Krishna und Radha (1.1 MB) Indien, 19. Jh. Papier, H. 430 mm, B. 330 mm © KHM mit MVK und ÖTM Krishna und Radha (1.1 MB) Indien, 19. Jh. Papier, H. 430 mm, B. 330 mm © KHM mit MVK und ÖTM - Mit freundlicher Genehmigung von: khm

Was: Ausstellung

Wann: 07.09.2011 - 28.05.2012

Ein Wald aus vier Meter hohen, kalkweiß bemalten Pfählen mit übereinander aufgetürmten Ahnenfiguren der Asmat aus Südwest-Neuguinea empfängt die BesucherInnen. Die Asmat sind davon überzeugt, dass ihre Vorfahren einst vom Urzeit-Heroen, dem „Windmann“, aus einem Baumstamm gefertigt und mit einer Trommel zum Leben erweckt wurden. Unweit dieser beschnitzten Mangrovenstämme…
Ein Wald aus vier Meter hohen, kalkweiß bemalten Pfählen mit übereinander aufgetürmten Ahnenfiguren der Asmat aus Südwest-Neuguinea empfängt die BesucherInnen. Die Asmat sind davon überzeugt, dass ihre Vorfahren einst vom Urzeit-Heroen, dem „Windmann“, aus einem Baumstamm gefertigt und mit einer Trommel zum Leben erweckt wurden. Unweit dieser beschnitzten Mangrovenstämme stehen ein riesiges hölzernes Tempeltor aus Myanmar, eine massive Ölpresse aus der Oase Siwa in Ägypten, das Rollenkostüm der Hexe Baba Yaga, der populärsten Gestalt der russischen und ostslawischen Märchen, sowie eine aus einem Baumstamm ausgehöhlte überdimensionale Schlitztrommel aus Neuguinea, deren Klang Feinde und gefürchtete Geister abschrecken sollte. Nach Gebrauch wurden auf den Neuen Hebriden derartige Trommeln senkrecht nebeneinander aufgestellt, um damit bei ungebetenen „Gästen“ den Eindruck eines undurchdringlichen „Waldes“ zu erwecken. An den Wänden hängen Frauengewänder der Maya mit bestickten Lebensbaummotiven, ein geknüpfter persischer Bildteppich, auf dem ein Held – für die einen der heilige Georg oder der heilige Theodor, für andere Rustam, der iranische Held aus der Poesie – einen Drachen im Zweikampf tötet, Thangkas aus Tibet und Nepal mit Heiligen Bäumen oder unter einem Baum in Meditation versunkene Einsiedler, monumentale Gemälde mit österreichischen Jagdszenerien sowie Kohlezeichnungen des Malers Anton Velim von Holzfällern bei ihrer Arbeit in der Schneegrube am Ötscher. Bemalte Ritualkarten aus der Mongolei zeigen Furcht einflößende Waldgeister aus vorbuddhistischer Zeit.

Die Bedeutung des Waldes als notwendiger Rückzugsort für den Menschen spiegelt sich in der Anlage künstlicher Wälder, Parks und Gärten wider. Als Vorgeschmack des Paradieses waren Gartenidyllen ein beliebtes Thema auf Darstellungen aus der indischen Moghul-Zeit und auf persischen Lackmalereien. Opulent dekorierte Fliesen und Keramiken veranschaulichen die Liebe osmanischer und marokkanischer Töpfer zu Blumenmotiven und Pflanzenformen. Miniaturen hinduistischer Götter illustrieren den jugendlichen und liebestollen Krishna, der mit den betörenden Klängen seines Flötenspiels verheiratete Hirtenmädchen in den nächtlichen Wald lockt, oder den vielarmigen Shiva, der sich unter einem Baum strenger Askese unterzieht.

Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat das Jahr 2011 zum „Internationalen Jahr des Waldes“ erklärt. „Wir müssen das Internationale Jahr des Waldes nützen, um den Österreicherinnen und Österreichern die wichtige Bedeutung des Waldes näher zu bringen“, so Landwirtschafts- und Umweltminister Niki Berlakovich anlässlich der neuen Ausstellung. „Wichtige Multiplikatoren dabei sind unsere Partner, wie das Museum für Völkerkunde, das dieses Thema aufgegriffen und in seiner neuen Ausstellung auf faszinierende Weise verschiedene Dimensionen des Waldes aufbereitet hat.“

Anhand ausgewählter Themenfelder, die drei großen Bereichen („Der phantastische Wald“, „Der entzauberte Wald“ und „Der geschundene Wald“) zugeordnet werden, beleuchtet die Ausstellung aus kulturanthropologischer Sicht das einst vorhandene oder mittlerweile in Vergessenheit geratene enge Beziehungsgeflecht zwischen Menschen, Bäumen und Wäldern. „Mit der Ausstellung ‚Wald / Baum / Mensch‘ hat sich das Museum für Völkerkunde zum Ziel gesetzt, die Aufmerksamkeit der BesucherInnen auf die vielfältigen und kulturell bedingten Umgangsformen der Menschen mit Wald und Baum zu lenken“, erklärt Generaldirektorin Dr. Sabine Haag. „Seit urdenklichen Zeiten begleiten Wälder und Bäume die Menschen. Der Wald war für sie Lebensraum, unersetzlicher Bestandteil ihrer Lebensgrundlagen und real-fiktive Gegenwelt zugleich.“

