Peter Weibel, Polizei lügt, 1971  Wien, aus der Serie Anschläge, 1970/1971 SW-Fotografie Foto: Peter Weibel, © Peter Weibel Peter Weibel, Polizei lügt, 1971 Wien, aus der Serie Anschläge, 1970/1971 SW-Fotografie Foto: Peter Weibel, © Peter Weibel - Mit freundlicher Genehmigung von: belvedere

Wer: belvedere

Was: Ausstellung

Wann: 17.10.2014 - 18.01.2015

Der Medienkünstler, Schauspieler, Theoretiker, Musiker und Museumsleiter Peter Weibel, der in den 1960er- und 1970er-Jahren zu den österreichischen „Rebellen“ zählte, wurde in diesem Jahr für sein künstlerisches Gesamtwerk mit dem Oskar-Kokoschka-Preis 2014 ausgezeichnet. Sein außergewöhnliches Schaffen ist geprägt durch Themenfelder wie die Mechanismen der Wahrnehmung und…
Der Medienkünstler, Schauspieler, Theoretiker, Musiker und Museumsleiter Peter Weibel, der in den 1960er- und 1970er-Jahren zu den österreichischen „Rebellen“ zählte, wurde in diesem Jahr für sein künstlerisches Gesamtwerk mit dem Oskar-Kokoschka-Preis 2014 ausgezeichnet. Sein außergewöhnliches Schaffen ist geprägt durch Themenfelder wie die Mechanismen der Wahrnehmung und des Denkens, die Eigenwelt der Apparate, die Krise der Repräsentation, des Bildes und des Museums, die Beziehung von Kunst, Politik und Ökonomie und die Bedingungen des Betriebssystems Kunst. Das Display der Ausstellung im 21er Haus veranschaulicht die einzelnen Kapitel von Weibels künstlerischer Arbeit – gewissermaßen ein Orbis Sensualium Pictus.

„Mit dieser Ausstellung, die sich zufällig mit dem Erreichen des 70. Lebensjahres von Peter Weibel deckt, ehrt Österreich einen der international erfolgreichsten Medienkünstler“, so Agnes Husslein-Arco, Direktorin des Belvedere und des 21er Haus. „Es ist überraschend, dass die Präsentation performativer Medienkunst heute vorwiegend den Galerien überlassen bleibt, wohingegen das Thema in Museen eher vernachlässigt wird. Dies liegt daran, dass die Techniken der Aufnahme und der Abspielwiedergabe inzwischen veraltet sind. Man darf aber nicht vergessen, dass es sich damals um wesentliche Metaphern des Fortschritts gehandelt hat. Jede einzelne dieser frühen multimedialen Präsentationen Peter Weibels war eine Revolution für sich – inhaltlich wie technisch“, erklärt die Direktorin weiter.

1960er-Jahre in WienDie Absage an einen gesellschaftspolitischen Konservatismus mit traditionellen geschlechts- und klassenspezifischen Rollenbildern spiegelte sich Ende der 1960er-Jahre in tiefgreifenden künstlerischen Aufbrüchen wider: Unkonventionelle Querdenker nahmen die Auflösung und Durchmischung der vormals streng getrennten Genres Kunst und Architektur in Angriff. Dabei wurde der menschliche Körper zum zentralen Medium und Motiv für performative und raumbezogene Kunstformen, die das Verhältnis zwischen Individuum und Umwelt kritisch hinterfragen bzw. visionär zu bestimmen versuchten. In diesem Umfeld sowie im Gefolge der Wiener Gruppe und des Wiener Aktionismus formierte sich eine junge Kunst- und Architekturszene, deren Protagonisten mit Blick auf die Neuerungen in Gesellschaft, Wissenschaft und Technik experimentelle und alternative Lebens- und Gestaltungsformen vertraten. Der in Odessa geborene Peter Weibel war eine der umtriebigen Hauptfiguren dieser Szene, in der sich die Künstler nicht mehr hinter dem Werk verbargen, sondern mit ihrem Auftreten Teil eines Gesamtkonzepts wurden, in dem Akteure und Rezipienten nicht mehr zu unterscheiden waren. Der Künstler, Kurator und Theoretiker, der seit 1999 Vorstand des Zentrums für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe ist, gehörte in den 1960er- und 1970er- Jahren zu den Rebellen der spezifisch österreichischen Art, deren Regierungsattacken sich mit Skurrilität und einer Wiener Melange von angewandter Psychoanalyse bis Zentralfriedhofsmelancholie verbanden.

