Über den Jahreswechsel 2024/25 rückt das Saarlandmuseum Marc Chagalls unterschiedliche Illustrationsfolgen zum Alten Testament in den Blickpunkt. In den Sammlungen des Saarlandmuseums befinden sich weit über 500 Arbeiten auf Papier aus allen Schaffensperioden Marc Chagalls. Gut ein Drittel dieser Werke ist biblischen Themen gewidmet. Aus diesem reichhaltigen Bestand präsentiert die Ausstellung Marc Chagall. Die heilige Schrift ab dem 23. November 2024 rund 120 Graphiken.Die Bibel galt dem Künstler nach eigenem Bekunden als „reichste poetische Quelle aller Zeiten“, die ihn von früher Kindheit an inspirierte und seine Kunst zeitlebens „mit der Vision des Weltschicksals erfüllte“. Mit Meisterwerken aus vier Jahrzehnten gibt die Ausstellung einen Einblick in den Reichtum der Bilderfindungen, die Chagall auf Grundlage der biblischen Erzählungen entwickelte. Losgelöst von konfessionsgebundenen Darstellungstraditionen, erscheint die heilige Schrift bei Chagall als Sammlung exemplarischer menschlicher Schicksale - weltliche und religiöse Dimensionen durchdringen einander, Phantasmen und autobiographische Erlebnisse verbinden sich mit dem Sakralen zu einzigartigen Bildkosmen. 1930 beginnt Marc Chagall, im Rahmen eines ambitionierten bibliophilen Projekts für den Pariser Verleger Ambroise Vollard die gesamte jüdische Bibel zu illustrieren. Aufgrund der Verwerfungen des Zweiten Weltkriegs und seiner eigenen Fluchtgeschichte wird er dieses Projekt jedoch erst 1956 beenden. In den ausdrucksstarken Radierungen findet der Künstler vielfach zu ungewöhnlichen Interpretationen der biblischen Sujets. Stets richtet er dabei den Blick auf den Menschen und seine individuelle Beziehung zu Gott.
In den 1950er Jahren gewinnt die Auseinandersetzung mit der Bibel noch breiteren Raum in Chagalls Schaffen. Parallel zu den letzten Radierplatten für das Vollard-Projekt gestaltet der knapp Siebzigjährige unter anderem zwei farbenfrohe Lithographie-Folgen, die jeweils als Doppelausgabe der renommierten Kunst- und Literaturzeitschrift Verve erscheinen. Ein Exemplar dieser berühmten „Verve-Bibel“ von 1956 wird ebenfalls in der Ausstellung zu sehen sein. Die Folge besticht durch ihre großflächigen, intensiv-leuchtenden Farbzonen und ihre große formale Freiheit. In zahlreichen Variationen verbildlicht Chagall die Schöpfungsgeschichte, Engelsgestalten, Moses und die biblischen Könige. Die Blätter ergänzen und erweitern thematisch die Radierungen. Zwischen 1958 und 1959 beschäftigt sich Chagall mit jenen Erzählungen, die bisher keinen Eingang in seine Graphiken gefunden hatten. Neben Paradiesdarstellungen stellt er dabei vielfach die biblischen Frauen und ihre Taten in den Mittelpunkt. Offensichtlich war es dem Künstler ein Anliegen, der „männlichen“ Bibel eine „weibliche“ folgen zu lassen und auch (unbekanntere) Frauenfiguren künstlerisch zu deuten. Die Blätter mit Themen rund um Sarah, Ruth oder auch Esther zeichnen sich durch eine besonders erzählfreudige Ausarbeitung und eine sensible Farbstimmung aus.
Abschließend widmet sich die Ausstellung den Illustrationen zum Exodus, der Geschichte vom Auszug des Volks Israels aus Ägypten. Einzig dieser jüdischen Schlüsselerzählung widmet Chagall 1960 eine zweite Graphikfolge. Der Künstler überträgt dafür 17 seiner früheren Schwarz-Weiß-Radierungen gleichen Themas in strahlende, vielschichtige Farblithographien. Der direkte Vergleich beider Zyklen lädt dazu ein, die Parallelen und Unterschiede in Bearbeitung und Komposition zu entdecken und Chagalls künstlerische Entwicklung nachzuvollziehen.
Für das Saarlandmuseum bedeutet es eine besondere Freude, dieses Projekt in Kooperation mit der Synagogengemeinde Saar verwirklichen zu können. So rückt die Ausstellung auch jene Fragen in den Fokus, die aus jüdischer Sicht heute an das Schaffen Chagalls und seine Interpretationen der Heiligen Schrift zu richten sind. Der Austausch über die Themen des Alten Testaments und ein reichhaltiges, gemeinsam von Museum und Synagogengemeinde entwickeltes Vermittlungsprogramm, werden das Verständnis von Chagalls Kunst erweitern und die Inhalte seiner phantastischen Bildwelten noch intensiver erlebbar machen.