Das fragile Konstrukt eines friedlichen Europa ist mit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine brachial in sich zusammenge-brochen. Das Germanische Nationalmuseum nimmt die aktuelle Situation zum Anlass, ein Jahr lang Objekte zu zeigen, die im Kontext von Frieden und Krieg stehen. Sie dienen als Anstoß, über die histori-sche Dimension von Kriegen und die seit Jahrhunderten bestehenden Argumentationsmuster für und gegen kämpferische Auseinander-setzungen nachzudenken.Die Präsentation wechselt alle drei Monate und zeigt eine neue Aus-wahl von jeweils 15 bis 20 Exponaten. Den Anfang machen 16 Werke unterschiedlicher Epochen und Gattungen, die den Frieden feiern oder –im Gegenteil –auf die traumatisierenden Greuel des Krieges verweisen.
Der erste Blick fällt auf ein Gemälde von Johann Wilhelm Heinrich Tischbein aus dem Jahr 1810, das seine Tochter Ernestine zeigt. Behutsam hält das Kind eine Taube im Arm. Die Taube als Symbol für Liebe und Frieden hat in der Kulturgeschichte eine lange Tradition: Im alten Orient galt der Vogel als Begleiter der Liebesgöttin, die christliche Kunst kennt ihn als Überbringer eines Ölzweigs an Noah, der für das Ende der Sintflut und damit den Frieden zwischen Gott und den Menschen steht. Im Neuen Testament symbolisiert die Taube den Heiligen Geist, die Allgegenwart Gottes auf Erden. Tischbeins Gemälde entstand vor dem Hintergrund der kriegerischen Neuordnung Euro-pas durch Napoleon. Der Wunsch überrascht daher nicht, seine Tochter mögeein Leben in Frieden führen.
Frieden und Krieg –ein jahrhundertealter KreislaufKonflikte prägen die Menschheit seit Jahrhunderten, bis weit in die Neuzeit waren kriegerische Auseinandersetzungen selbstverständlicher Teil im Alltag vieler Menschen. Detailliert und mit präzisem Strich erzählt Jacques Callots berühmte graphische Folge aus den 1630er Jahren vom Elendund Schre-cken des Krieges, aus der sieben Radierungen ausgestellt sind. Modelle von Kriegsgerät aus dem Nürnberger Zeughaus und ein Spielzeug-Flakauto be-legen die Faszination, die von wirkmächtigen Waffen ausgehen kann und an die schon Kinder herangeführt werden sollten.
Entsprechend groß war auch immer die Sehnsucht nach friedlichen Zeiten. Das älteste Exponat der aktuellen Präsentation ist einKupferstich mit der Darstellung eines Freudenfeuers, das 1598 anlässlich des Ende des Huge-nottenkriegs abgebrannt wurde. Zwei Friedensmedaillen aus dem 30jährigen Krieg, noch vor seinem Ende geprägt, zeugen von dem gleichen Wunsch auf eine gewaltfreie Zukunft. Ihre Vorderseiten zeigen die Personifikation der „Pax“, des Friedens, eine Inschriftauf der Rückseite hofft, mit ihm „kehren Recht und vertriebener Wohlstand auf die Erde zurück.“
Krieg als RessourcenverschwendungKriege gehen immer mit hohen Verlusten einher, kalkulatorisch betrachtet sind sie eine gigantische Ressourcenverschwendung. Eindringlich steht dafür eine Kiste mit Kriegstrümmern in der Raummitte, Fragmente historischer Skulpturen aus der hauseigenen Sammlung, die vermutlich 1943 zerstört wurden. Vor den Verwüstungen eines Krieges ist auch Kulturgut nicht sicher –im Gegenteil, ihre Zerstörung hat oft symbolische Bedeutung. Hinterfangen wird die Kiste von Gerhard Richters „Bridge 14 FEB 1945 (II)“, einem Offset-Druck nach einer aus einem amerikanischen Militärflugzeug aufgenommenen Fotografie der kriegszerstörten Stadt Köln, auf der anderen Seite von Harald Duwes großformatigem, grau-brauntonigem Gemälde von am Boden liegen-den, gesichtslosen Bombenopfern.
Moderne, offene Gesellschaften haben wenig Interesse daran, Menschen, Energie, Kreativität, Wohlstandsoptionen etc. in gewaltsamen Auseinander-setzungen zu verschwenden. Plakate der Friedensbewegung aus den 1970er Jahre drücken diese Hoffnung aus und mahnen, sie nicht zu vergessen.Denn die Erkenntnis –Frieden ermöglicht Wohlstand, Krieg zerstört ihn –entsteht nicht von selbst. Die Menschheit muss erinnern, um zu verstehen, was sie zu verlieren hat.
Alle drei Monate wechseln Themenschwerpunkt und damit Auswahl der Objekte. Die nächsten Wechsel finden am 2. November 2022, 7. Februar 2023 und am 9. Mai 2023 statt.
Die Studioausstellung basiert auf einem Konzept von Prof. Dr. Magnus Brechtken vom Institut für Zeitgeschichte München –Berlin.
KuratorenDr. Tilo Grabach, Sammlungsleiter für Kunst des 20. und 21. JahrhundertsDr. Christian Rümelin, Leiter der Graphischen SammlungProf. Dr. Magnus Brechtken, Institut für Zeitgeschichte, München
VideoBegleitend zur Studioausstellung entstehen Videos mit Kuratoren und Sammlungsleiter*innen. Das erste Video mit Prof. Brechtken steht bereits online: https://bit.ly/gnmvideo_frieden_krieg