Peter Weibel:Medienkünstler, Schauspieler, Theoretiker, Musiker und Museumsleiter Peter Weibels Werk ist nicht durch eine autobiografische Signatur geprägt, sondern durch Themenfelder wie die Mechanismen der Wahrnehmung und des Denkens, die Eigenwelt der Apparate, die Krise der Repräsentation, des Bildes und des Museums, die Beziehung von Kunst, Politik und Ökonomie und die Bedingungen des Betriebssystems Kunst. Daraus ergibt sich ein Werk, das in der Pluralität seiner Methoden und in der Kohärenz seiner Problemstellungen den Entwurf eines neuen Werk- und Künstlerbegriffs in seltener Radikalität vorlegt und das nicht nur bis heute bereits viele junge Künstler beeinflusst hat, sondern dies auch im 21. Jahrhundert tun wird. Es ist bezeichnend für das Multitalent Peter Weibel, dass er in diesem Jahr für sein künstlerisches Gesamtwerk mit dem Oskar-Kokoschka-Preis 2014 ausgezeichnet wurde, obwohl die wenigsten sein in der Tat außergewöhnliches künstlerisches Werk kennen noch es zu beurteilen imstande sind. In diesem Sinne wird die Ausstellung im 21er Haus gewissermaßen als ein Orbis Sensualium Pictus zu charakterisieren sein, der die einzelnen Kapitel seiner künstlerischen Arbeit veranschaulicht. Weibels im wahrsten Sinne des Wortes sensualistisches Werk funktioniert nur durch die Interaktion mit dem Betrachter, und es fordert diesen, einem Vademecum gleich, geradezu auf, sich mit denselben Fragen wie der Künstler auseinanderzusetzen. Denn Weibel nimmt die Welt, also die Wirklichkeit, nicht als solche. Unermüdlich, und das seit Kindesalter, hinterfragt und analysiert er, zieht seine eigenen, auf unterschiedlichen Wissenschaften gründenden Schlussfolgerungen und geht an die Grenzen der Wirklichkeit, die er von der Realität deutlich unterschieden wissen will. Die Aufgaben, die sich Weibel dabei stellt, sind oftmals miteinander verwoben, was die neun Kapitel der Ausstellung auch zu verdeutlichen versuchen: Wort & Papier, Destruction in Art Symposium 1966, Aktionen, Valie Export, Fotografie, Medienkunst & Medientheorie, Film & Expanded Cinema, Musik und Objekte & Installationen lauten die Begrifflichkeiten der ineinandergreifenden Sektoren, die eigentlich keine sein wollen.

Das Ausstellungsdisplay im 21er HausDie Gestaltung der Ausstellung reagiert auf das transparente Gefüge des Gebäudes und auf dessen krude Beschaffenheit. Dunkelheit fordernde Installationen, etwa Musik der Anomalie – Stimme des Menschen (1982), werden in Seecontainern der Öffentlichkeit vorgestellt, während Objekte wie das Rad des Realen (1988), das so politische Österreich-Zimmer (1982) und die Mechanik der Organismen (1994) im lichtdurchfluteten Freiraum Aufstellung finden. Mit der sogenannten Musik-Ausstellung realisierte das Belvedere eine von Weibel 1975 konzipierte Rauminstallation, mit der er auf die von den Nationalsozialisten vereinnahmte Musik wie auch auf deren Gräueltaten reagierte. Die wesentliche Konstante der Ausstellung, ein metallenes, sich an der Geometrie der Container orientierendes Regalsystem, ist wie eine offene und jederzeit und beliebig erweiterbare Enzyklopädie des Künstlers zu betrachten. Fotografien, Dokumente, Objekte, multimediale Werke, Schriften, Apparaturen und Filme – viele Filme – führen Peter Weibels künstlerische Absichten vor Augen. Gleichgültig, von welcher Seite sich der Betrachter dem Display annähert, und gleichgültig, an welcher Stelle er beginnt, sich mit dem interdisziplinären Werk des Künstlers auseinanderzusetzen, er wird trotz des weitverzweigten Netzwerks niemals den gedanklichen Faden des Orbis Sensualium Pictus verlieren, der das Werk von Peter Weibel so stark charakterisiert.

„Die Kunst hat immer wieder im Verlauf der Geschichte die Fähigkeit gezeigt, dass sie die Betrachter dazu verführt, die Welt mit anderen Augen zu sehen und eine andere Erfahrung zu machen. Das Wort Ästhetik, aisthesis, heißt ja Wahrnehmung und Empfindung. Es wird immer durch gute Kunst die Wahrnehmung der Welt verändert, und wenn man ein anderes Bild von der Welt gewonnen hat, verändert es auch das Verhalten zur Welt. Kunst kann tatsächlich die Wahrnehmung und auch die Einstellung zum Leben und damit das Leben selbst verändern.“ (Peter Weibel, Zitat aus Magazin- Interview)

KÜNSTLERBIOGRAFIEPeter Weibel (* 5. März 1944 in Odessa, Ukraine)

Aufgewachsen in Oberösterreich, studierte er zunächst für ein Jahr in Paris Französisch und französische Literatur, begann dann 1964 in Wien das Studium der Medizin, bis er zur Mathematik mit Schwerpunkt Logik wechselte. 1972 Fernsehaktionen teleaktionen, Österr. Fernsehen (ORF); Sendung Impulse 1978 gründete er zusammen mit Loys Egg die Band Hotel Morphila Orchester.

