Alexander Rodtschenko (1891–1956) gehört zu den herausragenden Persönlichkeiten der Kunstentwicklung des frühen 20. Jahrhunderts. Er war nach der Oktoberrevolution in Russland entscheidend an der Entwicklung der „revolutionären“ Kunst der jungen Sowjetunion beteiligt. In diesem Kontext wurde er zum Wortführer der Konstruktivisten, einer künstlerischen Bewegung, die über die Grenzen Russlands hinaus die Kunst und die Gesellschaft durch das Schaffen einer wesentlich ungegenständlichen Kunst zu beeinflussen suchte. Rodtschenko engagierte sich intensiv für eine breit verständliche, an den praktischen Bedürfnissen der modernen Industriegesellschaft orientierte Gestaltung aller Lebensbereiche. Dieses Engage- ment verband er mit einer sehr eigenständigen Reflexion über neue Grundlagen für die Entwicklung von bildender Kunst.Die Ausstellung Alexander Rodtschenko. Fotografie und Design trägt diesem besonderen Interesse des Künstlers Rechnung, indem sie sich auf jene Bereiche der künstlerischen Gestaltung konzentriert, die nicht zum klassischen Kanon der bildenden Kunst gehören. Fotografie war zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch eine neue Bildtechnik, die es erst in ihrem eigenständigen Beitrag zur Kunst zu entdecken galt. Design (früher als „angewandte Kunst“ bezeichnet) bot darüber hinaus die Möglichkeit, direkt in die Gestaltung der unmittelbaren Lebensumstände der Menschen einzugreifen. Die Fotografie Rodtschenkos, die seit den frühen 1920er-Jahren in mehreren Phasen entstand, verdeutlicht den grundlegend modernen Impetus des Künstlers und propagiert mit Emphase die Dynamisierung des gesellschaftlichen Lebens.
Insbesondere der Sport steht hier symbolisch für eine sich beschleunigende und mit Kraft aufladende Lebensweise. Zugleich behielt Rodtschenko ein sensibles Auge für das Besondere der individuellen Persönlichkeit und ihres Lebens. Parallel zu dieser eher beobachtenden Tätigkeit beteiligte sich der Künstler, wie viele seiner Zeitgenossen, an der praktischen Ausgestaltung der materiellen Umwelt der modernen Menschen. Seine Ideen für die Gestaltung privater Interieurs wie auch grosser architektonischer Einheiten zeigt die Ausstellung anhand ausgewählter Beispiele. Das umfangreichste Projekt Rodtschenkos zur Gestaltung eines spezifischen Raums stellt der sogenannte Arbeiterclub von 1925 dar. Entworfen und realisiert anlässlich der Ausstellung Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industriels Modernes im Grand Palais, Paris, ist dieses Gesamtkunstwerk in der Vergangenheit wiederholt im Kontext grosser thematischer sowie retrospektiver Ausstellungen gezeigt worden. In Vaduz wird der Arbeiterclub erstmals so präsentiert, dass er in seiner ursprünglichen Bestimmung als Bildungsraum und Ort des geselligen Austauschs genutzt werden kann. Darüber hinaus soll dieser Raum auch der Bereitstellung aktueller Informationen dienen.
In Abstimmung mit dem Nachlass Alexander Rodtschenko, Moskau, wird er dazu mit heutigen Informationstechnologien ausgestattet, welche während der Ausstellung benutzbar sein werden. Damit wird es erstmals möglich, das ganz besondere und auch heute noch aufregende Design Rodtschenkos auf seine „Alltagstauglichkeit“ zu überprüfen.
Zur Ausstellung erscheint ein begleitendes Katalogheft mit Textbeiträgen von Alexander Lawrentjew und Friedemann Malsch. Die Ausstellung ist eine Produktion des Kunstmuseum Liechtenstein, kuratiert von Friedemann Malsch.