„Ich denke mit der Kunst ist es so wie mit den Menschen: man kann sie nicht auf ein paar Sätze reduzieren Sie ist viel komplexer und reicher.“ Urs Fischer
Die Einzelausstellung des in New York lebenden Schweizer Shootingstars Urs Fischer ist mit dem Titel einer Skelettskulptur benannt: Skinny Sunrise. Dieser knöcherne „Sonnenaufgang“ stellt eine einprägsame Metapher dar, die dem gen Zenit steigenden Energiekörper die Lebenskraft raubt und mit einem klapprigen Knochenhaufen vor der Vergänglichkeit der Welt warnt: „Es ist alles eitel“, und nichts bleibt, wie es ist – so allem Anschein nach die Devise von Urs Fischer, die sich durch sein multimediales Werk zieht. Doch Skinny Sunrise zeugt auch von der Unerschrockenheit und dem Lebenswillen, den die sexuelle Pose verkörpert.
Urs Fischer setzt mit seiner Kunst, die trotz seiner Fotografenausbildung in der Skulptur verankert ist, große Gesten in Popattitüde: Einen gelben, mehrere Tonnen schweren Teddybär platzierte er kürzlich mitten in Manhattan, ein Haus aus Brot stand vor ein paar Jahren im öffentlichen Raum in Wien und in der Kunsthalle Ausstellung zieren Siebdrucke mit banalen Alltagssujets Präzisionsobjekte aus Chrom. In Urs Fischers Kunst der Gegensätze sind Transformationen von Material, Medium und Maßstab keine Seltenheit. In einem bildhauerischen Balanceakt spielt der 1973 in der Schweiz geborene Künstler-Jongleur mit Größe, Schwerkraft und Volumen. Scheinbar in der Luft schwebende Gegenstände und Arbeiten deren Schattenwurf einen wesentlichen Teil der Komposition darstellen, existieren neben massiven Bildwerken, raumgreifenden Installationen und ortsspezifischen Interventionen. Handwerkliche Anfertigungen, perfekte maschinelle Ausführungen, gefundene Bilder und objets trouvés versammeln sich in einer Kunst der Bricolage aus häufig unkonventionellen Materialien wie Styropor, Spiegelglas, Leim und Wachs.
In der Manier von Gordon Matta-Clark hat Urs Fischer schon Löcher in Wände geschnitten und wie zu Zeiten der Land Art Böden in Ausstellungsräumen untergraben. Doch geht es ihm weder um effekthascherische Maximalwerte, noch um ästhetische Radikalmaßnahmen und kunsthistorische Querverweise, die sich leicht zu Künstlerstars wie Franz West, Dieter Roth oder Francis Picabia ziehen ließen – sondern viel eher um zeit- und ortsübergreifende Künstlerallianzen. So drastisch seine künstlerischen Interventionen manchmal auch sein mögen, tropfendes Wachs, das auf dem Boden eine poetisch anmutende Zeichnung hinterlässt, eine kleinformatige Serie auf Papier und fragiles Teeservice aus Keramik sind eben auch Zeugen von subtilen Einfällen.
Es gibt auch Konstanten ohne Widerpart in Fischers Oeuvre. Über Jahre hinweg wiederholen sich in seiner Arbeit Motive wie Stühle, Katzen, Kerzen und Stillleben in vielfachen, häufig ungelenken Variationen – sie klingen wie eine bewegte Ode an den Alltag, die das Außergewöhnliche im allzeit Vorhandenen entdeckt und eigenwillig in Szene setzt. Urs Fischers Gestaltungsdrang überschreitet häufig das Werk mittels Ortsbezug, oszilliert zwischen Abstraktion und Figuration, Statik und Bewegung. Er choreografiert die Raumabfolgen in seinen Ausstellungen, kultiviert das scheinbar Verunglückte und macht den Zufall auch während der Produktion zu einem integralen Bestandteil. Fischer hinterfragt materielle Wertschöpfungsverfahren, beispielsweise dann, wenn Wachsfiguren – in der Kunsthalle Ausstellung wird erstmalig ein Selbstporträt des Künstlers gezeigt – abbrennen oder wenn eine Spotlampe den Schatten einer Leiter auf die Wand projiziert.
Im Sinne des von Georges Batailles gedachten Prinzips l’informe berührt Fischers Kunst die Wurzeln der Formfindung. Er lotet die ästhetische Disposition von Gegenständen aus, bezweckt die Destabilisierung von Inhalt sowie Form und integriert in seine Kunst anarchistische Sprengelemente, die ein identifizierendes Denken und Tun ad absurdum führen. So frönt der in New York lebende Künstler der Anti-form, verabschiedet sich gelegentlich von einem statisch abgeschlossenen Werkbegriff, bildet Prozesse ab, stellt Schmelz- und Auflösungszustände dar: Figuren wie Pink Lady zergehen genauso wie eine dysfunktionale Laterne aus gegossenem Aluminium, deren Oberfläche wie eruptiertes Magma aus dem Ruder zu laufen scheint – Frozen Pioneer –, eine in der Veränderung erstarrte Mutation. Wie auch in der frühen Arbeit Dr. Katzelberg (Zivilisationsruine), eine irritierende Spiegelinstallation, setzt Urs Fischer den Ruinen der Zivilisation ein Denkmal.
Denkanstöße gibt es auch für die Besucher: Money Bowl, die Introarbeit der Ausstellung, nimmt Anleihen bei Brunnen, in die Touristen Geld werfen. Vielleicht bringt auch Urs Fischers Kunst Glück – „Take it or leave it!“
Urs Fischer nahm in der Kunsthalle Wien bereits in Ausstellungen wie Traum und Trauma. Werke aus der Sammlung Dakis Joannou (2007) und Skulptur. Prekärer Realismus zwischen Melancholie und Komik (2004) teil. In seiner Einzelausstellung werden ein Rückblick auf sein umfangreiches Schaffen bis in die Anfänge seiner Werkproduktion gewährt und neue Arbeiten präsentiert.
Urs Fischer wurde in Soloshows an Ausstellungsorten wie dem New Museum in New York (2009), dem Boijmans von Beuningen Museum in Rotterdam (2006), dem Hamburger Bahnhof, Berlin (2005), dem Kunsthaus Zürich (2004), und dem Centre Pompidou in Paris, gezeigt. Er nahm u. a. an wichtigen Gruppenausstellungen wie der Venedig Biennale (2011, 2007, 2003) und der Whitney Biennale, New York (2006) teil. Er wird von der Galerie Eva Presenhuber, Zürich, Sadie Coles HQ, London, Gavin Brown’s enterprise, New York, und the Modern Institute, Glasgow, vertreten. Ab 15. April wird eine weitere Solopräsentation in Europa, im Palazzo Grassi in Venedig präsentiert und der Galerist Larry Gagosian eröffnet Ende Februar während der Oscar-Wochen eine Urs Fischer-Ausstellung in Los Angeles.
Kuratiert von Gerald Matt und Angela Stief
Katalog: Urs Fischer. Skinny Sunrise. Mit einem Interview von Gerald Matt. Deutsch/Englisch. Verlag Kiito-San.