Andy Warhol Untitled, 1953 Sammlung Klüser, München © 2014 The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc. / Bildrecht, Wien 2014 Foto: Mario Gastinger Andy Warhol Untitled, 1953 Sammlung Klüser, München © 2014 The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc. / Bildrecht, Wien 2014 Foto: Mario Gastinger - Mit freundlicher Genehmigung von: kunsthallekrems

Wer: kunsthallekrems

Was: Ausstellung

Wann: 16.03.2014 - 29.06.2014

Unmittelbarkeit und Spontaneität machen die Faszination der Zeichnung aus, der dieses Frühjahr das vordringliche Interesse der Kunsthalle Krems gilt. Wie kein anderes Medium ermöglicht sie es, individuelle Bildfindungen zu erproben und künstlerische Ideen in oft experimentellen Zugängen umzusetzen. Bereits die Künstler der frühen Neuzeit schätzten an der Zeichnung die…
Unmittelbarkeit und Spontaneität machen die Faszination der Zeichnung aus, der dieses Frühjahr das vordringliche Interesse der Kunsthalle Krems gilt. Wie kein anderes Medium ermöglicht sie es, individuelle Bildfindungen zu erproben und künstlerische Ideen in oft experimentellen Zugängen umzusetzen. Bereits die Künstler der frühen Neuzeit schätzten an der Zeichnung die Möglichkeit, das Denken mit dem Arbeitsprozess kurzzuschließen und so die direkte Überführung von Ideen in Sichtbarkeit zu vollziehen. Noch Joseph Beuys sprach von ihr als „Verlängerung des Gedankens“. Einer auf Papier festgehaltenen „Ideensammlung“ gleich, bieten die rund 260 Arbeiten aus der deutschen Privatsammlung von Bernd und Verena Klüser außergewöhnliche Einblicke in die Zeichenkunst vom 16. bis ins 21. Jahrhundert.

Herausragende Meister der Spätrenaissance und des Barocks von Parmigianino, Il Guercino oder Giovanni Battista Tiepolo, über Anthonis van Dyck und Rembrandt Harmensz van Rijn bilden den Ausgangspunkt der Schau. Die faszinierenden, unterschiedlichsten Schulen zugeschriebenen Blätter des 16. bis 18. Jahrhunderts belegen als Auftakt der Ausstellung die durch die Zeichnung gegebene Vielfalt künstlerischer Möglichkeiten. Gleichzeitig spiegeln sie auch jene Hochschätzung wider, die diesem Medium seit der Renaissance entgegengebracht wird.

„Es war die große Kulturleistung der Renaissance, jener Epoche, aus der die frühesten präsentierten Zeichnungen der Sammlung Klüser datieren, die Zeichnung theoretisch zu analysieren, die Strukturen ikonischer Repräsentation zu hinterfragen und die komplexe Wechselbeziehung zwischen Geist und Hand zu erkunden. Waren Schrift und Bild bis in die Gotik noch Emanationen des Göttlichen, so erhielt die Zeichnung an der Wende zur Neuzeit einen autonomen Status als künstlerische Ausdrucksform.“ Hans-Peter Wipplinger, aus dem Katalog zur Ausstellung

Die Disegno-Theorie verlieh der spontanen Ausführung einer Idee über das Medium der Zeichnung den Rang der eigentlichen künstlerischen Leistung. Als Ort der Innovation wurde sie den nachträglichen Ausführungen in Malerei oder Skulptur übergeordnet. So bezeichnet „il disegno“ seit der Renaissance nicht nur die exakte Umrisslinie und zeichnerische Präzision in der Wiedergabe des Gesehenen, sondern auch die Idee im Sinne der Bilderfindung. Diese doppelte Bedeutung spiegelt sich auch in den präsentierten Arbeiten wider. So besticht Annibale Carraccis Heiliger Sebastian durch prägnant gesetzte, die Figur modellierende Linien, die mit den Idealen der antiken Skulptur ebenso wie der natürlichen Autonomie wetteifern. Taddeo Zuccaro oder Luca Cambiaso hingegen halten ihre Bildideen in einem überraschend spontanen, reduzierten und dynamischen Zeichenduktus fest. Vergleichbares trifft auf die Landschaftszeichnung zu, der – nicht zuletzt um der hohen Bedeutung dieser Gattung seit der Renaissance Rechnung zu tragen – ein eigener Bereich innerhalb der Ausstellung gewidmet ist. Detailliert ausgeführte, der Zentralperspektive verpflichtete Ideallandschaften stehen hier etwa Pier Francesco Molas in expressiven Farblavierungen festgehaltenen Naturstudien gegenüber.

