Maskenfigur „Große Technik“, Lavinia Schulz (1896-1924) und Walter Holdt (1899-1924), um 1923, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Foto: Maria Thrun/MKG Maskenfigur „Große Technik“, Lavinia Schulz (1896-1924) und Walter Holdt (1899-1924), um 1923, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Foto: Maria Thrun/MKG - Mit freundlicher Genehmigung von: mkg

Was: Ausstellung

Wann: 01.02.2012

Die Neueröffnung der Sammlung Moderne bildet den Auftakt der Wiedereinrichtung wichtiger Sammlungsbereiche des MKG. Die neue Dauerausstellung erzählt in sechs großen Kapiteln vom Aufbruch in die Moderne, dem Aufbrechen ästhetischer Traditionen und der Suche nach Einfachheit und Funktionalität. Die Besucher erwartet in renovierten Räumen eine neue Präsentation, die Möbel,…
Die Neueröffnung der Sammlung Moderne bildet den Auftakt der Wiedereinrichtung wichtiger Sammlungsbereiche des MKG. Die neue Dauerausstellung erzählt in sechs großen Kapiteln vom Aufbruch in die Moderne, dem Aufbrechen ästhetischer Traditionen und der Suche nach Einfachheit und Funktionalität. Die Besucher erwartet in renovierten Räumen eine neue Präsentation, die Möbel, Kunsthandwerk, Produktdesign, Fotografie und Mode zu einem großen Ganzen zusammenbringt und den Geist der Zeit wieder lebendig werden lässt. Die Ausstellung schlägt den Bogen von den ersten Weltausstellungen im 19. Jahrhundert und der Gründung des MKG als stilistische Vorbildersammlung bis zu den Ideen von Bauhaus, Neuem Wohnen der 1920er Jahre und der Reformpädagogik. Sie lässt die legendären, expressionistischen Künstlerfeste wieder aufleben und beleuchtet zugleich den rückwärtsgewandten, pompösen Stilpluralismus dieser Zeit.

 

Ein Raum des Künstlers Peter Behrens (1868-1940) zeigt beispielhaft, wie Künstler zwischen Kunst und industrieller Form ihren Weg suchen. Auch die Kunstfotografie entwickelt mit dem Einsatz malerischer Techniken ein Neues Sehen. Architekten und Designer strebten mit ihren Entwürfen nach einer universellen Weltordnung und schlagen später mit der Abstraktion ganz neue Wege ein. Zeitgleich und völlig gegensätzlich zu diesen gestalterischen Absichten entsteht ein neues Bedürfnis nach dem exklusiven handgefertigten Einzelstück und luxuriöser Ausstattung. Besonders wirkt sich dieses Bestreben bei den Entwürfen berühmter Modeschöpfer wie Elsa Schiaparelli (1890-1973), Paul Poiret (1879-1944) oder Mariano Fortuny (1871-1949) aus. Der gesamte Rundgang beginnt mit den bereits in 2011 eröffneten Milde-Speckter-Zimmer und der Louis-Seize-Raum. Am 18. und 19. Februar 2012 lädt das MKG zu einem großen Kunstfest mit expressionistischen Tanzaufführungen, sinnlichen Schleiertänzen, Modeperformances und Textcollagen ein. Die Neueinrichtung der Sammlung Moderne wird ermöglicht durch Mittel aus dem Sonderausstellungsfonds der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg und durch die großzügige Unterstützung zahlreicher Saalpaten.

Weltausstellungen

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ist das Zeitalter der großen Weltausstellungen. Sie wurden zu Schauplätzen des internationalen wirtschaftlichen Wettbewerbs im Zeitalter von fortschreitender Industrialisierung. Mit dem technischen Fortschritt kamen neue Produktionsmethoden auf, neue Gegenstände und Geräte wurden entwickelt. Was jedoch fehlte, was ein neuer ästhetischer Stil. Daher griff man ab der Mitte des Jahrhunderts auf historische Stile zurück: die Epoche des Historismus brach an, der sich jedoch schnell zu einem repräsentativen Stil entwickeln sollte. Der wirtschaftliche Reichtum der Gründerzeit spiegelt sich im Reichtum der Ornamentik und des Dekors wider. Unter dem Titel „Stilpluralismus“ fokussiert die neue Dauerausstellung auf dieses typisch historistische Phänomen: den Mix der verschiedenen Epochenstile in allen Bereichen der angewandten Kunst. Für den technischen Fortschritt stehen nicht nur die Thonet-Stühle, Inbegriff des modernen Massenmöbels, sondern auch die Fotografie. In den ersten Dekaden des 19. Jahrhunderts entstanden eine Reihe von Reproduktionsverfahren, die für die weitere Entwicklung der Kunst von größter Bedeutung waren. Am 19. August 1839 kaufte der französische Staat das Patent für ein Verfahren, das als Daguerrotypie in die Geschichte einging. Das MKG besitzt eine umfangreiche Sammlung von Daguerrotypien, die erstmals seit vielen Jahren wieder in der Dauerausstellung präsentiert werden.

