Richard Wagner: Komponist, Dichter, Dramatiker, Schriftsteller, Kunstphilosoph, Regisseur, Dirigent, Egomane, Schwerenöter, Antisemit, Linksradikaler, Klimaschützer, Tierfreund, Genie… – Aber wer war Richard Wagner wirklich? Im Rahmen seiner Sommerausstellung 2024 unternimmt das Richard Wagner Museum den Versuch, den „Mythos Wagner“ zu dekonstruieren, um sich dem Menschen Richard Wagner zu nähern.Zahllos sind bereits zu seinen Lebzeiten Veröffentlichungen über den „Meister“. Dabei wird er vor allem nach seinem Tod gerne zum Übermenschen stilisiert – nicht zuletzt durch das Zutun seiner Nachkommen und Sachwalter. Vom „alltäglichen“ Wagner gibt es dagegen kaum Spuren, denn der Mythos kennt keinen Alltag. Dabei wird er vor allem nach seinem Tod gerne zum Übermenschen stilisiert – nicht zuletzt durch das Zutun seiner Nachkommen und Sachwalter.
Vom „alltäglichen“ Wagner gibt es dagegen kaum Spuren, denn der Mythos kennt keinen Alltag. Auch Wagner selbst modellierte zeitlebens am eigenen Bild und betrieb so das intensive „self-fashioning“ eines begabten „Influencers“ – und das bereits weit über 100 Jahre vor den Sozialen Medien des Internet. Seine autobiographischen Texte, seine zahlreichen Aufsätze und Briefe sowie sein musikalisches und dramatisches Werk zeichnen dabei ein sehr vielschichtiges, oft widersprüchliches Bild von dem Menschen, der sich hinter dem „Mythos Wagner“ verbirgt.
Der Mensch Wagner wird daher fast ausschließlich in den zu Papier gebrachten Erinnerungen und Beobachtungen der Familie, von Zeitgenossen, kritischen wie befreundeten Gefährtinnen und Gefährten sowie ab ungefähr der Mitte seines Lebens auch der Presse erkennbar. Andere Realien und Zeugnisse seiner Lebenswirklichkeit wurden der Überlieferung zumeist für wertlos oder dem Mythos und dem Kult um seine Person und sein Werk nicht zuträglich befunden. Erhaltene Alltagsgegenstände aus seinem persönlichen Besitz und Umfeld wie beispielsweise Brillen, Samtbaretts oder der Strohhut, den er 1881 auf einem bekannten Familienfoto trägt, fungierten dagegen vor allem als Reliquien eines hypertrophen Wagner-Kults.
Wie sich also einem Menschen nähern, der sich einer oft banalen Lebenswirklichkeit durch Stilisierung, Ästhetisierung und Selbstinszenierung zu entziehen suchte und der nach seinem Tod zum übermenschlichen und zeitlosen Denkmal wurde?
Die insgesamt rund 430 Lebensstationen und Wohnorte Wagners, welche „Larousse de la musique“ 1957 auflistet, zeugen von dauernder Unruhe. Woher rührte diese Unstetheit? War sie eine Ausnahme oder gehörte sie zu den normalen Lebensumständen eines Künstlers, dessen Broterwerb als Dirigent sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts gerade erst als anerkannter Beruf zu etablieren begann? Was verdiente Richard Wagner eigentlich, was konnte er sich leisten und welche Dimensionen hatten seine Schulden? Eine Bilanz seines Lebens klärt auf und rechnet um in Euro.
Wanderungen und oft lange Reisen, die Wagner zu Fuß, mit der Kutsche und später mit der Eisenbahn zurückgelegte, zeigen die Veränderungen der Mobilität durch die Frühindustrialisierung und stehen damit exemplarisch für die Umbrüche, welche die industrielle Revolution des 19. Jahrhunderts in Wirtschaft und Gesellschaft zur Folge hatte. Wie hat Richard Wagner die Moderne und deren Zeitgeist wahrgenommen und erlebt?
Die Ausstellung fügt lose und verstreute Puzzleteile neu zusammen, um dem Menschen Wagner ein Profil zu geben. Durch Kinderstube und Schule, Küche und Garderobe, Bibliothek und Arbeitszimmer führt die Suche nach dem Richard Wagner, der nicht als „Meister“ geboren wurde und selbst dann dem „Menschlich-Allzumenschlichen“ (Nietzsche) nicht entkam.
Vor dem Hintergrund einer Topographie des 19. Jahrhunderts, dessen „vollständigster Ausdruck“ Wagner nach Thomas Mann war, zeigt die Ausstellung Richard Wagner so weniger als den selbstschöpferischen, genialen Demiurgen und Visionär, sondern als Kind seiner Zeit und Produkt seiner Lebensumstände.