DIE ISRAELITEN ENTDECKEN WASSER IN DER WÜSTEJacopo da Ponte, genannt Bassano (um 1510? – 1592) war einer der grossen Meister der venezianischen Malerei des Cinquecento. Seinen Ruhm verdankt er unter anderem der Erfindung einer neuen Bildgattung, die Kombination von biblischer oder mythologischer Historie und Hirtenszene mit Staffagefiguren in zeitgenössischen Kostümen und detailreich wiedergegebenen Tieren. Diese Bilder hatten unter den Zeitgenossen offenbar solch grossen Erfolg, dass Jacopo die Nachfrage nur durch eine fast industriell anmutende Organisation seiner Werkstatt erfüllen konnte, die unter der Leitung seiner Söhne noch bis lange nach seinem Tod zahllose Varianten nach seinen Schöpfungen fertigte. Vater und Söhne arbeiteten an grösseren Projekten bisweilen auch gemeinsam, was die Frage der Händescheidung und der Bewertung der künstlerischen Anteile an den Gemälden noch weiter erschwert.
Ein Musterbeispiel für ein solches Werk aus der Werkstatt der Bassani ist das jüngst von S. D. Hans-Adam II. von und zu Liechtenstein für die Fürstlichen Sammlungen erworbene Bild Die Israeliten entdecken Wasser in der Wüste von Jacopos ältestem Sohn Francesco. Das Gemälde zeigt die Israeliten, die mit Wasser aus einer Quelle ihren Durst stillen und ihre Tiere tränken. Moses sitzt auf einem Pferd, ein Gefährte reicht ihm Wasser in einer Schüssel. Die Szene lässt sich mit keinem der in den Büchern Mose überlieferten Wasserwundern vollständig zur Deckung bringen: Während der Felsen und die zahlreichen trinkenden Tiere an die beiden in Exodus, 17.1, und Numeri, 20.2, überlieferten Quellwunder denken lässt, bei denen Moses mit seinem Stab Wasser aus einem Felsen schlägt, spricht gegen diese Deutung die Darstellung Moses’ auf dem Pferd abseits der Quelle. Aber auch das Wunder an der Quelle von Mara, an der Moses ungeniessbares Wasser in süsses Trinkwasser verwandelt (Exodus 15.23) ist in dem Bild nicht eindeutig wieder zu erkennen. Von dem Gemälde sind mehrere Versionen erhalten, so zwei Werkstattkopien, die eine im Louvre und die andere versteigert 2005 bei Christie’s London sowie eine etwas grössere Version im Kunsthistorischen Museum Wien (hier unter dem Titel Wunder aus der Quelle von Mara), die ebenfalls Francesco zugeschrieben wird. Sie alle rekurrieren auf eine figurenreiche Komposition Jacopos, Moses am Felsenquell, die ebenfalls in zahlreichen Kopien und Varianten vorkommt, darunter auch eine, die schon im 18. Jahrhundert durch Fürst Joseph Wenzel von Liechtenstein in die Fürstlichen Sammlungen kam.
Das nun neu angekaufte Gemälde stammt aus der Wiener Sammlung Czernin, die auf die Sammeltätigkeit von Johann Rudolf Graf Czernin zwischen 1800 und 1845 zurückgeht und im 19. Jahrhundert zu den prominentesten adeligen Kunstsammlungen Wiens gehörte. Im Katalog der Sammlung aus dem Jahr 1936 wird Wert auf die Feststellung gelegt, dass es sich dabei nicht etwa um eine Kopie des Bildes aus dem Kunsthistorischen Museum handelt, sondern umgekehrt, in diesem eine „etwas grössere, in der Ausführung schwächere Wiederholung“ zu sehen sei, eine Auffassung, die in der Forschung seither jedoch kontrovers behandelt wird.