Zwei umfangreiche Werkgruppen von August Gaul und Martin Lauterburg sind in die Sammlung des Kunstmuseums Bern gelangt. Die Zwillenberg-Stiftung (Bern) übergab dem Museum ihre bedeutende Sammlung von rund 120 Tierplastiken des deutschen Bildhauers August Gaul (1869–1921) als Dauerleihgabe. Die Präsentation gibt Einblick in das Schaffen des Künstlers, der Anfang des 20. Jahrhunderts in Berlin als Wegbereiter der modernen deutschen Bildhauerei wirkte. Als zweiter Neuzugang gelangten durch Überführung der Martin Lauterburg-Stiftung in die Stiftung Kunstmuseum Bern rund 80 Gemälde sowie zahlreiche Grafiken und Fotografien des Berner Malers Martin Lauterburg (1891-1960) in die Sammlung. Ergänzt um bereits im Museum befindliche Lauterburg-Werke lässt sich das Schaffen des zu Lebzeiten für seinen magischen Realismus hoch geschätzten Künstlers neu entdecken.Die gemeinsame, räumlich jedoch getrennte Präsentation beider Werkgruppen ermöglicht die Begegnung mit zwei völlig unterschiedlichen Künstlern, die in ihrem je eigenen Fach ein innovatives, überzeugendes Œuvre schufen.
August Gaul als Wegbereiter der modernen PlastikAugust Gaul gehörte zu den Wegbereitern der modernen Plastik in Deutschland. Sein Verdienst war es, dass er das Sujet Tier als gleichwertig neben der Darstellung des Menschen zu etablieren vermochte. Er gestaltete sowohl monumentale Skulpturen in Stein und Bronze als auch klein- und kleinstformatige Figuren. Tierdarstellungen waren ab 1893 Gauls bevorzugtes Thema. Seine Modelle, die er zunächst zeichnete, dann aber vor allem vor Ort modellierte, fand er im Berliner Zoo und im Naturkundemuseum. Die Teilnahme an der Pariser Weltausstellung brachte ihm bei Privaten und Museen grössere Bekanntheit und eine Wertschätzung, die durch die Vermarktung über den Galeristen Paul Cassirer tatkräftig gefördert wurde. Gaul war Gründungsmitglied der Berliner Secession, einem Künstlerkreis um den Maler Max Liebermann.
Ab 1900 hatte die jüdische Berliner Unternehmerfamilie Zwillenberg-Tietz mit dem Aufbau ihrer Kunstsammlung begonnen, die auch zahlreiche Werke von August Gaul beinhaltete. Hugo Zwillenberg trat nach seiner Heirat 1919 mit Elise Tietz in den Warenhauskonzern seines Schwiegervaters Oscar Tietz ein. Nach der Machtübernahme Hitlers 1933 wurde im Zuge der «Arisierung» das Unternehmen zwangsverkauft und umbenannt in Hertie. Die Gaul-Sammlung konnte nebst anderen Kunstwerken und Möbeln aus Familienbesitz ausser Landes gebracht werden und überdauerte den Krieg im Freihafen von Amsterdam. Durch diesen Umstand und die Tatsache, dass die Familie stets darauf bedacht war, die rund 120 Figuren beisammen zu lassen, erweist sich das Konvolut heute als eine der grössten erhaltenen Gaul-Sammlungen. Aufgrund ihrer naturwissenschaftlichen Forschungstätigkeit lebten die Tochter Dr. Helga Zwillenberg (1930-2013) und der Sohn Dr. Lutz Zwillenberg (1925–2011), welche die Zwillenberg-Stiftung zum Erhalt ihrer Gaul-Sammlung 2012 ins Leben riefen, seit 1959 in Bern. Im Sommer 2013 übergab die Zwillenberg-Stiftung das Konvolut der Gaul-Werke dem Kunstmuseum Bern als Dauerleihgabe.
Martin Lauterburg: Bedeutender Maler zwischen Realität und Imagination Martin Lauterburg wurde am 14. Mai 1891 in Neuenegg geboren und verbrachte seine Kindheit nach dem frühen Tod des Vaters im Burgerlichen Waisenhaus Bern. Er besuchte das Freie Gymnasium und erhielt ersten Unterricht beim Landschaftsmaler Ernst Linck. 1910 reiste Lauterburg nach München, wo er die Kunstgewerbeschule besuchte und Mitglied der Künstlervereinigung Neue Sezession wurde. 1935 kehrte er nach Bern zurück und lebte bis zu seinem Tod am 9. Juni 1960 im Länggass-Quartier.
Der heute wenig bekannte Lauterburg war zu Lebzeiten in der Schweiz und in Deutschland ein hoch geschätzter Künstler, dessen eigenwilliger Stil sowohl expressionistische als auch altmeisterliche Züge aufweist. In der Ausstellung wird eine Auswahl von Werken aus den Beständen der Martin Lauterburg-Stiftung gezeigt, die 1973 gegründet und diesen Sommer in die Stiftung Kunstmuseum Bern überführt worden ist. Ergänzt wird diese mit Werken Lauterburgs aus der Sammlung des Kunstmuseums Bern. Unter den 35 Gemälden und einem Dutzend Zeichnungen und Fotografien finden sich Blumenstillleben des als «Geranienmaler» bekannten Lauterburgs, Porträts (u.a. von Ricarda Huch), Stadt-Landschaften, religiöse Werke und eine Reihe von Atelier-Bildern, auf denen sich der Künstler selbst inmitten geheimnisvoll belebter Requisiten zeigt. Lauterburg erweist sich in diesen Gemälden, denen meist ausgeklügelte Selbstinszenierungen vor der Kamera vorausgingen, als Vorläufer der Performance-Kunst. In unterschiedlichen Kostümen, inmitten von Gliederpuppen und Masken hinterfragt er als moderner Zauberlehrling mit seinen klaustrophobischen Interieurs die Fragilität und Doppelbödigkeit menschlicher Existenz. Als Maler, aber auch als noch wenig erforschter Fotograf, war Lauterburg dem Zusammenspiel belebter und unbelebter Dinge auf der Spur und fand in einer Art magischem Realismus seine noch heute aktuelle Bildsprache.