Max Ernst Le fascinant cyprès, 1940 Die faszinierende Zypresse Öl auf Karton 32 x 26 cm Sprengel Museum Hannover © VG Bild-Kunst, Bonn 2013 Foto: Aline Gwose / Michael Herling, Sprengel Museum Hannover Max Ernst Le fascinant cyprès, 1940 Die faszinierende Zypresse Öl auf Karton 32 x 26 cm Sprengel Museum Hannover © VG Bild-Kunst, Bonn 2013 Foto: Aline Gwose / Michael Herling, Sprengel Museum Hannover - Mit freundlicher Genehmigung von: sprengelmuseum

Was: Ausstellung

Wann: 15.05.2013 - 15.09.2013

Welche Rolle spielt der Zufall in der Kunst? Wann wird der Zufall als willkommener ‚Gehilfe‘ ge- nutzt, der für Künstlerin bzw. Künstler Entscheidungen in der Komposition und in den Bilddetails trifft, der konstruiert, zerstört und transformiert?

Die Einbeziehung des Zufalls in den Prozess der Werkentstehung ist ein wiederkehrendes Konzept er Kunst des 20. und 21.…

Welche Rolle spielt der Zufall in der Kunst? Wann wird der Zufall als willkommener ‚Gehilfe‘ ge- nutzt, der für Künstlerin bzw. Künstler Entscheidungen in der Komposition und in den Bilddetails trifft, der konstruiert, zerstört und transformiert?

Die Einbeziehung des Zufalls in den Prozess der Werkentstehung ist ein wiederkehrendes Konzept er Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts. In der Ausstellung „Purer Zufall. Unvorhersehbares von Marcel Duchamp bis Gerhard Richter“ wird den vielfältigen Strategien von Künstlerinnen und ünstlern nachgegangen, die in besonderem Maße mit dem Zufall operiert haben. Das Unvorher- ehbare und Unplanbare wird zur zweiten schöpferischen Instanz, wenn in einer bestimmten Phase es Werkprozesses die Kontrolle über den weiteren Fortgang abgegeben und damit die konventio- elle Vorstellung von der Rolle der Künstlerin/des Künstlers hinterfragt wird. Das unwiederholbare rgebnis des Zufalls durch den bewussten Rückzug ist stets eine Überraschung.

Von dieser temporären und bewussten Übereignung der Autorschaft an den Zufall zeugen die rund 70 ausgewählten Exponate aus ganz unterschiedlichen Bereichen künstlerischen Schaffens, u. a. Malerei, Plastik und Grafik. Die Ausstellung schöpft aus dem reichen Bestand des Sprengel Muse- um Hannover und wird durch Leihgaben ergänzt. Anhand der ausgestellten Werke zeigen sich die vielfältigen Strategien der Zufallsverwendung von Künstlerinnen und Künstlern wie zum Beispiel Marcel Duchamp, Kurt Schwitters, Hans Arp, Max Ernst, Jackson Pollock, Niki de Saint Phalle, Jean Tinguely, Daniel Spoerri, Dieter Roth, John Cage und Gerhard Richter.

Von Duchamp bis Richter: Ausstellungskapitel Die Ausstellung widmet sich dem Thema unter verschiedenen Perspektiven. Den Anfang macht die Entdeckung des Zufalls durch die künstlerische Avantgarde der 1910er- und 1920er-Jahre. Im Wei- teren geht es um den Einsatz von Methoden und Instrumenten in der Malerei, die das Unvorherseh- bare als neues Element einführen. Ein dritter Schwerpunkt liegt auf Zufallsgeneratoren, mit denen eine individuelle künstlerische Handschrift ausgeschlossen wird. Nicht zuletzt wird der zeitliche Aspekt des Zufalls in Werken thematisiert. Diese Kapitel werden im Weiteren umrissen.

Den Werken des ersten Raums, der einer Aneignung des Zufallsprinzips durch die künstlerische Avantgarde in der Umbruchszeit um den Ersten Weltkrieg gewidmet ist, ging ein besonderer Blick ihrer Künstler voran: der Blick auf den Boden, anstatt auf die Leinwand. Das Fallengelassene, Um- gestürzte und Gefundene fand Eingang in den Kunstkontext. Dies steht zugleich für einen Perspek- tivwechsel in der Produktionsästhetik. Es ist heute 100 Jahre her, dass Marcel Duchamp als Grün- dungsvater der Zufallsästhetik des 20. Jahrhunderts das Werk „Die drei Musterfäden“ von 1913 erdachte. Dafür ließ er drei ein Meter lange Fäden aus ein Meter Höhe zu Boden fallen, um an- schließend die Kurvenverläufe zu fixieren. Hans Arp arbeitete mit der Kompositionsmethode des Fallenlassens, indem er zerrissene Papierfetzen auf einem Bildträger fixierte: Schwerkraft und Luft- widerstand „nach den Gesetzen des Zufalls“ führten zu einer ungeplanten Anordnung. Tatsächliche Zufallsfunde und -entdeckungen machte Kurt Schwitters in den Straßen und Kellern Hannovers: Seine sogenannten „i-Zeichnungen“ sind Zufallsprodukte aus Fehldrucken von Druckereien, für die Schwitters lediglich den Ausschnitt bestimmte, bevor er sie zur Kunst erklärte. Von der Straße auf- gehobene Fragmente des urbanen Raums und der industriellen Lebenswirklichkeit integrierte er in seine Collagen.

