Spitzen-Objekt der Dorotheum-Auktion „Stammeskunst/Tribal Art“ vom 24. März 2014 ist eine sehr seltene, alte Aufsatz-Figur einer „Heiligen Flöte“ der Biwat (früher Mundugumor oder Mundugomor genannt) vom Yuat-Fluss, vom Unteren Sepik oder von vorgelagerten Inseln im Nordosten Neuguineas. Gesammelt im Jahr 1904 von dem deutschen Abenteurer und Kaufmann Franz Emil Hellwig (1854 – 1929).Einen kleinen Teil seiner umfangreichen Sammlungen behielt Franz Emil Hellwig privat für sich. Darunter auch den in der Dorotheum-Auktion angebotenen anthropomorphen Flöten-Aufsatz, den er nachweislich 1904 gesammelt hatte. Bis vor wenigen Jahren war dieses „Museumsstück“ noch im Besitz der Familie Hellwig.
Dorotheum-Experte Prof. Erwin Melchardt hat dieses museale Stück mit 160.000 bis 200.000 Euro bewertet.
Über den musealen „Flöten-Mann“ hinaus bietet die kommende Stammeskunst-Auktion ein reiches Angebot an qualitativ hochwertiger Masken, Skulpturen und Objekten aus Afrika, dem Orient, aus Asien, Indonesien und Ozeanien. Eine steinerne Khmer-Skulptur einer männlichen Gottheit, Kambodscha, 12. – 13. Jahrhundert, ein Torso, ist mit 40.000 bis 60.000 Euro bewertet. Zwischen 4.000 und 5.000 Euro soll eine schöne alte Deangle-Maske der Dan, Elfenbeinküste/Libera, bringen. Eine typische und seltene Helmmaske der Igala, Nigera, aus einer belgischen Sammlung ist mit 4.800 bis 5.400 Euro geschätzt u.s.w.
„Die Darstellung der Menschenfigur, wie man sie bei den Biwat findet, ist die kraftvollste, aggressivste aller Kunststile auf Neuguinea“, stellt Anthony J. P. Meyer in seinem Buch „Ozeanische Kunst“ (S. 211) bei der Beschreibung eines solchen „Flöten-Stöpsels“ fest. Tatsächlich gelten gerade diese seltenen Aufsatz-Figuren von „Heiligen Flöten“ der Biwat in der Fachwelt, bei Kennern und Sammlern, als „Ikonen der Kunst Ozeaniens“.
Diese Figuren, „Wusear“ genannt, sind ca. einen halben Meter groß, aus hartem, schwerem Holz und in typischem Biwat-Stil geschnitzt: Ihr überdimensioniert großer, länglicher Kopf sitzt nicht auf dem Hals, sondern „hängt“ vielmehr vor der Brust des relativ kleinen, breitbeinig stehenden, männlichen Körpers. Die Augen sind bei diesem „Hellwig-Wusear“ in eine Relief-Umrandung aus weißem Muschel-Material eingesetzt, die Ohren sind doppelt gelocht und das Nasen-Septum ist durchbrochen gearbeitet. Von dem, einst üppigeren Bart in elf Löchern sind noch fünf „Zöpfe“ aus gedrilltem Menschen-Haar erhalten. Jeder „Wusear“ steht auf einem kurzen, runden Fortsatz, der als Abschluss-Pfropfen in das obere Ende einer „Heiligen Flöte“ gesteckt wurde. Die „Flöten“, auch „Aiyang“ genannt, spielten bei der Initiation der jungen Biwat-Männer eine wesentliche Rolle. Die langen Bambus-Rohre sind aber keine „Flöten“ im Sinn von Musikinstrumenten, sondern eher Megaphone oder Resonanzkörper für die erwachsenen „Spieler“, die durch das Vergrößern oder Verkleinern des seitlichen „Blasloches“ mit ihren Fingern, ihre eigenen Stimmen modulieren und verfremden konnten. Durch sie „spricht“ die Flöten-Figur.
Doch das Wichtige an so einer „Heiligen Flöte“ war für die Biwat nicht das lange Bambusrohr, sondern vielmehr seine Verschluss-Figur, der „Wusear“: Er gehörte einer bestimmten Familie, wurde verehrt, „gefüttert“ und hatte eine besondere Bedeutung: Diese Skulptur stellt den Sohn des Mutter-Krokodilgeistes „Asin“ dar. Nach Vorstellung der Biwat wurden die jungen Männer bei ihrer Initiation vom großen Krokodilgeist „Asin“ verschluckt und als Erwachsene wieder ausgespuckt. Deshalb bekamen alle Initianden zum Abschluss ihrer Initiation viele kleine, kurze Kerben als Narben-Tätowierungen in ihre Haut geritzt, so als hätte sie ein Krokodil „gebissen“.
Nach 1930 gaben die Biwat (oder Mundugumor) diese Initiations-Zeremonien auf. Noch im Jahr 1932 hatte die amerikanische Ethnologin Margaret Mead am Yuat-Fluss die Gelegenheit, eines der letzten Initiations-Rituale zu sehen und zu dokumentieren.