Die italienisch-togolesische Künstlerin Silvia Rosi (*1992) untersucht in einem Zusammenspiel aus inszenierter Fotografie, Video, performativen Elementen sowie bearbeitetem Archivmaterial postkoloniale Themen wie Migration, Identität und kollektives Gedächtnis aus einer diasporischen Perspektive. Ihre Arbeiten, die oft autobiografische Bezüge aufweisen, hinterfragen die Konstruktionen von Identität und Zugehörigkeit und schaffen einen Dialog zwischen Vergangenheit und Gegenwart.In Protektorat (2022–2024) beleuchtet Rosi die komplexe Geschichte der Sprache unter kolonialer Besatzung in Togo. Basierend auf Archivmaterial des togolesischen Nationalarchivs in Lomé thematisiert sie die Macht- und Widerstandsmechanismen, die in kolonialen Sprachpolitiken verankert sind. Von 1884 bis 1914 als deutsches Protektorat (sog. Schutzgebiet) verwaltet und später unter britisch-französischer Militärverwaltung gestellt, prägen die Sprachen Deutsch, Englisch und Französisch das westafrikanische Land bis heute. Gleichzeitig wurden die indigenen Sprachen Ewe und Mina durch mündliche Überlieferung trotz systematischer Unterdrückung bewahrt.
Die Ausstellung präsentiert Videoarbeiten und inszenierte Studioaufnahmen, inspiriert von der Ästhetik westafrikanischer Studiofotografie der 1960er und 1970er sowie Archivbilder, die Rosi bewusst verfremdet, um koloniale Bildlogiken zu hinterfragen. Textilien spielen eine zentrale Rolle in Rosis künstlerischer Praxis: Waxprints mit Alphabetmustern verweisen auf koloniale Einflüsse und zugleich auf die Geschichte der Afrikanisierung solcher Stoffe durch togolesische Marktfrauen (Nana Benz).
Einige Porträts sind auf eben diesen Baumwollstoff gedruckt, wodurch Rosis Auseinandersetzung mit Togos Geschichte eine zusätzliche materielle Ebene erhält. Eine neue, mehrsprachige Videoinstallation fügt ein spielerisches Moment hinzu. Darin spielen vier togolesische Protagonist:innen das Brettspiel Ludo, ähnlich dem Spiel Mensch ärgere dich nicht, das man in Deutschland kennt. Ursprünglich während der britischen Kolonialzeit in Indien entstanden, dient das Spiel als Metapher für die Willkür, mit der die Bevölkerung Togos sich in kolonialen Sprachpolitiken navigieren musste. Zufällig wird in jeder Runde entschieden, welche Sprache gesprochen wird – nur die Person, die Ewe spricht, bleibt stumm. Auf subtile Weise wird so die Unterdrückung indigener Sprachen und die Absurdität kolonialer Machtverhältnisse spürbar gemacht.
Silvia Rosi verwebt in Protektorat postkoloniale Kritik mit persönlichen und spielerischen Momenten. Sie hinterfragt Archive als vermeintlich neutrale Orte des kollektiven Gedächtnisses und bietet zugleich neue Perspektiven auf die Erinnerungskultur im diasporischen Kontext. C/O Berlin präsentiert die erste Einzelausstellung der Künstlerin in Deutschland, begleitet von einer umfassenden Publikation.
Ermöglicht durchAlexander Tutsek-Stiftung
Im Rahmen desEMOP 2025