Frankfurt am Main, 26. April 2013. Der früh, im Alter von 29 Jahren, verstorbene Piero Manzoni (1933‒1963) gilt, trotz seines kurzen Lebens, als folgenreichster Künstler der italienischen Nachkriegskunst. Am 13. Juli 2013 wäre Manzoni 80 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass – und zugleich exakt fünf Jahrzehnte nach seinem Tod – ehrt das Frankfurter Städel Museum diesen zentralen Künstler der europäischen Nachkriegsavantgarde mit der Ausstellung „Piero Manzoni. Als Körper Kunst wurden“. Die groß angelegte Präsentation ist überhaupt die erste Manzoni- Retrospektive im deutschsprachigen Raum und erste umfassende museale Präsentation außerhalb Italiens seit über zwei Jahrzehnten. Die Schau zeigt vom 26. Juni bis 22. September 2013 im Städel Museum die Radikalität seiner facettenreichen künstlerischen Position. Über 100 Arbeiten aus allen Schaffensperioden des Künstlers ermöglichen einen komplexen Einblick in ein bis heute virulentes Werk zwischen Informel und dem Aufkommen eines neuen Kunstbegriffs, zwischen klassischer Moderne und Neoavantgarde, zwischen Kunst und Alltag.„Obwohl Piero Manzoni als zentraler Knotenpunkt des europaweiten ZERO- Netzwerks agierte und als atemberaubender Erneuerer des Kunstbegriffs auch heute kaum minder avantgardistisch erscheint, ist er hierzulande wesentlich unbekannter als viele seiner ZERO-Kollegen. In der Ausstellung zeigen wir deshalb nicht nur die Vielschichtigkeit seines in nur wenigen Jahren entstandenen Werks, sondern auch seinen enormen Einfluss auf den Paradigmenwechsel der Kunst der 1960er-Jahre auf“, sagt Max Hollein, Direktor des Städel Museums.
„Piero Manzoni ist nicht weniger als einer der Wegbereiter unserer Gegenwartskunst, der Body Art, Performance, Konzeptkunst und Land Art gleichermaßen beeinflusst hat“, erläutert Dr. Martin Engler, Leiter der Sammlung Gegenwartskunst im Städel und Kurator der Schau.
Die Ausstellung beginnt mit Frühwerken Manzonis, die gemeinsam mit ausgewählten Arbeiten seiner Zeitgenossen, etwa Lucio Fontanas oder Yves Kleins, präsentiert werden. Die zentrale Werkgruppe seines Œuvres bilden die Achromes, die unfarbigen Bilder, die in der Schau mit etwa 50 Beispielen vertreten sein werden. Die „weiße“ Malerei Manzonis, die sich durch die Abwesenheit von Farbe definiert, nimmt im Kontext der internationalen ZERO-Bewegung und deren Hinwendung zur Monochromie eine Sonderstellung ein: Einerseits betrachtete Manzoni seine Achromes trotz ultimativer Reduktion als Malerei, anderseits erweiterte er sie zugleich um Alltag, Körper und Raum. Manzoni verzichtete bei der Herstellung der Arbeiten auf jede unmittelbare künstlerische Geste. Mit unmalerisch „weißen“ Materialien wie Gips oder Kaolin, mit synthetischen Fasern und Styropor griff er zu Mitteln, die plastische Eigenschaften aufweisen und somit den Übergang vom Bild in eine dritte, körperliche Dimension eröffneten.
Mit Objekten der 1959/1960 entstandenen Werkgruppen Corpi d’aria (Luftkörper) und Fiato d’artista (Künstleratem) werden Arbeiten gezeigt, die zwischen Gegenstand und Konzept schwanken: Luftballons, gefüllt mit dem Atem des Besitzers oder dem Manzonis, verweisen auf einen neuen, die 1970er-Jahre vorwegnehmenden Körperdiskurs, der auch in weiteren Arbeiten zu finden ist, wie zum Beispiel bei der Aktion Consumazione dell’arte (Kunstverzehr, 1960), bei der Manzoni gekochte Eier mit seinem Fingerabdruck markierte und den Besuchern zum Verzehr anbot.Die Provokation seiner vielleicht bekanntesten Werkgruppe Merda d’artista (Künstlerscheiße, 1961) ist noch heute, fünf Jahrzehnte nach Manzonis Tod, ungebrochen: 30 Gramm Künstlerkot in handlichen Dosen, die einst im Kunsthandel zum Goldpreis zum Verkauf angeboten wurden. Die Werkgruppe kann als logische Konsequenz der Kunstverzehraktionen gesehen werden: Der Körper wird zum Medium für die Aufnahme und Produktion von Kunst. Es entsteht ein Kreislauf der organischen Kunstproduktion, die in ihrer absurden Logik zugleich einen Kommentar zur Erwartungshaltung des Kunstmarkts darstellt.
Die Schau präsentiert zudem mit den qua Signatur oder Sockel zur Kunst deklarierten Körpern der Sculture viventi (Lebende Skulpturen, 1961) Arbeiten, die sich den Menschen als lebendiges Kunstwerk aneignen: Manzoni bezog das Publikum als Akteur in die Konzeption ein und öffnete damit die Tür zur Aktionskunst der 1960er- und 1970er-Jahre.
Die Ausstellung bekommt mit drei zeitgenössischen Positionen von Erwin Wurm (*1954), Leni Hoffmann (*1962) und Bernard Bazile (*1952) ein essayistisches Vorwort im Foyer des Ausstellungshauses, das zentrale Aspekte im Werk Manzonis in ihrer Relevanz für die Gegenwart befragt.
Kurator: Dr. Martin Engler, Sammlungsleiter Gegenwartskunst, Städel Museum Wissenschaftliche Mitarbeit: Franziska Leuthäußer, Städel Museum In Zusammenarbeit mit der Fondazione Piero Manzoni, Mailand
Überblicksführungen durch die Ausstellung: donnerstags 18:00 Uhr und samstags 16:00 Uhr Sonderführungen auf Anfrage unter: +49(0)69-605098-200; info@staedelmuseum.de