In einem weiteren Raum sind Werke zusammengeführt, in denen Farbe als Material verwendet wird, das aufgrund seiner physikalischen Beschafenheit zu zufälligen Farbstrukturen und –vertei- lungen führen kann. Der klassische Pinsel wird durch alternative Formen des Farbauftrags ersetzt. So griff Jackson Pollock für seine Drippings auf durchlöcherte Konservendosen zurück und konnte den genauen Aufprall der Farbe auf den Bildträger nur bedingt steuern. Niki de Saint Phalle nutzte ein Luftgewehr, um in ihren Schießbildern eindrucksvolle Farbexplosionen hervorzurufen. Das Ziel der Kugeln, das Aufplatzen der Gipsoberfläche durch den Schuss und das Auslaufen der Farbe aus Beuteln, die die Künstlerin unter dem Gips platziert hatte, waren nicht vorhersehbar. Die Zufalls- strukturen der Décalcomanien von Max Ernst korrespondieren mit den übermalten Fotografien von Gerhard Richter. Sowohl in Ernsts Grattagen als auch in Richters abstrakten Bildern finden sich Übermalungen und werden überraschend Farbschichten freigelegt. Während Max Ernst in seinem Schaffen den Zufall als Inspirationsquelle nutzte, sind „Willkür, Zufall, Einfall und Zerstörung“ für Richter ein Mittel, um etwas „Interessanteres“ zu erhalten als das, was erdacht werden kann.

Ein anderes Kapitel schlagen Werke auf, für die Künstler die Idee des Zufallsgenerators in ihrem Schaffen aufgegriffen haben. Ihr Ziel war es, zu einer hierarchielosen Bildstruktur jenseits von sub- jektiven Kategorien wie Inspiration und individueller Handschrift zu gelangen. Insbesondere ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden vielfältige Methoden entwickelt, um Zufallsdaten für die Kunst zu erzeugen, darunter Losverfahren und computergestützte Systeme. John Cage erhob den Zufall zum werkkonstruierenden Prinzip. Um sich als Künstler bewusst zurückzunehmen, er- fand er komplizierte Verfahren, auf deren Grundlage er mithilfe des I Gings, des chinesischen Münzorakels, nicht nur seine musikalischen, sondern auch seine bildkünstlerischen Kompositionen generierte. Für seine zufälligen Farbtonanordnungen loste Gerhard Richter zunächst jeden einzel- nen Ton aus, bevor er aus Zeitgründen wie Cage dazu überging, die Daten von einem Computer erzeugen zu lassen. Andere Beispiele für Zufallsgeneratoren finden sich in der frühen Computer- grafik seit Mitte 1960er-Jahre. Hier sind Algorhythmen zugunsten einer Objektivierung und eines überraschenden Ergebnisses eingesetzt worden. Die Künstler gaben ihre Autonomie auf und den künstlerischen Schaffensprozess an die Apparatur ab.

Eine weitere Perspektive eröffnet die Gegenüberstellung zweier Positionen mit Werken von Dieter Roth und Daniel Spoerri. Beide haben organische Materialien in ihre Arbeit eingeführt, im Fall von Dieter Roth beispielsweise Gewürze, Joghurt oder Käse. Die Zeit wirkt am Entstehen der Wer- ke mit. Dem kontinuierlichen Verfall überlassen, entwickeln sich überraschende Formen, Farben und Strukturen. So ließ er für seine „Große Landschaft“ (1969) Käse auf Dachpappe in einer durch- sichtigen Plastiktasche verschimmeln. Andere Arbeiten von Roth unterliegen Veränderungen, da sie vom Betrachter mitgestaltet werden können. Daniel Spoerri, der sich selbst als „Handlanger des Zufalls“ bezeichnet hat, konserviert in seinen „Fallenbildern“ Zufallskompositionen, die sich aus Handlungen und Situationen ergeben, an denen andere Personen beteiligt sind. Der Zufall agiert in den vom Künstler gesteckten Grenzen und übernimmt seine kompositionelle Arbeit, bis dieser be- schließt, ihn zu einem bestimmten Zeitpunkt zu fixieren.

Gerhard Richter Firenze (2. Jan. 2000), 2000 Öl auf Fotografie 12 x 12 cm Sprengel Museum Hannover, Dauerleihgabe aus Privatbesitz © Gerhard Richter 2013 Foto: Aline Gwose / Michael Herling, Sprengel Museum Hannover Gerhard Richter Firenze (2. Jan. 2000), 2000 Öl auf Fotografie 12 x 12 cm Sprengel Museum Hannover, Dauerleihgabe aus Privatbesitz © Gerhard Richter 2013 Foto: Aline Gwose / Michael Herling, Sprengel Museum Hannover - Mit freundlicher Genehmigung von: sprengelmuseum / Sprengel Museum
Tags: Dieter Roth Insel, Druckgrafiken, Gerhard Richter, Künstler, Malerei, Max Ernst

Öffnungszeiten:Montag geschlossenDienstag 10 - 20 UhrMittwoch bis Sonntag 10 - 18 UhrPfingstsonntag und -montag 10 - 18 Uhr
Es erscheint ein Katalog zum Preis vom 10 Euro. Die Ausstellung wird begleitet von einem um-fangreichen Rahmenprogramm.