Das Bayerische Nationalmuseum hat drei französische Tapisserien des 18. Jahrhunderts an die Erben nach Albert von Goldschmidt-Rothschild (1879-1941) restituiert. Die drei großformatigen und dekorativen Bildteppiche zeigenKüstenlandschaften mit Städten, Leuchttürmen, Schiffen und vielerlei Seevögeln. Vermutlich gehörten sie zurAusstattung des 1845inFrankfurt von den Großeltern Albert von Goldschmidt-Rothschildserrichteten„NeuenPalais an der Grünen Burg“, das dieFamilie 1935 nach zunehmenden Repressalien durch das NS-Regimeaufgeben musste.Kunstminister Bernd Sibler betonte: „Es ist eine Selbstverständlichkeitund unsere moralische Verpflichtung, Kunstwerke, die durch Verfolgung, Raub und Gewalt in den Besitz des Staates gekommen sind, den rechtmäßigen Besitzerinnenund Besitzern zurückzugeben.Das ist aktive Wiedergutmachungsarbeitan den Opfern des Nationalsozialismus. Ich freue mich sehr, dass wir mit der Restitution an die Familie Goldschmidt-Rothschild wieder ein Stück Gerechtigkeit herstellen konnten.“Am 11./12. Mai 1936 wurden die Bildteppichebei Hugo Helbing in Frankfurt am Main verstei-gert. Sie gingen in der Folge in den Besitz von Hermann Göring über. Ein Foto von1939 zeigt sie in der Empfangshalle seinesBerliner Stadtpalais.Aus der umfangreichen „Kunst-Sammlung“, die Hermann Göring durch Kauf, Raub und Nötigung anhäufte, werden ca. 400Objekte seit den 1960er Jahren im BayerischenNational-museum verwahrt. Die US-Behörden hatten nach 1948 bis dahin nicht restituierte Werke schritt-weise in die Treuhänderschaft deutscher Behörden überführt. Die Verwaltung übernahmen die Bundesrepublik Deutschland und der Freistaat Bayern. Letzterer überwies die Bestände an ein-schlägig spezialisierte staatliche Museen Bayerns. Auf diesem Weg gelangten die drei Tapisserien 1961 in das Bayerische Nationalmuseum. Zusammen mit zahlreichen weiteren Textilien mitNS-Provenienz wurden sie 2017 im Rahmen eines von der Ernst von Siemens Kunststiftung und dem Bayerischen Staatsministeriumfür Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst geförderten Projekts untersucht, dokumentiert und nach intensiven Recherchen zu den Vorbesitzern der einzelnen Objekte in dieLost Art-Datenbank eingestellt.
Eine Identifizierung mit den Tapisserien aus Rothschild-Besitz wurde durch die Veränderungen erschwert, die zwischen 1936 und 1939 an den Stücken vorgenommen worden waren. Auf eine Anregung der Provenienzspezialistin und Textilexpertin Barbara Schröter hinhaben Mitarbei-ter/innen des Bayerischen Nationalmuseums die Originale im März 2019 noch einmal gezielt untersucht. Dabei zeigte es sich, dass die sechs 1936 versteigerten Teilstücke zu drei großen Tapisserien zusammengefügt worden waren. Sie konnten daraufhin anhand der Fotos im Auktionskatalog zweifelsfrei als die Objekte aus der Sammlung Goldschmidt-Rothschildidentifiziert werden.Es ist ein besonderes Anliegen des Bayerischen Nationalmuseums, proaktiv auf potentiell belasteten Kunstbesitz hinzuweisen. Dieser Ansatz war Grundlage des Provenienzforschung-Projekts zur Textilsammlung von 2017, und entsprechend hat das Museum nach der Befundung vom März 2019 die Erben nach Albert von Goldschmidt-Rothschild informiert. Mit dem Ziel einer fairen und gerechten Lösung im Sinn der Grundsätze der Washingtoner Konferenz vom3.Dezember 1988 sowie der Gemeinsamen Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts, insbesondereaus jüdischem Besitz, vom 14. September 1999 führte dies nun zur Rückgabe der Tapisserien an die Erbengemeinschaft.