Von Anbeginn projizierten Menschen ihre Ängste, Sehnsüchte und Vorstellungen auf Wälder und Bäume. In den unwegsamen, ordnungslosen, lichtarmen und unwirtlichen Wäldern waren die „Anderen“ zu Hause: „unzivilisierte Menschen“, furchteinflößende Tiere, Götter und Nymphen, übelwollende Geister oder absonderliche Phantasiegestalten, wie Drachen, Hexen, Trolle und der keulenschwingende „Wilde Mann“. In zahlreichen Kulturen galt der Wald als Ort höchster Gefahr und Gefährdung. Die Inka führten Kämpfe gegen die „Wald-Bewohner“, die sie auch auf rituellen Trinkgefäßen abbildeten und die für sie Wildheit und Chaos symbolisierten. Demgegenüber begreifen die Makuna, die die Regenwälder im südöstlichen Kolumbien bewohnen, den Wald nicht als Unheil verheißende Gegenwelt, sondern als unmittelbare Alltagswelt, als Überlebensraum, mit dem sie sich auf vielerlei Weise verbunden fühlen. Im Zentrum des Siedlungsgebiets der Piaroa im Süden Venezuelas ragt aus dem Regenwald ein gewaltiger Tafelberg empor, der Cerro Autana, den die Piaroa als versteinerten Stumpf des Weltenbaumes deuten, der in mythischer Urzeit sämtliche Früchte des Waldes getragen haben soll. In der griechisch- römischen Antike wachten die Waldgötter Pan und Silvanus über Wachstum und Gedeihen der Bäume des Waldes sowie der in den Wäldern weidenden Herden. Im Alten Ägypten erschienen Baumgöttinnen in Gestalt einer Sykomore, unter deren Zweigen die Toten von unvergänglicher Nahrung lebten. Heilige Wälder und Lebensbäume, etwa in Afghanistan, Indien und Mexiko, im Judentum, Christentum und Islam sowie bei den Maya, Batak und Dayak zeigen uns, dass Menschen unabhängig von Zeit und Raum Wälder und Bäume als Quelle des Lebens angesehen haben und vielfach noch ansehen.

Bis in die jüngere Zeit hinein waren auch in unseren Breiten Landwirtschaft und Waldnutzung aufs Engste miteinander verknüpft: Der Wald lieferte nicht nur Brennstoff und Baumaterial für Städte und Dörfer oder den Schiffsbau. Aus Holz wurden praktisch alle Gegenstände des täglichen Bedarfs wie Möbel, Geschirr, Werkzeuge und landwirtschaftliche Geräte gefertigt. Der Wald diente Rindern, Pferden, Schafen, Ziegen und Schweinen als Weidefläche. In den Wäldern sammelte die ländliche Bevölkerung Nüsse, Beeren, Pilze und Früchte, um ihre karge Nahrung zu ergänzen. Periodisch nutzten die Bauern sogar den Waldboden landwirtschaftlich. Köhler versorgten Salinen, Bergwerke, Eisen- und Glashütten mit Holzkohle. Den Holzbedarf waldarmer Gebiete an den Rändern Europas deckten seit dem Mittelalter auf dem Wasserweg Trift und Flößerei. Zur standesgemäßen Lebensführung adeliger Grundherren gehörte auch die Jagd, die mitunter mit verheerenden Folgen für Wälder und landwirtschaftlich genutzte Flächen betrieben wurde. Der Wienerwald als Jagdrevier der Habsburger wird in der Ausstellung an Hand von Jagdtrophäen, alten österreichischen Schützenscheiben sowie Statuetten von Kaiser Franz Joseph I. und Kronprinz Rudolf dargestellt. Von Kaiser Joseph II. wird ein Jagdrock gezeigt, der durch das Geweih eines Hirsches zerfetzt wurde und wohl deshalb erhalten blieb. In Nordamerika, wo eine adelige Grundherrschaft fehlte, hatte nach Ankunft der ersten weißen Siedler der Kampf um Jagdrechte und Landbesitz nicht nur negative Auswirkungen für die angestammten Bewohner dieses Erdteils; längerfristig wurden auch einzelne Tierarten ausgerottet und ausgedehnte Waldflächen unwiederbringlich vernichtet. Neben Holz und Rinde liefern Wälder und Bäume weltweit eine Unzahl für den Menschen unentbehrlicher Produkte wie Honig, Ahornzucker, Kakao, Palmwein, Kautschuk, Kokosnüsse sowie pflanzliche Heilmittel. Die Kultivierung der Maulbeerbäume zur Herstellung hochwertiger Seide in Japan stellt ein, übrigens bereits im 18. und 19. Jahrhundert unter anderem in Wien und Linz versuchtes, Beispiel spezifischer Nutzung bestimmter Baumarten dar. Objekte aus Holz und Bambus, wie die mittlerweile weltweit verwendeten Essstäbchen, sowie eine Vielfalt aus Rinde gefertigter Alltagsgegenstände, so etwa Körbe, Kleidung und Schuhe, veranschaulichen zusätzlich die Nutzung des Waldes als Rohstoffquelle.

