Ungleich große Karos teilen die Bildfläche unter sich auf. Ungleich groß – und ungleich winkelig, gestaucht, gestreckt, verzerrt und gekippt. Keine echten Rauten also. Keine echte Ordnung ebenso, und doch passt jedes Stück zu seinen Nachbarn. Zwischendrin blitzen manchmal schmale Keile auf, als ob sich die Struktur vom Objekt her aufdrängen würde, nicht vom Maler, Florian Nährer. Als zersplitterte Einheit bedeckt die Farbe die Leinwand. Ihr Übergriff auf den Rahmen sprengt die Einheit der Bildfläche und untermauert die Einheit des Werks.Rauten füllen ein Rechteck nicht. Notwendigerweise bleiben Zwickel über. Entstehen seine Malereien von der Mitte oder den Rändern ausgehend? Die Antwort: Von der Mitte her. Von der Mitte her entfaltet sich eine Struktur, wird auf-, wird aufeinander aufgebaut. Summand folgt Summand, doch das Ganze ist mehr als die Summe der Teile, und jeder Teil trägt das Ganze als Bedingung und Möglichkeit mit. Ein Gelb trägt Violett, ein Pink Türkis, ein Orange Braun.
Irgendwo in den Spalten zwischen den Grenzen zweier Farben, diesen infradünnen Räumen, oder in den sich plötzlich auftuenden Tiefen eines Farbfelds, erwachsen aus den Kompositionen Bilder. Oder eher: auf dem Weg des Lichts von der Fläche ins Auge, durch das Hirn ins Herz.
Ein alter Stuhl, mehr Hocker als Sessel, und darauf aufbauend ein zweiter. Die beiden ähneln sich sehr. Selbe Querstreben, selbe Sitzfläche, dieselben geschwungenen Stützen. Echte Urtypen, bodenständig. Michael Huey ist auf der Straße darüber gestolpert. Plötzlich aufgetaucht wie eine verlorene Erinnerung. Die Stühle bleiben, was sie waren, einfache Wirtshausstühle, Gebrauchsgegenstände, Stützen der Menschen, man könnte sagen: Prothesen. Sie wurden benützt und zeigen die Spuren ihrer Verwendung. Sie sind Zeugnis ihrer Behandlung, manchmal Misshandlung. Lackschichten überdecken einander, brechen und reißen auf, ein paar Streben fehlen ganz. Ein pinkes Podest verschafft dem Paar neuen Platz in der Welt. Sie sind nicht mehr nur, was sie waren, sie sind auch, was sie sind: Nicht mehr vergessen und nicht mehr nur ein Prädikat. In eine neue Ordnung gebracht.
Ein zweiter Werkkomplex Michael Hueys speist sich aus Fotografien von Menschen, (diesmal) keine bestimmten. Eine Arbeit zeigt zwei Ansichten eines Nackten auf felsigem Ufer, dahinter die weite See im Dunst. Das archaische Pathos wird gebrochen von Kopierstreifen, die die Schwelle des Illusionsraums erschüttern. Das Bild wird verletzlich. Der ursprüngliche Mensch, erst von der Kamera zweigeteilt und in ein Abbild verwandelt, dann als Gegenstand verwahrt und gepflegt, schließlich reproduziert und neu beschrieben. Person ward Gegenstand ward Projektion. Auch hier zeigt sich die Seinsweise einmal als Uroriginal, dann Prädikat, als Plural, Typus, dann wieder als singuläre Extension.
Doppel- und Dreifachnaturen, wie sie auch den Malereien inne liegt: ihr Bild-Sein ist auch ein Objekt-Sein, ihr Ganz-Sein ein Teil-Sein. Dazu die Kombination greller mit gedeckten Farben, von vollen und Grautönen, planen Flächen und abfallender Räumlichkeit. Das Gleichgewicht zweier unvergleichlicher Größen wie Farbe und Form, oder Künstler und Künstler, liegt in den Proportionen, nicht absoluten Werten. Die Gleichheit ist hier eine geometrische mehr denn eine arithmetische. Beim Huckepack wird Eins aus Zwei, und doch bleibt jedes Teil für sich bestehen: „Piggyback“ mit Michael Huey und Florian Nährer in der Galerie Reinthaler.
Text: Victor Cos Ortega, Kunsthistoriker und Journalist