Malerische Technik: Kunstfotografie um 1900

Um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert begann das MKG, Fotografie als eigenständiges Medium zu sammeln, und besitzt damit eine der ältesten, wenn nicht die älteste fotografische Sammlung in einem Museum überhaupt. In dieser Zeit entwickelte sich Hamburg, unterstützt durch Alfred Lichtwark (1852-1914), dem ersten Direktor der Hamburger Kunsthalle, zum internationalen Zentrum der zeitgenössischen Fotografie. Lichtwark sah im Bereich der Amateurfotografie eine große Chance zur Förderung des Kunstsinnes des Publikums. Ein wichtiger Mentor dieser Bewegung und Mitbegründer der "Gesellschaft zur Förderung der Amateurphotographie Hamburg" war der Hamburger Kaufmann Ernst Juhl, aus dessen Nachlass ein großer Teil der heutigen Sammlung im MKG stammt. Auch sie wird wieder einen festen Platz in der neuen Dauerpräsentation einnehmen.

Vom Jugendstil zum Industriedesign: Peter Behrens

Der in Hamburg geborene Peter Behrens (1868-1940) gehört nicht nur zu den wichtigsten Vertretern des Jugendstils, sondern auch zu den Pionieren des Industriedesigns. 1903 erregte er großes Aufsehen mit seinem als Gesamtkunstwerk entworfenen Wohnhaus in einem der bedeutendsten Zentren des deutschen Jugendstils, der Mathildenhöhe in Darmstadt. Der Begründer der AEG, Emil Rathenau, engagierte Peter Behrens als künstlerischen Beirat seines interna-tional führenden Elektrokonzerns. Für die AEG gestaltete Behrens zwischen 1907 und 1914 das gesamte Erscheinungsbild von der Schrift über Werbekataloge und alle elektrischen Geräte bis hin zur Architektur und setzte damit neue Maßstäbe für das Corporate Design in der maschinellen Produktion. In der neuen Dauerausstellung entsteht ein Künstlerraum, der ausschließlich dem Werk von Behrens gewidmet ist. Er war ein Kind des Jugendstils, dem er bald den Rücken kehren sollte, um ein Werk von katalysatorischer Wirkung für die Moderne zu schaffen. Sein Leitmotiv war die „innige Verbindung von Kunst und Industrie“.

Luxus als Stil: Art Deco

In Frankreich entwickelte sich im bewussten Gegensatz zu den sozialreformerischen Maximen der Moderne ein neuer Repräsentationsstil der bürgerlichen Elite: Art Deco. Paris zelebrierte sich als Stadt des Luxus und die Grands Magasins richteten einen neuen Service ein: Solvente Bürger konnten sich einen „Ensemblier“ oder Innenarchitekten einkaufen, um sich individuelle Interieurs von ausgesuchter Eleganz entwerfen zu lassen. Auf der „Exposition des Arts Décoratifs et Industriels Modernes“, die 1925 in Paris stattfand, feierte der neue elitäre französische Stil wahre Triumphe. Im Vordergrund stand nicht die Lösung gestalterischer Fragen im Dienste der industriellen Massenproduktion, sondern das handwerklich exklusiv gefertigte Einzelstück. Das MKG besitzt von den bedeutendsten Künstlern des französischen Art Deco, zu denen neben Jacques-Emile Ruhlmann (1879-1933) oder Jules Leleu (1883-1961) auch Le Corbusier (1887-1965) gehörte, herausragende Beispiele, die zu einem „Pariser Interieur“ vereint werden.

