie bis hin zu Produkt-, Architektur-, Großstadt- und Landschaftsfotografie. Mit der Entwicklung der Drucktechnik kamen seit Anfang der 1920er Jahre zahlreiche illustrierte Zeitschriften wie

Moderne Welt, Die Dame, Wiener Illustrierte, Wiener Magazin und Die Bühne auf den Markt. In ihrer Mischung aus Lifestyle-, Mode-, Kultur- und Society-Berichterstattung waren sie ideale Medien für die Fotos, die sich oft zwischen Mode-, Genre-, Porträt- und Rollendarstellung bewegten. Die große Anerkennung, die Wiener jüdische Fotografinnen gerade in der Porträtfotografie fanden, zeigt sich auch in der Tatsache, dass sich viele Prominente aus Kunst, Kultur und Wissenschaft von ihnen fotografieren ließen. Mit der zunehmenden Bedeutung von Illustrierten und Lifestyle-Magazinen nahm auch die Bedeutung des für PR-Zwecke gedachten Porträtfotos zu. In der Zeit der Ersten Republik kamen außerdem Fan-Postkarten auf, die in großen Mengen fotografisch reproduziert wurden.

Tanzfotografie stellte in der großen Zeit des modernen Tanzes ein eigenes Genre dar, mit fließenden Übergängen zur Aktfotografie. Die in größerem Maß als je zuvor sichtbaren trainierten Körper der Tänzerinnen und Tänzer waren ebenso ein Faszinosum, wie die Darstellung von charakteristischen Bewegungsabläufen und Posen und von avantgardistischen Kostümen, die oft von Künstlern entworfen waren. Ein neues sportliches Körperbild und eine Ahnung sexueller Freiheit brachten eine zunehmende Ungezwungenheit bezüglich unbekleideter Körper mit sich, die nicht notwendigerweise in erotischem Kontext gesehen wurden, sondern im Sinne einer auch gesellschaftlichen Befreiung und Natürlichkeit. Für Fotografen und Fotografinnen bot sich der – meist weibliche – nackte Körper als Versuchsfeld für fotografische Studien zu Licht und Plastizität an. So fotografierten die beiden bedeutendsten Aktfotografinnen Deutschlands und Österreichs, Germaine Krull und Trude Fleischmann, die Gymnastiklehrerin Cilli Pam während eines gemeinsamen Fototermins in Fleischmanns Atelier.

Für Modefotos wurden bis in die 1930er Jahre bevorzugt Personen der Gesellschaft und Künstlerinnen wie Tänzerinnen und Schauspielerinnen eingesetzt. Nicht selten fungierten auch Designerinnen als ihre eigenen Modelle. Die in erster Linie für die Publikation in Zeitschriften gedachten Modefotografien spiegeln in exemplarischer Weise die sich rasant ändernde Ästhetik, aber auch die Einflüsse von bildender Kunst, Design, Kunsthandwerk und Architektur auf die Mode der jeweiligen Saison wieder.

Die Porträtfotos vermitteln die unterschiedlichen Facetten des sich im Verlauf weniger Jahrzehnte stark wandelnden modernen Menschen- und vor allem Frauenbildes im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, auch und gerade in jüdischen Kreisen. Vor allem die 1920er Jahre waren symptomatisch für ein Frauenbild, das mit Riesenschritten in Richtung Moderne stürmte.

In der Reportagefotografie war Alice Schalek eine Vorreiterin. War sie im Ersten Weltkrieg noch die einzige Frau unter den fotografierenden Kriegsberichterstattern, so stieg die Zahl der Reportagefotografinnen in den 1920er und vor allem in den 1930er Jahren, begünstigt durch die Entwicklung handlicher Kleinbild- bzw. Mittelformat-Kameras, stark an. Während „die Schalek“ generell affirmativ berichtete, dokumentierten Edith Suschitzky (Edith Tudor Hart), Margaret Michaelis, Gerti Deutsch, Marianne Bergler, Annie Schulz und Trude Geiringer mit kritischem Blick die sozialen Errungenschaften, aber auch das Elend der Jahre der Wirtschaftskrise in Wien, Prag und Barcelona.

Emigration, Exil und NachkriegszeitManchen Wiener jüdischen Fotografinnen gelang die Flucht vor dem nationalsozialistischen Terror nicht. Edith Barakovich, Claire Beck, Friedl Dicker, Martha Fein-Spraider, Helene Feintuch, Eugenie Goldstern, Ilse Pisk, Arabella Robitschek-Gyarmati, Annie Schulz und Hilde Zipper-Strnad wurden ermordet oder in den Freitod getrieben. Die meisten anderen konnten sich ins Ausland retten. Edith Tudor Hart und Margaret Michaelis mussten aus politischen Gründen schon früh emigrieren. Sie gingen nach England bzw. Spanien und setzten dort ihre sozialkritische fotografische Arbeit fort. Erna Adler-Rabus, Maria Austria und Dora Kallmus überlebten in der Illegalität bzw. versteckt in Belgien, den Niederlanden bzw. Frankreich. Maria Austria fotografierte 1943 aus ihrem Versteck in Amsterdam marschierende Wehrmachtssoldaten. Nach Kriegsende dokumentierte sie das Versteck von Anne Frank. Einige Wiener jüdische Fotografinnen emigrierten nach Großbritannien, der Großteil in die USA, viele davon nach New York. Einige konnten dort mit Aufträgen für Illustrierte Fuß fassen. Andere führte ihre Emigration nach Australien oder Kolumbien. Camilla Koffler (Ylla) errang internationalen Ruhm mit Tierreportagen. Die Doyenne der Wiener Studio-Fotografie, Dora Kallmus, fand nach dem Krieg mit einer Serie von Teilen toter Tiere aus den Schlachthöfen von Paris zu einem völlig neuen Thema.

Trude Geiringer Obdachloser, Prag 1936 Vintage silver print Wien Museum Trude Geiringer Obdachloser, Prag 1936 Vintage silver print Wien Museum - Mit freundlicher Genehmigung von: StalzerundPartner
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