Venedig ist ein Sehnsuchtsort. Wie keine andere Stadt hat sie in den vergangenen Jahrhunderten nicht nur ihre Besucher, sondern auch die Künstler herausgefordert. Die vom Meer durchdrungene Anlage und die auf den Canal Grande ausgerichtete kulissenhafte Prachtarchitektur Venedigs vermitteln den Eindruck einer Inszenierung, die eine künstlerische Reaktion provoziert. Von 1500 bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts feierten die Maler Venedig als Stadt des Sehens: Wasser, Schiffe und Prozessionen boten einem großen Publikum immer ein Schauspiel. Ihr Blick auf die Stadt prägte das Bild von Venedig. Mit Venedig-Bildern etwa von Vittore Carpaccio, Canaletto, Giovanni Battista Tiepolo, William Turner, John Ruskin, Jean-Baptiste Camille Corot, Claude Monet, Wassily Kandinsky, Gerhard Richter oder Candida Höfer nimmt die Ausstellung Venedig. Stadt der Künstler erstmals nicht nur die Malerei der venezianischen Schule in den Blick, sondern widmet sich der gesamteuropäischen Dimension der einzigartigen künstlerischen Rezeptionsgeschichte Venedigs vom 16. Jahrhundert bis heute.
Schon um 1500 zeigten venezianische Gemälde, anders als in anderen Städten, Darstellungen von Prozessionen und Staatszeremonien vor der realistisch wiedergegebenen Stadtkulisse. Diese repräsentative Funktion der Erkennbarkeit der Stadt zeigt sich auch in den Portraits der Dogen, etwa in Carpaccios Darstellung von Lorenzo Loredan oder Tintorettos Porträt des Dogen Alvise Mocenigo.
Während im 18. Jahrhundert der wirtschaftliche Abstieg begann, erlebte die Stadtansicht Venedigs in der Malerei ihre Blüte. Giovanni Antonio Canal, genannt Canaletto, und seine Werkstatt etablierten das Genre der Vedute als venezianische Leitgattung. Ansichten des Canal Grande, des Markusplatzes, der Basilika und des Dogenpalastes mit den ankernden Schiffen dokumentierten und glorifizierten die bauliche Pracht. Mit Francesco Guardi fand die repräsentative Vedute dann ihren Ausklang. Die melancholische Note seiner Malerei deutet bereits Reaktionen auf den Niedergang einer Gesellschaft und einer Epoche an. Diese finden sich auch in den Beobachtungen des zeitgenössischen Alltags und der Vergnügungskultur bei Pietro Longhi und Gabriel Bella.
Nach der Herrschaft Napoleons lagen 1815 das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben Venedigs und die lokale Kunstproduktion am Boden. Die Stadt blieb jedoch Ziel englischer Künstler, die in der Tradition der Grand Tour nach Venedig reisten. Zu den ersten Malern, die im 19. Jahrhundert nach Venedig kamen, gehörte William Turner. Seine Malerei löste die traditionelle Vedute in einem von Licht, Luft und Wasser abhängigen Wahrnehmungserlebnis auf. Das verfallende Venedig gab Künstlern wie John Ruskin neue Sujets. Zum Ende des Jahrhunderts suchten Amerikaner wie John Singer Sargent und James Whistler ihre Motive weit ab von der Piazza San Marco und machten einsame Gassen und schmale Seitenkanäle bildwürdig.
Die französischen Maler brachten seit der Mitte des 19. Jahrhunderts den subjektiven Blick auf die flüchtigen Momente mit. Das südliche Licht, der weite Himmel über der Lagune und Spiegelungen der Fassaden im Wasser boten sich der impressionistischen Malweise ideal an. Künstler wie Eugène Boudin oder Claude Monet fingen in ihren Werken die flirrende Atmosphäre der Stadt ein. Die seit Jahrhunderten bestehende Anziehungskraft Venedigs für Künstler aus zahlreichen Ländern Europas und Amerika wurde am Ende des 19. Jahrhunderts institutionalisiert, als 1895 mit der Biennale die erste Weltausstellung der Kunst veranstaltet wurde. Zur Biennale treffen sich nach wie vor Künstler aus aller Welt in Venedig, auch wenn der Ort nur selten thematisiert wurde und wird.
Die von Inés Richter-Musso kuratierte Ausstellung Venedig. Stadt der Künstler dokumentiert anhand von rund 110 Werken die bildliche Identifikation des Dogen mit der Stadt und die Entwicklung der Vedute als venezianischer Leitgattung. Sie analysiert die unterschiedlichen Motive der europäischen Künstler, die im 19. Jahrhundert, nach dem Ende der Stadtrepublik, in Venedig arbeiteten, und macht erfahrbar, warum Venedig bis heute einer der inspirierendsten Orte ist. Die Leihgaben kommen aus internationalen Sammlungen wie dem Museo Correr, Venedig, der Fondazione Giorgio Cini, Venedig, der Tate, London, dem Centre Pompidou, Paris, dem Rijksmuseum Amsterdam oder dem Städel Museum, Frankfurt.
Der Katalog zur Ausstellung mit Beiträgen von Kathrin Baumstark, Tiziana Bottecchia, Barbara Dayer Gallati, Laura de Rossi, Daria Dittmeyer-Hössl, Martin Gaier und Inés Richter-Musso erscheint im Hirmer Verlag (München, ca. 216 Seiten mit farbigen Abbildungen aller ausgestellten Werke, 29 € in der Ausstellung).
Die Ausstellung steht unter der Schirmherrschaft der Botschaft der Italienischen Republik.
Die Ausstellung wird gefördert von Latham & Watkins.
Öffnungszeitentäglich von 11 bis 19 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr geöffnet mehr EintrittspreiseNormal: 8,– €Ermäßigt: 5,– €Montags Einheitspreis: 5,– €Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren: Eintritt frei mehr
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