Wie Molas Landschaften oder Zuccaros Satyr überraschen viele Altmeisterzeichnungen gerade in ihrer Unmittelbarkeit, Offenheit und Skizzenhaftigkeit durch eine Modernität, die zahlreichen klassischen Zeichnungen der Sammlung Klüser eigen ist.

„Ob sorgfältig vollendet oder frei zu Papier gebracht, ob mit der Spitze des Pinsels oder der Feder gezeichnet, scheinen zahlreiche Arbeiten deshalb [von Bernd und Verena Klüser] ausgesucht worden zu sein, weil sie in gewisser Hinsicht über ihre Zeit hinausweisen und uns direkt und auf ihre ganz eigene Weise ansprechen.“Nicholas Turner, aus dem Katalog zur Ausstellung

Aspekte der Kontinuität wie zeitübergreifender Wirkkraft scheinen Bernd und Verena Klüser auf der Suche nach dem Brückenschlag zwischen historischer und zeitgenössischer Kunst an der Zeichnung stets fasziniert zu haben. So steht der Ausstellungstitel „Zurück in die Zukunft“ nicht nur für die andauernde Aktualität historischer Blätter, sondern sinnbildlich auch für die Genese der Sammlung Klüser: Ursprünglich eine Kollektion zeitgenössischer Kunst mit einer zunehmenden Anzahl von Werken der klassischen Moderne, erweiterte sich die Perspektive der Sammlung seit den 1990er-Jahren auf Zeichnungen von der Renaissance bis zur Romantik.

„Die zunächst gegenwartsorientierte Struktur der Sammlung Klüser gewann in den 1990er-Jahren mit Blättern von der klassischen Moderne bis ins frühe 16. Jahrhundert zurück eine Weite, die eines verständlich werden lässt: dass die Fragen, mit denen sich die Künstler in ihrer Zeit auseinandersetzen, einander ähneln, weil sie das Grundsätzliche berühren. Die Frage nach den existenziellen Bedingungen des Menschen, seiner grundlegenden Fähigkeit zu Veränderung und das Streben nach Selbständigkeit und Erkenntnis sind Gegenstand der Zeichnungen aller Jahrhunderte.“Anne Vollenbröker, aus dem Katalog zur Ausstellung

Einer der Bereiche, die den Grundton der ursprünglich rein zeitgenössischen Zeichnungssammlung mittlerweile entscheidend prägen, sind neben den Altmeisterzeichnungen auch Zeichnungen des 19. Jahrhunderts. An der heroischen Landschaftszeichnung Jakob Philipp Hackerts ebenso wie den romantischen Skizzenblättern von Caspar David Friedrich und Carl Blechen – die fragmentarische Bildmotive einer transzendent gedachten Symmetrieordnung unterwerfen –, lässt sich die damalige Sehnsucht nachvollziehen, über die Kunst eine neue Verbindung von Natur und Kultur zu etablieren.

