Schon zu Beginn seines Studiums unter Otto Carl Czeschka, im Jahr 1905, hatte Oskar Kokoschka seinen Fokus auf Akt- und Bewegungsstudien gelegt. Im Sommersemester 1907 erhielt er ein eigenes Atelier und hatte dort die Möglichkeit „…Kinder einer Zirkusfamilie, die im Winter vom Modellstehen lebten, in den verschiedenen Drehungen und Regungen des Körpers in der Bewegung, zu zeichnen.“ (Oskar Kokoschka, Mein Leben, München 1971, S. 50f)Die Inspiration zum Motiv "Mädchenakt mit umgehängtem Mantel" ist auf einen Besuch Kokoschkas in der Galerie Miethke zurückzuführen. Im Frühjahr 1907 zeigte diese eine vielbeachtete Paul Gauguin Ausstellung. Die exotischen Gesichtszüge sowie die losen, den Körper nur teilweise verdeckenden Tücher, finden sich auch in Kokoschkas Zeichnungen wieder. Der lässig über die Schulter geworfene Mantel bzw. Umhang weist modische Details im doppelten Kragen und in einer erkennbaren Schnittführung auf. Durch die flächig abstrahierte Darstellung und die einheitliche blaue Farbe erscheint das Gewand wie eine Collage und hebt sich von der zarten Linie der noch knabenhaften Mädchengestalt ab. Für den Körper verwendet Kokoschka die Farbe äußerst sparsam. Das Inkarnat hat an manchen Stellen einen Hauch von Rosa und das Braun der Haare findet sich zur Akzentuierung im Gesicht auf der Brust und auf den Zehen wieder.
In dieser aquarellierten Darstellung eines stehenden Mädchens ging Kokoschka mit seiner künstlerischen Ausdrucksweise bereits in eine völlig neue Richtung, die dem politischen und sozialen Zeitgeist entsprach. Keine verbindliche, allgemeingültige Stilisierung im Sinne von geltenden Schönheitsidealen, sondern die individuelle Berufung, die innere Notwendigkeit als Ausdruck einer künstlerischen Eigenständigkeit waren sein Anliegen.