Neues Wohnen

Der politische und ökonomische Zusammenbruch Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg lieferte den Nährboden für neue gesellschaftliche Reformbestrebungen, die in der Vision vom „Neuen Menschen“ gipfelten. Das Bestreben, für diesen „Neuen Menschen“ eine angemessene Bau- und Wohnkultur zu entwerfen, war das Leitmotiv für zahlreiche Architekten der 1920er Jahre. Industrialisiertes Bauen mit vorfabrizierten Elementen, Typisierung der Grundrisse, Standardisierung der Einrichtung und Gebrauchsgüter und die entschiedene Sachlichkeit im Erscheinungsbild prägen die neue Ästhetik des fortschreitenden Industriezeitalters. Das MKG konnte seine Sammlung Moderne in 2010 um zwei wichtige Ensembles erweitern: Erstmals in der Dauerausstellung wird eine Frankfurter Küche zu sehen sein, die die Wiener Architektin Margarethe Schütte-Lihotzky (1897-200) 1927 für das seinerzeit innovative Siedlungsprojekt „Neues Frankfurt“ entwickelt hat. Im „Neuen Frankfurt“ galt die Parole „Vom Kochtopf zur Fassade bauen“. Aus Privatbesitz konnte das MKG frühe Möbel von den bedeutendsten Möbeldesignern des Bauhaus in Dessau erwerben: von Marcel Breuer (1902-1981) und Erich Dieckmann(1896-1944). Auch sie werden erstmals ausgestellt und geben eine Vorstellung vom „Neuen Wohnen“ in den 1920er Jahren.

Abstraktion Moderne

Im politisch-gesellschaftlichen Vakuum nach dem Ersten Weltkrieg reifte die Vision der abstrakten Kunst heran, die die Avantgarde schon seit der Jahrhundertwende beschäftigt hatte. Die abstrakten Künstler sahen sich als Weltbürger und betrachteten ein Denken in nationalen Kategorien als überwunden. Stattdessen strebten sie nach einer kollektiven und universellen Kunst, befreit vom Ballast der Gegenständlichkeit. Eine wichtige Keimzelle der Abstraktion entstand in Holland mit der Künstlergruppe De Stijl, die sich 1917 formierte. Die Ideen von De Stijl lieferten wichtige Impulse für die Entwicklung der Abstraktion in Frankreich und Deutschland, vor allem am Bauhaus. Mit dem 1925 entstandenen Esszimmer von Félix del Marle (1889-1952), besitzt das MKG eines der ganz wenigen Beispiele französischer Interieurs, die nahezu manifestartig die utopischen Prinzipien von De Stijl, umsetzen. De Stijl strebte das Ideal der reinen, abstrakten Form an, um eine universelle, von Natur und Emotionen unabhängige Ordnung zu schaffen. Diese künstlerisch radikalen Ideen wollten sie auf die Gestaltung aller Lebensbereiche übertragen. Ganz in diesem Sinne sind die Möbel von Félix Del Marle auf ihre wesentlichen Grundelemente reduziert. Sie bestehen aus einfachen Vierkanthölzern und Brettern; die jeweiligen konstruktiven Elemente sind durch die unterschiedliche Farbgebung betont.

Expressionismus und Tanz

Um 1900 entwickelte sich unter den Künstlern eine starke Sehnsucht nach „Ursprünglichkeit“. Die Suche nach dieser Ursprünglichkeit führte im frühen 20. Jahrhundert in zwei entgegengesetzte Richtungen: in die Ferne, zur Kunst der außereuropäischen Kulturen Afrikas und Ozeaniens, und, ausgelöst durch Sigmund Freud (18561939) und seine Psychoanalyse, auch weit in das eigene Ich. Bei der Herausbildung der neuen expressionistischen Künstlersprache spielte der zeitgenössische Tanz eine entscheidende Rolle. Tanz galt als existenzielle Metapher des menschlichen Schicksals schlechthin, vermittelte ein rhythmisch-dynamisches Lebensgefühl, den Dualismus von Körper und Seele, die Dominanz des Gefühls über den Verstand, Wildheit, Erotik und Exotik. Das MKG besitzt ein äußerst rares Beispiel expressionistischer Bühnenkunst: Zwischen 1919 und 1924 gestaltete das in Hamburg lebende Künstlerpaar Lavinia Schulz (1896-1924) und Walter Holdt (1899-1924) rund 20 Ganzkörpermasken, die in ihrer Erscheinung absolut einzigartig sind. Auf den Bühnen der legendären Hamburger Künstlerfeste führten sie ihre wilden Tänze auf, bevor die finanzielle Not das Künstlerpaar 1924 in den Freitod trieb.