Doch auch aus dieser Epoche scheinen insbesondere Künstler Eingang in die Sammlung gefunden zu haben, die mit dem Medium der Zeichnung neue Wege beschritten. Kommen die aquarellierten, offenen Landschaftsstudien des Münchner Umlandes von Franz Kobell, wie Peter Prange in seinem Katalogbeitrag hervorstreicht, „in ihrer nahsichtigen Ausschnitthaftigkeit und tonigen, an Negative erinnernder Farbigkeit bereits zu ähnlichen Ergebnissen wie die frühe Fotografie“, erweitert Philipp Otto Runge die Zeichnung um die Kunst des Scherenschnittes. Mit seinen Scherenschnitten zielte er darauf ab, das Wesen der Dinge im Sinne des platonischen Urbildes einzufangen. Die Idee, mit der Kontur die Essenz eines Gegenstandes zu umreißen, findet schließlich in der Kunst der Moderne mit den präzisen Umrisszeichnungen Henri Matisses und Pablo Picassos ihren Widerhall. Erneut wird deutlich, wie die transhistorischen Zusammenhänge innerhalb der Sammlung, die sich dem an zeitgenössischer Kunst geschulten Blick von Bernd und Verena Klüser verdanken, durch die gesamte Ausstellung wirken.

So verweisen auch die Zeichnungen Victor Hugos, die im Zentrum des, der französischen Kunst des 19. Jahrhunderts gewidmeten Ausstellungsbereichs mit Werken von Théodore Géricault, Eugène Delacroix bis Paul Cézanne und Paul Gauguin stehen, inhaltlich wie medial weit über ihre Zeit hinaus. Nicht nur erschließen seine beinahe abstrakten, mit Gänsekielen, Schablonen oder den eigenen Fingern aufgetragenen, in der Tradition der Klecksografie stehenden Bildkompositionen die „Panoramen menschlicher Abgründe“. Wie Hermann Mildenberger in seinem Katalogbeitrag ebenso ausführt, ließen ihn seine „formalen Neufindungen und explosiven Erweiterungen des zeichnerischen Formenrepertoires [...] retrospektiv zu einem gefeierten Bahnbrecher der Kunst der Moderne werden“.

„Die für die Zeit unglaublich modernen Arbeiten auf Papier von Victor Hugo aus der Sammlung Klüser stehen hier exemplarisch für einen Paradigmenwechsel, eine differenziertere und transformierte Auffassung der zeichnerischen Spur. So dient die Zeichnung zunehmend als Experimentierfeld, als wahrnehmungserweiterndes Laboratorium für nicht mehr ausschließlich linienfixierte, sondern über die Zeichnung hinaus wirkende, flächenstrukturierende, abstrakte und fragmentierte Darstellungsformen.“ Hans-Peter Wipplinger, aus dem Katalog zur Ausstellung

In der Kunst der Moderne und Gegenwart bedingte dieser Paradigmenwechsel, dass die Zeichnung vielfältigen Erweiterungen und Transformationen unterzogen wurde. Diese können an Werken so unterschiedlicher Künstler wie Auguste Rodin, Ernst Ludwig Kirchner oder Henri Matisse über Pablo Picasso sowie Alberto Giacometti bis zu Andy Warhol und Sean Scully in ihrer ganzen Diversität nachvollzogen werden.

Insbesondere Joseph Beuys, dessen Werk innerhalb der Sammlung Klüser einen zentralen Stellenwert einnimmt, entwickelte ab den 1950er-Jahren eine umfassende wie weitreichende Neudefinition des Mediums. Er begriff die Zeichnung nicht nur als ästhetischen Ausdrucksträger, sondern auch als philosophische Denk- und politische Äußerungsform. Seine in zarten, vibrierenden Strichen festgehaltenen Strukturen und Motive untersuchen ebenso wie die Verwendung kunstferner, die Kompositionen nachträglich verändernde Materialien – unter anderem Fett oder Honig – Energie- und Formzusammenhänge sowie Prozesse der Metamorphose. Damit spiegeln die Zeichnungen seinen Wunsch wider, starre, kategorisierende Denkformen aufzulösen.

Die in der Ausstellung präsenten, abstrakt arbeitenden Künstler nach dem Zweiten Weltkrieg wie Wols, Asger Jorn, Robert Motherwell sowie Blinky Palermo teilten mit Beuys das Bestreben, mit ihrer Kunst eine neue Form universaler Äußerung zu etablieren. Beuys Arbeit an der Geschichte hingegen, welche über das Aufgreifen archetypischer und mythischer Chiffren eine Auseinandersetzung mit gesellschafts- politischen Fragen der Gegenwart anstrebte, findet in den gezeigten Arbeiten von Jannis Kounellis sowie jenen der Transavanguardia-Künstler Enzo Cucchi und Mimmo Paladino eine geistige Parallele, die bis in die Kunst der Gegenwart nachwirkt.

