Strukturwandel ist eines der Themen des neu zusammengestellten Sammlungsrundgangs. Eindrücklich demonstriert die bosnische Architektin und Künstlerin Azra Aksamija, was Eigeninitiative bewirken kann. Ihre Arbeit Arizona Road (2002) über einen offiziell gegründeten Schwarzmarkt, der sich zur Stadt entwickelt, entstand als Studie in den ersten Jahren nach Kriegsende in ihrem Heimatland. Die Bedingungen und Konsequenzen der Privatisierung von öffentlichem Raum zeigen Dan Graham und Robin Hurst 1987 anhand der damaligen Situation in New York mit ihrer Arbeit Private ‘Public’ Space: The Corporate Atrium Garden auf. Unsere heutige Arbeits- und Lebensumwelt, in der mittels Laptop und Internet unabhängig vom Aufenthaltsort gearbeitet werden kann, nimmt Hans Hollein in den 1960er- Jahren vorweg: Sein Erweiterungsvorschlag für die Wiener Universität ist 1966 nicht als Gebäude, sondern als Steckdosenanschluss konzipiert, und sein Mobiles Büro von 1969 kann aus einem Koffer ausgepackt und als pneumatischer Raum überall und jederzeit aufgestellt werden. Die sich rapide verändernde Stadt als Quelle der Inspiration ist in Isa Genzkens Collagebüchern mit dem Titel I Love New York, Crazy City (1996) abzulesen. Um die Art des menschlichen Zeitvertreibs in der Stadt geht es in der Skulptur Divertissement (nach Pascal) aus dem Jahr 1987 von Franz West. Das Werk wird seit seiner letzten Präsentation in der Generali Foundation 1997 nun erstmals wieder einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt.
Die Poesie der Veränderung ist auch in Nilbar Güreş Werken spürbar, die zu den Neuerwerbungen der Sammlung des Museum der Moderne Salzburg zählen und erstmals präsentiert werden. In Ihren Arbeiten setzt sich die Künstlerin mit Geschlechterverhältnissen auseinander und entwirft ein differenziertes Gegenbild über herrschende Stereotype und Rollenklischees. Die Arbeiten dieser noch relativ jungen und bereits ungemein erfolgreichen Künstlerin sind einer Installation der US-amerikanischen Künstlerin Ree Morton gegen übergestellt, die sich innerhalb der männlich dominierten Minimal-Art-Szene im New York der 1960er-Jahre eine eigene Arbeitsmethode und Sprache erarbeitete. Die Kritik an der Vergangenheit, die Ablösung von alten Normen und zugleich die Akzeptanz einer veränderten Gegenwart ist ein wiederkehrendes Thema in einigen der ausgestellten Werke. Elke Krystufek konfrontiert uns in ihrer 1993 erstellten Fotomontagen-Reihe mit dem Titel Elke Krystufek liest Otto Weininger mit frauenfeindlichen Zitaten aus dem Buch Geschlecht und Charakter des österreichischen Philosophen Otto Weininger von 1903.
Neben das Thema des Wandels und Visionen von der Lebenswelt treten Umwälzungen durch Grenzüberschreitungen und Situationen von Reaktion und Aktion, wie sie etwa von Günter Brus provoziert werden. Sein Wiener Spaziergang als „lebendes Bild“, eine Reaktion auf eine Ausstellung, in der seine aktionistischen Werke ausgespart werden sollten, endete am 5. Juli 1965 mit der Verhaftung des Künstlers. Zu dieser Gruppe zählt auch die Mappe der Hundigkeit aus dem Jahr 1968 von VALIE EXPORT und Peter Weibel sowie Fotoarbeiten von Arnulf Rainer mit dem Titel Nervenkrampf, die zwischen 1969 und 1970 entstanden.
Die poetischen, positiven oder auch Wandel anstoßenden Stimmen werden von ebenso kritischen Auseinandersetzungen mit den Folgen der Veränderung, zum Beispiel im Bereich der Massenmedien und der Arbeitswelt, begleitet. In Richard Kriesches Audio-Video-Installation 14 Minuten im Leben von aus dem Jahr 1977 steht der Mangel an Veränderung oder – verschärft gesprochen – die Monotonie im Vordergrund: Industriearbeit in Realzeit wird anhand der immer gleichen Handgriffe einer Arbeiterin der Puch-Fahrradfabrik gezeigt. Einsehbar sind 14 Minuten aus jedem Tag der Woche, womit die Konsequenzen von industriellem Fortschritt als individuellem Rückschritt verdeutlicht werden.