Jahr für Jahr nimmt die globale Waldfläche infolge des steigenden Bedarfes an Industrieholz oder der Anlage großflächiger Monokulturen mit Ölpalmen oder Sojaplantagen dramatisch ab. Damit verbunden ist die fortwährende Einschränkung der Artenvielfalt auf der Erde. Dass der Mensch auch in der Vergangenheit keineswegs naturnah und im Einklang mit seiner Umwelt zu leben verstand, zeigt das historische Beispiel der Nasca-Indianer. So berühmt und hochgeschätzt diese Kultur heutzutage wegen ihrer Scharrbilder in der Wüste Perus auch ist, war es doch möglicherweise sie selbst, die durch unkontrollierte Rodung und Entwaldung ihrer Lebensumgebung, mit der die Bodenerosion einherging, im 7.–8. Jahrhundert den eigenen Untergang besiegelte. Mit der massiven Abholzung der Palmbaumwälder entzogen sich auch einige Jahrhunderte später die Bewohner der Osterinsel eigenhändig die Lebensgrundlage. Gegenwärtig zerstört ein aus Asien eingeschleppter Käfer in den Wäldern Nordamerikas Millionen von Schwarz-Eschen und bedroht damit unter anderem ernsthaft die Korbflechtkultur lokaler Indianer. Ein Gemälde von Bwalya Dominique aus dem Jahr 1999 zeigt die Vernichtung von Wald und Natur im Osten der Demokratischen Republik Kongo durch bewaffnete Gruppen, die ihr Treiben durch die in den Industrieländern begehrten Bodenschätze finanzieren. Der Abbau der riesigen Bauxit-Vorkommen zur Aluminiumerzeugung im ostindischen Bundesstaat Orissa veranlasste im Februar 2010 die Nichtregierungsorganisation Survival International, die lokalen Khond-Völker mit dem fiktiven Volk der Na’vi im Film „Avatar“ zu vergleichen, die durch die Verteidigung ihrer waldreichen Lebensumgebung der Ausbeutung eines für die Menschheit wertvollen Metalls im Wege stehen. Nach einer Empfehlung der indischen Waldkommission, wonach der Bauxit-Abbau Ökosystem und Wasserversorgung „drastisch verändern“ würde, stoppte das indische Umweltministerium einstweilen den Abbau des Erzes. Die von der massiven Abholzung ihrer Lebenswelt bedrohten Surui-Indianer im Westen Brasiliens versuchten 2009 auf der UNO-Klimakonferenz die Industrieländer davon zu überzeugen, dass ein lebender Wald mehr wert ist als ein toter. Unter dem Begriff des „Bruttosozialglücks“ versucht seit dem Ende der 1970er Jahre das Königreich Bhutan per Gesetz, die wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Rahmenbedingungen zu schaffen, um den Bewohnern des Himalaya-Staates das Grundrecht auf individuelles Glück im Glück der Allgemeinheit zu gewährleisten. Dazu zählt auch der Schutz der Wälder.

Während in unseren Breiten die nachgeforsteten und artenarmen Wälder relativ robust auf natürliche und menschliche Einflüsse reagieren, droht durch Übernutzung und fortschreitende Zerstörung der tropischen Regenwälder und der subarktischen Nadelwälder der Wald als Naturressource großflächig verloren zu gehen. Eine langfristige Erhaltung der Wälder wird wohl nur gelingen, wenn die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse dieser und kommender Generationen in Einklang gebracht werden.

Das Abenteuer der Menschen nimmt mit den Wäldern seinen Anfang und findet wohl ohne sie auch sein Ende.

Die segelschiffförmig geformte „Boots- Kiefer“ im Garten des Kinkaku-ji-Tempels (0.9 MB) Japan, Kyōto, um 1900 Albuminabzug, H. 195 mm, B. 243 mm © KHM mit MVK und ÖTM Die segelschiffförmig geformte „Boots- Kiefer“ im Garten des Kinkaku-ji-Tempels (0.9 MB) Japan, Kyōto, um 1900 Albuminabzug, H. 195 mm, B. 243 mm © KHM mit MVK und ÖTM - Mit freundlicher Genehmigung von: khm / Kunsthistorisches Museum
Tags: Ahnenfiguren, Baum, Menschen, Neuguinea, Wald