Einzelausstellungen (Auswahl)1975 Kosmologie des Paradoxen, Galerie nächst St. Stephan, Wien | 1988 InszeniertKunstgeschichte, Museum für angewandte Kunst, Wien | 1991 Scanned Objects, Galerie Grita Insam, Wien | 1992 Malerei zwischen Anarchie und Forschung, Neue Galerie, Graz | 1992 Virtuelle Welten, Galerie Tanja Grunnert, Köln | 1993 Vertreibunder Vernunft, Biennale di Venezia, Venedig | 1999 Videoretrospektive, Kunstverein Ludwigsburg; überproduktion:nur paranoiker:überleben, Galerie Hubert Winter, Wien; Globale Gier, Kärntner Landesgalerie, Klagenfurt | 2000 Wegwerfbotschaften. Zur freien Entnahme, Galerie Kampl, München | 2003 B-Picture. Ein Film über Peter WeibeKünstlerhaus Palais Thurn und Taxis, Bregenz | 2004 Sozialmatrix. Werke 1965–79, Galerie Meyerrieger, Karlsruhe; Das Offene Werk 1964–1979, Neue Galerie, Graz; Mucsarnok, Kunsthalle Budapest; Moderna Galerija, Ljubljana | 2006 Das offene WerkSammlung Falckenberg/Phoenix Kulturstiftung, Hamburg | 2009 Rewriter, Slought Foundation, Philadelphia; Zur modernen Finanzarchitektur. Bewohnbare Bibliotheken, Galerie Grita Insam, Wien | 2011 No Limits, Poésies visuelles, Médiathèque André Malraux, Straßburg; No Limits, Réécrire l’Europe, Palais du Rhin, Straßburg; No LimitsDe la réalité virtuelle à la réalité augmentée, apollonia, Straßburg; Peter Weibel – Mediapoet, Galerie Henze & Ketterer, Wichtrach/Bern; Die Kunst ist der Imker, nicht dBiene, Galerie Lisi Hämmerle, Bregenz; Konzeptuelle Fotografie 1965–1975, Galerie Kampl, München; DAS LEBEN IM 20. JAHRHUNDERT, Artelier Contemporary, Graz, in Kooperation mit steirischer herbst; TONSPUR 42, MuseumsQuartier Wien | 2012 MobiPoeme, Kunstraum Tosterglope | 2013 Politische Performance, Galerie Anita Beckers, Frankfurt am Main | 2014 Peter Weibel – Medienrebell. Warnung! Diese Ausstellung kann Ihr Leben verändern, 21er Haus, Wien

Forschung und LehrePeter Weibel lehrt ab 1976 an zahlreichen Hochschulen, u. a. an der Universität für angewandte Kunst Wien, am College of Art and Design in Halifax, Kanada, und an der Gesamthochschule Kassel. 1984 wird er für fünf Jahre als Associate Professor for Video and Digital Arts an das Department for Media Study der State University of New York in Buffalo, N. Y., berufen, wo er das Digital Arts Laboratory aufbaut. Im selben Jahr erhält er die Professur für visuelle Mediengestaltung (Vismed) an der Universität für angewandte Kunst in Wien, die er bis heute innehat. 1989 wird er mit dem Aufbau des „Instituts für Neue Medien“ an der Städelschule in Frankfurt am Main beauftragt, das er bis 1994 als Direktor leitet. Seit 1989 bei der Ars Electronica; von 1992 bis 1995 künstlerischer Leiter. Seit Jänner 1999 ist er Vorstand des ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe. Darüber hinaus publiziert er in zahlreichen Vorträgen und Artikeln und ist als Theoretiker und Kurator tätig.

Peter Weibel, Österreichzimmer, 1982 Möbelensemble, Videokamera, Fernseher, Fotografien von Österreichischen Bundespräsidenten Sammlung Bogner Wien, © Peter Weibel, Foto: © Belvedere, Wien Peter Weibel, Österreichzimmer, 1982 Möbelensemble, Videokamera, Fernseher, Fotografien von Österreichischen Bundespräsidenten Sammlung Bogner Wien, © Peter Weibel, Foto: © Belvedere, Wien - Mit freundlicher Genehmigung von: belvedere Peter Weibel, Information Unit, 1967 Utopisches Projekt, Zeichnung © Peter Weibel Peter Weibel, Information Unit, 1967 Utopisches Projekt, Zeichnung © Peter Weibel - Mit freundlicher Genehmigung von: belvedere
Tags: Installationen, Medientheoretiker, österreichischer Künstler, Peter Weibel, Rebellen

ÖffnungszeitenMittwoch und Donnerstag 11 bis 21 UhrFreitag bis Sonntag 11 bis 18 UhrAn Feiertagen geöffnet
Regulärer Eintritt€ 7,– (21er Haus)€ 21,– (21er Haus Jahreskarte)