NORBERT BITTNERS PHANTASIEN VOM LAND AM NIL AUS DER ZEIT DES BIEDERMEIER Anfang des 19. Jahrhunderts rekonstruierte Norbert Bittner (1786–1851) in 56 Ansichten eine fingierte Reise durch das Land am Nil – ohne selbst je in Ägypten gewesen zu sein. Anhand französischer und deutscher Stichpublikationen, deren Details er phantasievoll kombinierte, schuf er seine persönliche Vision dieses Landes.
Die Aquarellserie gelangte im Jahr 1839 durch ein Legat in das Kupferstichkabinett der Akademie der bildenden Künste Wien. 26 Blätter aus dieser Serie werden ab 27. Mai 2011 in der Klassizistischen Bibliothek des LIECHTENSTEIN MUSEUM – topografisch von Norden nach Süden geordnet und in Zusammenschau mit entsprechenden aktuellen Ansichten – gezeigt.
Norbert Bittner studierte seit 1806 an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Anfangs Schüler der Landschaftsmalerei, wechselte er jedoch bald in die Architekturklasse. Aufgrund seiner hervorragenden Leistungen erhielt er bereits ab 1808 ein Stipendium. Neben seinen Radierungen von sämtlichen Theaterentwürfen des Theatermalers Joseph Platzer (1751–1806) scheint es, dass Bittner vor allem für Gregor Graf Rasumofsky (1759–1837) gearbeitet hat, für den er wahrscheinlich auch die Serie der Ägyptenansichten schuf.
Als Vorlage dienten das 1802 herausgegebene Stichwerk Dominique Vivant Denons (1747–1825) „Voyage dans la basse et la haute Egypte, pendant les campagnes du général Bonaparte“ und der „Description de l’Egypte“. Denon war eine äusserst schillernde Persönlichkeit – selbst Künstler und Sammler, nahm er 1798/99 an dem Ägyptenfeldzug Napoleons teil und war seit 1804 Generaldirektor der Museen in Frankreich sowie Direktor des Musée Napoléon, für welches er Kunstwerke aus allen besiegten Ländern aussuchte. Im Jahr 1809 war er auch in Wien, wo die Persönlichkeit Denons und sein Druckwerk vermutlicherweise einen grossen Einfluss auf junge Künstler gehabt hatte.
Als Vorlage weiterer Blätter von Bittner dienten die Publikationen des Kölners Franz Christian Gau (1789–1853) „Antiquité de la Nubie, ou Monuments inédits des bords du Nil, situés entre la première et la seconde cataracte“, welche von 1820 bis 1827 bei Cotta erschien, sowie jene von Jean Raimond Pacho (1794–1829), der die Illustrationen seiner Expedition in das antike Libyen bis zur grossen Syrte (1824–1825) in Paris unter dem Titel „Voyage dans la Marmarique, la Cyrénaïque et les Oasis d’Audjelah et de Maradèh“ veröffentlichte (1827/28).
Die von Bittner getroffene Auswahl aus den Stichwerken von Denon und Gau will die wichtigen Bau- und Kunstwerke von Kairo beziehungsweise Abu Simbel erfassen und eine fingierte Reise von Nord nach Süd rekonstruieren. Bittner nahm sich in seinen Blättern die jeweiligen Topographien zum Vorbild, liess jedoch manchmal seiner Phantasie freien Lauf und kombinierte verschiedene Details. Er versuchte die Vorlagen ästhetisch und kompositionell durch eine bühnenartige Gestaltung der Monumente „aufzubessern“.
Die Blätter erhalten so eine künstlerische Wertigkeit und erreichen auf diese Weise ein an der ägyptischen Kunst interessiertes Publikum. Gegenüber den schwarz-weissen Kupferstichen vertiefen die zarten Aquarelle das landschaftliche und emotionale Erlebnis der Nil-Expeditionen. Sie zeugen von dem grossen europäischen Interesse an der Wiederentdeckung Ägyptens sowie der nach 1809 in Europa einsetzenden „Ägyptomanie“ und stellen damit einen frühen Beitrag zur Verbreitung der ägyptischen Monumente dar.
Neben diesen Aquarellen, die Leihgaben aus dem Kupferstichkabinett der Akademie der bildenden Künste Wien darstellen, ergänzen Publikationen aus der Bibliothek der Fürstlichen Sammlungen den historischen Blick auf Ägypten. Aktuelle Fotos der Sehenswürdigkeiten spannen einen Bogen bis in die Gegenwart.
Die Ausstellung wird vom Direktor des LIECHTENSTEIN MUSEUM, Dr. Johann Kräftner, in wissenschaftlicher Zusammenarbeit mit Dr. Monika Knofler, Kupferstichkabinett der Akademie der bildenden Künste Wien, sowie Dr. Lisa Schwarzmeier, freie Kunsthistorikerin, konzipiert.