Begleitprogramm: Maskentanz. Wir feiern die Moderne! Sa, 18. Februar/So, 19. Februar 2012, jeweils 11 – 18 Uhr

Zur Neueröffnung der Sammlung Moderne veranstaltet das MKG in Kooperation mit der Hochschule für Musik und Theater Hamburg (HfMT) sowie der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg am 18. und 19. Februar 2012 ein großes Kunstfest. Unter der künstlerischen Gesamtleitung von Prof. Frank Böhme von der HfMT werden in Tanzaufführungen, Musikdarbietungen und Textcollagen die Epochen vom Jugendstil über Expressionismus bis zum Bauhaus wieder lebendig und die für die Zeit charakteristische Einheit der Künste erfahrbar gemacht. Die sinnlichen Schleiertänze von Loie Fuller kontrastieren mit dem reduziert abstrakten Stabtanz des Bauhauslehrers Oskar Schlemmer. Die expressionistischen Tanzmasken des Hamburger Künstlerpaars Lavinia Schulz und Walter Holdt werden mit Musik von Hans Heinz Stuckenschmidt und Stefan Wolpe zu neuem Leben erweckt. Musik Arnold Schönbergs, Erwin Schulhoffs, Eric Saties, Alexander Skrjabins und anderer Komponisten der Zeit ist zu hören. Es werden die Experimente von Ton-Lichtinstallationen rekonstruiert und eine zeitgenössische Modenschau dargeboten. Künstlerische Gesamtleitung: Prof. Frank Böhme (HfMT); Ausführende: Studierende und Lehrende der HfMT; Choreografie: Namoo Kim und Tyll Wibben. Ermöglicht durch die Martha Pulvermacher Stiftung.

Die Neueinrichtung der Sammlung Moderne wird ermöglicht durch Mittel aus dem Sonderausstellungsfonds der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg sowie durch die großzügige Unterstützung von Saalpaten:

§ Milde-Speckter-Zimmer: Stiftung Voss-Andreae

§ Louis-Seize-Raum: Agnes Gräfe Stiftung

§ Historismus. Weltausstellung und Stilpluralismus: Peter und Dietlinde Bischoff-Stiftung

§ Expressionismus und Tanz: Annegret und Claus-G. Budelmann

§ Abstraktion Moderne: Mara und Holger Cassens Stiftung

§ Neues Wohnen: Hamburger Feuerkasse Versicherungs-AG

§ Luxus als Stil: Art Déco: Heribert Diehl

§ Modewelle: Karin Stilke Stiftung

§ Vom Jugendstil zum Industriedesign: Peter Behrens; Malerische Technik: Kunstfotografie um 1900: Martha Pulvermacher Stiftung

Kuratorin: Dr. Claudia Banz

Presse: Michaela Hille

„Drei Gelb, Drei Quadrate", Wandteppich, Josef Albers (1888-1976), 1966, Entwurf: New Haven / USA; Ausführung Aubusson / Frankreich, Tapisserie, Wolle, 176 x 170 cm, © The Josef and Anni Albers Foundation / VG Bild-Kunst, Bonn 2011, Foto: Maria Thrun / MK „Drei Gelb, Drei Quadrate", Wandteppich, Josef Albers (1888-1976), 1966, Entwurf: New Haven / USA; Ausführung Aubusson / Frankreich, Tapisserie, Wolle, 176 x 170 cm, © The Josef and Anni Albers Foundation / VG Bild-Kunst, Bonn 2011, Foto: Maria Thrun / MK - Mit freundlicher Genehmigung von: mkg / Lichtobjekt, Gerhard von Graevenitz (1934-1983), 1969, München, Holz, Aluminium, Plexiglas, Glühbirnen, Elektromotor, 120 x 120 cm, Stiftung von Wilhelm Huth, Hamburg, © VG Bild-Kunst, Bonn 2011, Foto: Roman Raacke Lichtobjekt, Gerhard von Graevenitz (1934-1983), 1969, München, Holz, Aluminium, Plexiglas, Glühbirnen, Elektromotor, 120 x 120 cm, Stiftung von Wilhelm Huth, Hamburg, © VG Bild-Kunst, Bonn 2011, Foto: Roman Raacke - Mit freundlicher Genehmigung von: mkg / Holzspielzeug Stadt am Ende der Welt, Lyonel Feininger (1871-1956), 1919 bis ca. 1950Weimar / Dessau / Berlin, Holz, gesägt, geschnitzt, bemalt, 3,7 bis 11.5 cm, © VG Bild-Kunst, Bonn 2011, Foto: Joachim Hiltmann, Stanislaw Rowinski, Andreas Torneberg / M Holzspielzeug Stadt am Ende der Welt, Lyonel Feininger (1871-1956), 1919 bis ca. 1950Weimar / Dessau / Berlin, Holz, gesägt, geschnitzt, bemalt, 3,7 bis 11.5 cm, © VG Bild-Kunst, Bonn 2011, Foto: Joachim Hiltmann, Stanislaw Rowinski, Andreas Torneberg / M - Mit freundlicher Genehmigung von: mkg /
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