„[...] die so differenten Zeichnungen von Beuys, Kounellis, Cucchi oder Paladino (verdeutlichen) ein Bewusstsein dafür, dass die Wahrnehmung der Wirklichkeit stets in den jeweiligen kulturellen Kontext eingebunden ist. Dass dieses Thema, vor allem die jüngste Künstlergeneration in ihrer Arbeit beschäftigt, führen innerhalb der Ausstellung nicht nur Arbeiten Julião Sarmentos sowie Bernardí Roigs mit ihren Referenzen zu Kunstgeschichte und Literatur vor Augen. Vor allem in den Werken Jorinde Voigts offenbart sich die Zeichnung als seismografisches Medium, das in direktestem Kontakt zu den kulturellen Grundlagen der eigenen Wahrnehmung und Gedankenwelt wie zu den geistigen, intellektuellen Strömungen der Zeit steht.“Stephanie Damianitsch, aus dem Katalog zur Ausstellung

Der Gang durch die Ausstellung gleicht einer Reise durch die Ideengeschichte der Zeichnung, die mit der Autonomwerdung des Mediums in der Renaissance beginnt und bis zu überraschenden Neuinter- pretationen der jüngsten Gegenwart reicht. Im Laufe der Jahrhunderte wird eindrucksvoll erfahrbar, wie Künstler(innen) das Medium der Zeichnung als eine Verbindungsstelle zwischen Verstand und Intuition, sensorischer Wahrnehmung und Geschichte, dem Prozess des Verstehens und der Interpretation ihrer eigenen Realität heranziehen. Auch zeigt sich, dass die Zeichnung ein Modell der Darstellung erlaubt, das Gedanken, Erinnerungen, visuelle Fragmente und nicht greifbare Imaginationen verbindet. Die präsentierten Arbeiten offenbaren sich daher als Entwürfe persönlicher Wirklichkeiten, in die äußere wie innere Wahrnehmung sowie kulturell geprägte Erfahrungen einfließen und die nicht zuletzt von der Prozesshaftigkeit des Zeichnens getragen werden.

„Die Zeichnung will nicht Spiegel der Wirklichkeit sein, sondern hat sich von ihrer dienenden, zweckgebundenen Funktion emanzipiert und ist im Laufe ihrer Entwicklung autonom geworden: als Träger von Ideen, denen sie eine Form gibt. Sie transformiert nicht nur das Sichtbare der Außenwelt, sondern ebenso das Nichtsichtbare, Nichtmaterielle der Innenwelt. Mit ihren komplexen Möglichkeiten kann sie Gefühle, Unbewusstes, Erahntes und Gedanken erfassen und als Urform der vorsprachlichen Kommunikation Sprache und Begrifflichkeit ersetzen oder sinnvoll ergänzen. Neben dem ästhetischen Genuss und der Freude an stets neuen bildhaften Erfindungen vermittelt sie Denkanstöße zu einem umfassenderen Verständnis der Wirklichkeit und der eigenen Existenz.“Bernd Klüser, aus dem Katalog zur Ausstellung

Kuratorin: Stephanie Damianitsch Konzept: Stephanie Damianitsch, Bernd und Verena Klüser, Anne Vollenbröker, Hans-Peter Wipplinger

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit Beiträgen von Stephanie Damianitsch, Hermann Mildenberger, Peter Prange, Nicholas Turner, Anne Vollenbröker und Hans-Peter Wipplinger sowie einem ausführlichen Interview mit Bernd Klüser. Herausgeber: Hans-Peter Wipplinger 304 Seiten, Deutsch und Englisch Preis: 29,90 Euro

Tags: Andy Warhol, Fernand Léger, Max Beckmann, Pablo Picasso, Sammlung Klüser

Öffnungszeiten:Di - So und Mo wenn Feiertag 10.00 bis 18.00 UhrTICKETPREISEErwachsene € 10,00Ermäßigt € 9,00