„Im Keller“ im Keller / Text zu Ulrich Seidls Ausstellung von Marcello Farabegoli:Wo könnten Ulrich Seidls Aufnahmen aus der Fotoserie „Im Keller“ besser situiert sein als an einem Ort, der den Schauplatz der Bilder mitreflektiert? Mit ihren Räumlichkeiten, die sich über zwei Kellergeschosse erstrecken, bietet die Galerie Peithner-Lichtenfels die idealen Voraussetzungen für Kunst, die man nicht nur präsentieren sondern auch formalästhetisch in den dafür passenden Rahmen setzen will. Man muss bei Peithner-Lichtenfels tief hinuntersteigen, um in die Bilderwelt des österreichischen Filmemachers einzutreten, die nicht nur in architektonisch-physischer sondern vor allem in psychischer Hinsicht in Untergründe führt.
Basierend auf seiner gleichnamigen Doku-Fiktion aus dem Jahr 2014 hat Ulrich Seidl aus rund 120.000 filmischen Einzelbildern 58 Aufnahmen für den Fotozyklus „Im Keller“ herausdestilliert. Eine Auswahl davon präsentiert nun Kurator Marcello Farabegoli bei GPLcontemprary. Im Herbst 2015 hatte Farabegoli drei Ausstellungsprojekte in Garagen mitinitiiert, um diese „Un-Orte“ als Stätten kreativer Schaffensprozesse zu thematisieren. Aus diesem speziellen Interesse am In-Eins-Setzen von einem künstlerischen Thema und dem Ort seiner Präsentation ist die Idee zu Ulrich Seidl „Im Keller“ im Keller hervorgegangen.
Seidl kam die Idee zu „Im Keller“ bereits während der Recherche zu seinem Film „Hundstage“ (2001). Erst danach sollten die Kriminalfälle Kampusch und Fritzl traurige Berühmtheit erlangen. In Österreich, so Seidls Eindruck, käme dem Keller in Wohnhäusern ein ungewöhnlich hoher Stellenwert zu. In der Heimat der Psychoanalyse kann man offensichtlich gar nicht anders als in die Tiefe zu graben und sich dort einzurichten. Nur unter der Oberfläche ist Selbstentfaltung, vor allem aber Selbstentgrenzung möglich. Der Keller steht somit sinnbildlich für das Ausleben unterdrückter Sehnsüchte, Begierden und Obsessionen. Hier scheint vieles von dem gut aufgehoben, das mit dem gesellschaftlichen Regelwerk unvereinbar ist. Seidls Diagnose führt daher nicht nur in Hobbyräume oder private Kellerbars, sondern in Räume, in denen Nazidevotionalien, Waffen und Jagdtrophäen gehortet werden sowie tabuisierten sexuellen Neigungen nachgegangen wird.
Für „Im Keller“ hat Seidl mit Laiendarstellern gearbeitet, die sich selbst spielen. Der Blick der Protagonisten weicht dem der Betrachter nicht aus. Das Beschämende und Hässliche mancher Szenen tritt uns in den eingefrorenen Standbildern völlig distanzlos gegenüber. Diese Direktheit ist verstörend, legt sie doch den Weg in unsere eigenen Abgründe frei. Im Keller, da verschanzen sich nicht nur die Perversen, die Gewalttätigen, die Rassisten. Im Keller verbergen wir unser Innerstes, unser Selbst. Seidl zeige mit „Im Keller“ die „bildgewordene Normalität des sogenannten Abnormalen“, konstatierte die Wochenzeitung Die Zeit. Es ist daher nicht das Skandalöse in den Aufnahmen, das uns schockiert, sondern der Effekt der Selbsterkenntnis, den ihre Betrachtung auslöst. „Ich liebe es, hautnahe Bilder zu machen. Menschen in ihrer Physis ungeschminkt zu zeigen. Gerade darin, in dem Ungeschönten, liegt für mich so etwas wie Schönheit“, sagte Ulrich Seidl einmal. Diese besondere Schönheit zeigt sich in Seidels unverkennbaren Ästhetik, die vor allem durch symmetrische Kameraeinstelllungen besticht. Visueller Manierismus, das Erzeugen bloßer Effekte, ist Seidls Sache nicht. Seine tableaux, wie seine Bildeinstelllungen auch genannt werden, wirken deshalb niemals voyeuristisch oder gar pornografisch. Sie eröffnen vielmehr ein weites Feld an Assoziationen.
Die Kellertüren, die dahinterliegenden Treppen, die geheimnisvollen, labyrinthischen Gänge. Wohin mögen sie wohl führen? Zu vergessenen Schätzen, in Katakomben, in Folterkammern oder in die Höhlen von Bösewichten und Monstern? Vielleicht gelangt man über manche Keller gar bis zum Mittelpunkt der Erde? Oder zum mythologischen Hades, dem Reich der Toten, oder gar in die Hölle, wo wir, geradeso wie in Dantes „Göttlicher Komödie“, all unsere Sünden vor Augen geführt bekommen, um geläutert das Paradies zu erreichen? Vielleicht ist es kein Zufall, dass Ulrich Seidl „Im Keller“ im Anschluss an seine Paradies-Trilogie vollendet hat.
Das Hinabsteigen in die Erde, in die feuchte, kühle, aber nicht allzu kalte Erde, verweist nicht zuletzt auch auf die unauflösliche Verbindung zwischen Eros und Thanatos. Aus Mutter Erde kommt alles Leben und dorthin verschwindet es in der Regel auch wieder. Ob der (selbst-)destruktive Sado-Maso-Keller, der Waffen-und Jagdtrophäenkeller oder der NS-Devotionalienkeller, in dem der Protagonist voller Hingabe sein geliebtes Hitler-Porträt mit einem schwarz-gelb-roten Staubwedel entstaubt – in all diesen Räumen sind Szenarien eingebettet, die zwischen Liebe und Tod pendeln. Selbst die harmlos anmutenden älteren Paare erstarren in Ulrich Seidls Aufnahmen zu Figuren aus Wachs.
Es handelt sich um Kamerabilder aus dem Film “Im Keller” (2014): Kamera Martin Gschlacht aac; zusätzliche Kamera Hans Selikovsky aac; zweite zusätzliche Kamera Wolfgang Thaler aac.