Die Beschäftigung mit den Möglichkeiten und Folgen von Veränderung spiegelt sich auch in den künstlerischen Strategien und Techniken wie dem Prinzip von Collage und Assemblage oder etwa bei Oswald Oberhuber wider, der die „permanente Veränderung“ zum Prinzip seiner Kunst erklärt hat. Oberhuber richtet sich gegen die Entwicklung eines einheitlichen und wiedererkennbaren künstlerischen Stils und stellt damit sich selbst und seine Ausdrucksmittel immer wieder erneut infrage. Die Transformation spielt auch bei Gerhard Rühm, einem der wichtigsten Vertreter der sogenannten Wiener Gruppe (1954–1964), eine zentrale Rolle. In seinen zwischen 1955 und 1963 entstandenen Typocollagen sind es Buchstaben und Worte aus Zeitungen, die er in poetische Anordnungen überführt. Auch die polnische Künstlerin Ewa Partum setzte in ihrem Video Aktive Poesie (1971/1973) Buchstaben ein: Indem sie sie auf einem Feld verstreut oder ins Meer schüttet, wird die Natur zu ihrer Partnerin beim Verfassen eines neuen Gedichts. Sprache spielt auch im Werk des Künstlers Josef Strau eine große Rolle. In seinem für die Besucherinnen und Besucher begehbaren Objekt J: Inside the Letter-Hole (Josef for Children), einer Art Tunnel in Form eines auf die Größe eines Kindes abgestimmten Buchstabens, wird die alttestamentarische Geschichte über Josef aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt.
„Das tausendteilige Porträt ist ein fotografisches Monument meiner Mutter. Ihre Gedanken streifen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“, schreibt Friedl Kubelka über die 1980 produzierte Arbeit. Was auf den ersten Blick wie das immer gleiche Passfoto einer fremden Person aussieht, offenbart sich als Möglichkeit für eine Studie über die Veränderungen eines Individuums und dessen Beziehung zur ganz persönlichen Um- und Erfahrungswelt. Dass sich etwas verändern kann und welche Eigenschaften in kausaler Verbindung mit Veränderung stehen, hat Robert Barry mit den zwanzig Aussagen seiner Diainstallation It can change... (1970/71) versucht festzuhalten. Dem gegenüber finden sich 27 kleinformatige Papierarbeiten von Heimo Zobernig, der die Veränderung einer einzelnen Form mittels Farbe und Farbauftrag systematisch durcharbeitet.
Mit Hans Haackes World Poll wird eine seiner jüngsten Arbeiten präsentiert, die auf der Biennale von Venedig 2015 in Fortsetzung seiner bereits in den 1960er-Jahren durchgeführten Besucherbefragungen präsentiert wurde. Mittels iPads können die Besucherinnen und Besucher an der von Haacke für Salzburg überarbeiteten „Weltumfrage“ teilnehmen und deren stetig aktualisierte Ergebnisse einsehen. Veränderung ist hier als aktiver Prozess der direkten Beteiligung erfahrbar und auch am technologischen Fortschritt sichtbar: Bereits seit 1969 setzt Haacke Fragebögen und Stimmzettel ein, um soziale und politische Systeme zu entlarven und zu kritisieren. Deutlich wird die Veränderung anhand eines Vergleichs mit den Dokumenten und Resultaten der Befragung Visitors’ Profile, Directions 3: Eight Artists, Milwaukee Art Center, June 19 through August 8 von 1971, einer in Salzburg erstmals präsentierten Arbeit aus der Sammlung Generali Foundation. Mit Werken von Fareed Armaly (1957 Iowa City, IA, US – Berlin, DE), Azra Aksamija (1976 Sarajevo, BA – Boston, MA, US), Robert Barry (1936 New York, NY, US – Teaneck, NJ, US), Gottfried Bechtold (1947 Bregenz, AT – Hörbranz, AT), Günter Brus (1938 Ardning, AT – Graz, AT), VALIE EXPORT (1940 Linz, AT – Wien, AT) / Peter Weibel (1944 Odessa, UA – Wien, AT, und Karlsruhe, DE), Isa Genzken (1948 Bad Oldesloe, DE – Berlin, DE), Dan Graham (1942 Urbana, IL, US – New York, NY, US) / Robin Hurst, Nilbar Güreş (1977 Istanbul, TK – Wien, AT), Hans Haacke (1936 Köln, DE – New York, NY, US), Hans Hollein (1934 – 2014 Wien, AT), Richard Kriesche (1949 Wien, AT – Graz, AT), Elke Krystufek (1970 Wien, AT), Friedl Kubelka (Friedl vom Gröller) (1946 London, UK – Wien, AT), Markus Lüpertz (1941 Reichenberg, heute Liberec, CZ – Berlin, DE), Ree Morton (1936 Ossining, NY, US – 1977 Chicago, IL, US), Oswald Oberhuber (1931 Meran, IT – Wien, AT), Ewa Partum (1945 Grodzisk Mazowiecki, PL – Berlin, DE), Arnulf Rainer (1929 Baden/Wien, AT – Enzenkirchen, AT), Gerhard Rühm (1930 Wien, AT – Köln, DE, und Wien, AT), Curt Stenvert (1920 Wien, AT – 1992 Köln, DE), Josef Strau (1957 Wien, AT – Berlin, DE, und New York, NY, US), Franz West (1947 – 2012 Wien, AT) und Heimo Zobernig (1958 Mauthen, AT – Wien, AT)
Kuratorinnen: Sabine Breitwieser, Direktorin und Leiterin des kuratorischen Teams; Antonia Lotz, Kuratorin Sammlung Generali Foundation; Christina Penetsdorfer, Assistenz-Kuratorin
Dienstag - Sonntag 10 - 18 UhrMittwoch 10 - 20 UhrMontag geschlossen
Kombiticket (Mönchsberg & Rupertinum)Regulär € 12Ermäßigt € 8Familien € 16
Copyright © 2024 findART.cc - All rights reserved